Im Dunkeln

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"Ups..."

Ben klang auf einmal ziemlich kleinlaut.

Für eine Sekunde sahen wir uns schockiert an, dann sprangen wir gleichzeitig in Aktion, rannten von der Tür weg ins Wohnzimmer nebenan und warfen uns hinter ein großes Ledersofa.

Gerade noch rechtzeitig, denn nur wenige Sekunden später polterten schwere Stiefel aus dem Keller hoch und kurz darauf hämmerte jemand ungeduldig gegen die versiegelte Wohnungstür.

Deutlich drangen Stimmen zu uns vor. Die Wut, die in ihnen lag, legte sich wie ein eisiger Nebel auf meine Lungen.

Finn und Ben hockten dicht links und rechts neben mir. Finn hielt noch immer die Metallbox mit dem ersten versiegelten Buch umklammert. Behände fummelte er in seinem Rucksack herum und zog lautlos eine Taschenlampe hervor.

Sein schwacher Geruch nach Schokolade beruhigte mich ein wenig, doch ich wusste, es brachte uns gar nichts wenn wir wie verschreckte Kinder hinter dem Sofa hockten. Ich musste unbedingt rausfinden, mit wem wir es zu tun hatten und so bedeutete ich den beiden zurückzubleiben und huschte vorsichtig hinter dem Sofa hervor.

Das Wohnzimmer war vollkommen schwarz, die Eisenplatten vor den Fenstern hatten jedes Mondlicht verdrängt. Solange ich im Schatten blieb, sollte ich eigentlich unsichtbar für die Einbrecher sein. Ich schlich zur Tür und lugte vorsichtig um die Ecke zurück zur Eingangshalle. Da waren sie: drei Männer und eine Frau, allesamt in dunklen Skimasken. Mein Herz schlug schneller als ich sah, dass jeder von ihnen eine Pistole trug. Und als wäre das nicht schon genug hielt die Frau eine Metallbox in der Hand, versiegelt. Was immer darin war, hatten sie also noch nicht auf uns losgelassen.

"Wer war das? Wer von euch hat den Alarm ausgelöst?"

Einer der Männer sah sich wütend um. Von der Art wie er sprach, vermutete ich, dass er der Anführer war. Die anderen schienen seinem Blick auszuweichen. Nach ein paar Sekunden antwortete die Frau trotzig:

"Tom und ich waren die ganze Zeit im Keller und haben den Safe gesucht. Wir haben nichts angefasst."

"Und was soll das heißen?", entgegnete ein anderer aufbrausend, "ich war's nicht. Ich hab wie verabredet den Dachboden durchsucht."

"Beruhig dich, Alex", es war wieder der Anführer, der sprach, "das heißt, dass wir hier nicht alleine sind."

"Unmöglich", warf die Frau ein, "die Bullen würden nie hier reinkommen. Nicht mit den Erscheinungen."

"Agenten."

Die Art, wie der Mann namens Alex das Wort ausgesprochen hatte, ließ mich zurückzucken. Es hatte so viel Verachtung darin gelegen, dass ich keine Illusionen hatte, was er tun würde falls wir uns über den Weg liefen. Meine Augen wurden unwillkürlich von der Pistole in seiner Hand angezogen.

"Na und? Das sind wahrscheinlich nur Teenager."

Die Frau klang nicht beeindruckt.

"Dann sollten sie umso leichter zu beseitigen sein. Verteilt euch. Findet sie. Und dann den Safe."

Ich hatte genug gehört. So schnell ich konnte huschte ich zu Finn und Ben zurück und legte meinen Finger auf die Lippen.

Eine Sekunde später hörten wir wie jemand an uns vorbei rannte. Als alles still war, flüsterte ich gepresst:

"Vier Einbrecher, alle bewaffnet. Und eine versiegelte Box. Sie suchen einen Safe."

In Finns Kopf arbeitete es. Schließlich sagte er gepresst:

"Es war dumm von uns, den Panic Room zu verlassen. Wir müssen zurück und das Haus entriegeln. Und dann hier raus und Verstärkung holen. Mehrere Erscheinungen und vier bewaffnete Einbrecher sind zu viel für uns."

Damit hatte er natürlich Recht, doch der Gedanke aufzugeben gefiel mir nicht.

"Wisst ihr wo ich einen Safe verstecken würde?", flüsterte Ben, "im Panic Room."

Ich fluchte innerlich. Natürlich. Eher früher als später würden die Einbrecher ihn finden. Wir mussten unbedingt zuerst da sein.

Ich spähte hinter dem Sofa hervor. Im Moment schien die Luft rein zu sein.

"Los!"

Wir rannten durch das dunkle Wohnzimmer zurück in Richtung Flur, doch wir waren gerade mal bis zur Treppe gekommen, als ich den Schrei eines der Einbrecher hinter uns hörte. Finn schaltete seine Taschenlampe ein. Wir konnten es uns nicht leisten im Dunkeln zu fallen.

Ohne umzudrehen, hetzten wir die Stufen hoch, alles woran ich denke konnte, war der Panic Room. Wenn wir ihn erreichten, würden wir es hier raus schaffen. Ich wagte nicht, mir die Alternative auszumalen. Ich konnte deutlich hören, wie mehrere Personen die Verfolgung aufgenommen hatten.

"Verdammt."

Wir waren nicht weit gekommen, als ich am obersten Ende der Treppe die Frau im Schein von Finns Taschenlampe stehen sah, genau in dem Stock, in dem der Panic Room war. Hinter uns kamen zwei Männer die Treppe hoch. Wir blieben atemlos stehen und warfen uns einen schnellen Blick zu. Ben hatte seine Waffe gehoben uns zielte auf die Frau auf der Treppe, aber Finn und ich hatten nichts weiter als unsere Messer und bezweifelte ich stark, dass Ben wirklich auf eine Person schießen würde. Ich hoffte, man sah es ihm nicht an, denn im Moment war er wahrscheinlich der einzige Grund warum sie uns noch nicht erschossen hatten. Seine Hände zitterten leicht, doch sein Gesicht zeigte Entschlossenheit.

Ich hörte, wie hinter uns einer der Einbrecher seine Waffe entsicherte. Das Geräusch klang seltsam laut in meinen Ohren. Gleichzeitig donnerte eine tiefe und nur allzu bekannte Stimme durch die Villa.

"Bereust du deine Sünden? Bist du bereit, die Zukunft zu sehen?"

Die Frau über uns gab einen überraschten Schrei. Genau hinter ihr stand der Geist der zukünftigen Weihnacht in voller Pracht und Lebensgröße. Unwillkürlich schauderte ich. Die Erscheinung war drei Köpfe größer als ich und trug einen ausgefransten und rissigen, schwarzen Mantel mit einer riesigen Kapuze, die sein Gesicht in tiefe Schatten hüllte. Durch die Löcher im Stoff konnte ich eine Reihe dunkelgrauer Rippenbögen erkennen und auf einmal erfüllte der Geruch nach nasser Erde meine Nase.

Für einen Moment schien es, als wäre die Zeit stehen geblieben und dann war es plötzlich, als würden tausend Dinge in einer halben Sekunde passieren.

Die Frau über uns wich instinktiv vor der Erscheinung zurück, stolperte und fiel die Treppe runter auf uns zu. Gleichzeitig hatte Ben den Lauf seiner Pistole um ein paar Zentimeter korrigiert, sodass er nicht mehr auf die Einbrecherin, sondern auf den Geist zielte. Ohne zu Zögern drückte er ab und die Erscheinung verschwand. Noch in derselben Sekunde erfasste die fallende Frau mich und zog mich mit ihr die Treppe runter. Ihre Schulter traf meinen Magen, alle Luft wurde mit einem Schlag aus mir getrieben und ich konnte mich nicht länger halten. Finn griff instinktiv nach meinen Arm, doch alles, was er erreichte, war, dass er mit mir in die Tiefe polterte.

Ich kam unsanft auf dem Boden auf, die Frau und zwei der Einbrecher unter mir. Im nächsten Augenblick fiel Finn schwer auf mich, sein Ellenbogen traf mich hart an der Stirn und für eine Sekunde blieb mir vor Schock der Atem weg. Durch einen Schleier von Schmerz hörte ich ein Geräusch, bei dem mir eiskalt wurde. Die Metallbox, die die Frau in den Händen gehalten hatte, war aufgesprungen, als sie am Fuß der Treppe gelandet war und fast zeitgleich flatterten zwei Erscheinungen in meinem Augenwinkel ins Leben.

Was immer die Einbrecher hier angeschleppt hatten, ich hoffte entgegen aller Logik, dass es harmlos war.

"Ben, los!"

Ich hörte Finn und sah Ben, der oben an der Treppe stand und zögerlich auf uns runter sah. In der gleichen Sekunde drehte er sich um und rannte in Richtung Panic Room.

Und dann hörte ich den Schrei, so laut, dass ich Angst hatte, mein Trommelfell würde platzen. Ich wusste sofort, dass wir in riesigen Schwierigkeiten waren.

Die Villa am SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt