Seit Ryder mich kurz vor meiner Haustür geweckt hatte, da ich tatsächlich in seinem Wagen eingeschlafen war, weil ich anscheinend doch müder war als ich dachte, könnte ich im Erdboden versinken. Er versicherte mir grinsend, dass alles okey war und ich einfach „zu süß" aussah um mich aufzuwecken.
Seufzend erinnerte ich mich an seine Worte, als ich beschäftigt damit gewesen war mein Zimmer mit Tante Mally in einem schönen Lachston zu streichen und ein bisschen mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Unter anderem erzählte sie mir von ihrer Kindheit und wie sich die Anderen immer über sie lustig gemacht haben, weil sie nur einen Lumpen als Kleidung hatte im Gegensatz zu allen anderen Mädchen in ihrem damaligen Alter. Ich beteuerte ihr wie absurd ich sowas fand und sie stimmte mir lachend zu.
Mein Vater war jedoch anders, meinte sie. Immer wieder hatte er sie verteidigt, sich mit den anderen Kindern angelegt, öfters sich sogar mit ihnen geprügelt. Er war die Sorte, die sich nichts gefallen ließ, ob arm oder reich und von klein auf schon anfing seiner Schwester und anderen Leuten zu helfen. Schmunzelnd fügte sie hinzu, dass sie mit meinen Vater zwar in armen Verhältnissen aufgewachsen ist, sie glücklich war.
"Er war ein toller Bruder.", lächelte sie in sich hinein, "immer wieder in Dummheiten gestürzt, aber nur um mich zu unterstützen."
"Tante Mally..", fing ich an, doch sie unterbrach mich.
"Nein alles gut, Liebes, man muss darüber reden können. Wenn man alles in sich hineinfrisst ist das auch nicht gut." Verloren wischte sie sich mit dem Taschentuch, dass ich ihr schnell angeboten hatte, über die trägen Augen und steckte es in ihre Hosentasche.
"Vielleicht brauch ich das doch nochmal später", lächelte sie zerbrochen.
Schweigend gab ich ihr das volle Pack, dass ich von ihrer Kommode gemopst hatte und noch immer in der Hand hielt. Daraufhin lachte sie wieder ein bisschen und ich war froh, dass es ihr besser ging. Ich wollte von meinem Vater nichts mehr hören.
Später an dem Tag, als alles getrocknet war und mein Zimmer immernoch stark nach Chemikalien roch, öffnete ich das Fenster und ließ frische Luft herein, als ich versuchte die meisten Möbel wieder zurecht zu schieben. Am Ende war ich einigermaßen zufrieden und fing an, meine Kartons auszupacken. Ich wollte neu anfangen. Neu starten. Vielleicht war es dafür physikalisch zu früh, aber mental fühlte ich mich gut und stark.
Momentan verdränge ich alles was mit meinem alten Leben zu tun hat und das wird sich auch so bald nicht ändern. Nichts ist wie es war und es ist an der Zeit dass ich wieder anfing zu leben. Hatte man mir eigentlich sowas wie einen Therapeuten verschrieben? Ich erinnere mich nur wage an das, was ich nach meinem Entlass alles bekommen sollte. Ich werde selbst mein Therapeut, irgendwann muss ich mich ja selbst in die Hand nehmen müssen.
Aber andererseits glaube ich wirklich, dass ich nach meinem Krankenhausaufenthalt zu einem Therapeuten eingewiesen wurde. Wie hieß er nochmal?
Doktor.. Coln?...Cover?...Con..
Ach, irgendwie sowas. Aber ich bin so kurzfristig hier her gezogen, dass ich nicht wirklich dran gedacht hab dem Krankenhaus bescheid zu geben.Mit dem Gedanken holte ich meine ganzen Bücher, Ordner, Stifte, Fotoalben, einzelne Bilderstapel und Briefe raus. Ohne die letzten drei Sachen großartig anzuschauen, weil ich wusste dass sie mir wehtun würden, verfrachtete ich alles auf meinen Schreibtisch, während ich den nächsten Karton ergriff und meine alten Klamotten rausholte. Ordentlich sortierte ich alles und legte sie anschließend in den kleinen Kleiderschrank, den mir Tante Mally übergeben hatte, und der sich prächtig in dem Zimmer machte, rein.
Schweigend verteilte ich grob, die Sachen die auf dem Tisch auf mich warteten in verschiedene Kommoden und Schubladen.
Die tiefen Erinnerungen versteckte ich ohne viel hinzusehen in die aller letzte Schublade meines Schreibtisches, irgendwann wird der Tag noch kommen an dem ich sie mir in Ruhe ansehen konnte. Heute war es nicht soweit.
Nach dieser schwierig vollbrachten Aufgabe, fing ich an mein Zimmer mit allem möglichen Zeug zu dekorieren. Verschiedene Poster von ein paar Bands hing ich an die frischgefärbten Wände, Bilder ließ ich außen vor, einen großen Kalender hing ich mir auch auf und natürlich durften die vielen großen Topfpflanzen, die ich mir von Tante Mally ausgeliehen hatte, nicht fehlen. Sie verliehen einem Raum immer so was Schönes.
Im Großen und Ganzen war ich nach einer guten Dreiviertelstunde mit meinem neuen Zimmer echt zufrieden. Es ist zwar immer noch ausbaufähig aber immerhin bin ich grob fertig. Tante Mally stimmte mir kurze Zeit später auch zu und wir gingen runter, um uns beiden als Belohnung eine Tasse grünen Tee zu machen.
‚Die Schöne und das Biest',
las ich auf diesem alten zerfleddertem dunkelbraunem Buch, dass so einiges bestimmt miterlebt hatte.
Vorsichtig strich ich über den kursiven Titel mit der einzelnen Rose auf ihr.„Eine alte Version. Eine uralte. Aber das war einer meiner Lieblingsbücher, als ich ein kleines Mädchen war. Vielleicht willst du es ja auch mal lesen", lächelte mir Tante Mally zu.
Wir haben es uns im Wohnzimmer auf ihren vielen verschiedenen weichen Sesseln gemütlich gemacht und sie zeigte mir gerade ihre Büchersammlung, die fein geordnet in ihrem Regal trönten.
Obwohl ich die Geschichte schon kannte, wollte ich es trotzdem unbedingt lesen. Vorallem, wie konnte man auch bei so einem Nostalgiegefühl widerstehen?
Als Dank umarmte ich sie und machte mich auf den Weg nach draußen, auf die Terasse, auf der auch bald die Blumen blühen werden. In letzter Zeit ging ich oft vor die Tür, es musste an dem schönen Wetter liegen.
Ihr Garten war von prächtigem Grün umgeben, einen kleinen Flüsschen der schon etwas plätscherte und vielen, vielen noch nicht blümenden Blumen.
Ich entdeckte eine bequeme kleine Bank mit Kissen und machte es mir auf ihr gemütlich.Als Kind hatte ich es schon immer hier geliebt. Wir waren selten hier und doch fühlte ich mich hier immer wieder geborgen. Mein Onkel ist durch einen Autounfall gestorben, als ich noch klein war. Er war ein guter Mann, meinte Tante Mally. So einen wie ihn fand man selten, hat sie immer gesagt.
Es ist zwar schon lange her, aber trotzdem glaube ich sie vermisst ihn immernoch unglaublich. Nun ist auch noch ihr Bruder gestorben. Und doch bin ich bei ihr.Meine Eltern sind tot. Ich bin meilenweit von meinem alten Leben entfernt. Ich habe immer noch ungeheure Schmerzen und so starke Anfälle, das ich bewusstlos werden kann. Ich empfinde keine starken Emotionen. Ich habe keine Schuldgefühle. Ich erinnere mich nur wage an alles. Ich verdränge alles. Meine Eltern sind tot. Meine Mutter ist tot. Mein Vater ist tot.
Seufzend klappte ich das Buch zu, das ich zuvor auf die erste Seite geöffnet hatte. Ich starrte nur müde auf das Gras vor meinen Füßen.
Bin ich denn so alleine?Was ist mit Ryder & Beth? Sie waren doch Freunde von mir. Es ist doch grad mal der Anfang von allem. Aber sollte ich überhaupt Neustarten? Nach all dem? Verdiente ich das?
Irgendwann hörte ich auf zu denken. Vor meinen Augen war nur das Gras und meine Erinnerungen. Meine Mutter, wie sie von Herzen lacht, während mein Vater auf seiner Gitarre spielt. Ich wusste nicht wieso mir diese Gedanken auf einen Schlag kamen. Wieso denke ich denn jetzt daran? Wieso mache ich mir alles selbst kaputt? Ich fing an schwerer zu atmen.
Der leichte Wind summte in meinen Ohren und es war das einzigste was ich noch wahrnahm, bevor ich meine Sicht verlor.

DU LIEST GERADE
Mina
Teen FictionMina's Geschichte fing vor zwei Monaten an, als ihre Eltern gestorben sind. Zerbrochen und verletzt zieht sie zu ihrer Tante Mally mit wenigen Sachen ans Land. Ohne zu wissen, wie sie sich fühlen soll, trifft sie Ryder. Ein frecher Typ, der sich ger...