Kapitel 2

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"Habe ich dir nicht schon hundertmal gesagt, dass es mich nervt, wenn du mich so nennst?", sagte sie zu dem jungen Mann, welcher gleichzeitig ihr bester Freund war, musste aber trotzdem ein wenig lächeln, so wie jedes mal, wenn sie ihn sah.

Lyle erwiderte ihr Lächeln und sagte :"Du weißt doch, dass ich im Dienst bin, Cass. Wenigstens ein paar Formalitäten sollten wir noch wahren, findest du nicht?"

"Du weißt doch was ich von Formalitäten halte", sagte sie.

"Nur eine Erfindung von...",

"..von denen, die keine Ahnung haben, wie man Spaß hat, ich weiß"; beendete er grinsend ihren Satz.
"Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich ein Mitglied der königlichen Garde bin und du meine Prinzessin, also lass mir doch wenigstens die Möglichkeit, meinen Stolz darüber, dir dienen zu dürfen, mit den wenigen Formalitäten, die ich besitze, zum Ausdruck bringen zu dürfen", sagte er und sah ihr gespielt ernst und unterwürfig in die Augen.

"Deine Fähigkeiten zur Süßholzraspelei waren schon immer beeindruckend", murrte sie, konnte das Lächeln, was sich auch auf ihre Lippen zu schleichen begann, jedoch nicht unterdrücken.
"Manchmal glaube ich, du hast mehr von meinem Unterricht im Umgang mit verwöhnten Adeligen mitgenommen als ich."

"Einer muss nun einmal aufpassen, und von dir war das ja nie zu erwarten", warf er ihr nur lachend vor und sie musste einfach mit einstimmen.

Lyle hatte schon immer die bewundernswerte Eigenschaft besessen, sie selbst aus den tiefsten Grübeleien befreien zu können und ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

Trotzdem wurde sein Gesicht nun ernst und er schaute sie mit einem entschuldigendem Blick an, als er sagte :"Dein Vater schickt mich. Du sollst herunter kommen und die Gäste begrüßen, die gerade angekommen sind."

Seine Stimme war leise geworden, so als wüsste er, was bei dem Gedanken an die Besucher in ihr vorging und sie wandte den Blick ab.

"Cassidiy", sagte er nur ganz leise und als sie nicht antwortete, kam er auf sie zu und zog sie in seine Arme. Sie klammerte sich an ihn, das Gefühl von Sicherheit, welches er ausstrahlte, tief einatmend.

Er sagte nicht, dass alles gut werden würde, Lyle war noch nie ein Mensch für leere Floskeln gewesen, sondern hielt sie einfach fest.
Nach ein paar Momenten löste er sich wieder von ihr, sah sie aufmunternd an und machte den Weg zur Tür frei. Cassidy atmete tief ein, erwiderte ein wenig gekrampft sein aufmunterndes Lächeln und machte sich auf den Weg hinaus aus ihrem Zimmer.

Lyle ging neben ihr die Treppe hinunter, gab ihr mit seiner Anwesenheit die Zuversicht, die sie nun ganz dringend brauchte. Sie wusste, warum ihr Vater ausgerechnet ihn zu ihr geschickt hatte, war er doch derjenige, der den größten Einfluss auf sie hatte, sie am Besten verstand und trotzdem wusste, wie wichtig dies alles hier war.
Er war der Einzige, der sie dazu bringen konnte, über ihren Schatten zu springen.

Sie betrachtete ihren Freund von der Seite, während sie schweigend die Treppe hinunter gingen. Er hatte sich in den vielen Jahren, die sie sich nun schon kannten, verändert, hatte den Jungen, als welchen sie ihn noch in Erinnerung hatte, fast vollständig abgelegt.

Das kurze braune Haar war geblieben, immer noch unordentlich wie damals, da er sich nie die Mühe machte, einen Kamm zu benutzen. Auch seine Augen hatten die Wärme von damals nicht verloren, waren immer so wunderbar dunkelblau wie früher und gaben jedem, der ihn anblickte, ein Gefühl von Zuversicht und Vertrauen, so als könne nichts die Welt erschüttern, wenn man bei ihm war.

Über die Jahre hatte sie jedoch auch gemerkt, dass diese Wärme völlig verschwinden konnte und einer Härte Platz machte, die einem einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Zwei mal bisher war er zu diesem für sie völlig Fremden geworden, hatte seine Liebenswürdigkeit abgelegt und sich in den Gardisten verwandelt, der die sie mit allem, was er geben konnte, beschützen würde.

Sie erinnerte sich nicht gern an diese Momente, war von ihrem Freund doch dann nichts mehr zu sehen und er schaute sie danach immer mit einem Ausdruck in den Augen an, den sie einfach nicht deuten konnte, der ihr unangenehm war.

Aber er hatte den Gardisten nicht nur in diesen Augenblicken verkörpert. Auch sonst, mit seiner üblichen Wärme, musste er auf andere beeindruckend wirken. Er hatte eine beeindruckenden Größe bekommen - sicherlich an die 1,98m, er hatte sie bisher nicht nachmessen lassen, egal wie oft sie darum bat - und den vielen Muskeln, welche er sich kontinuierlich antrainiert hatte.

Er vermittelte das Gefühl, er wäre immer und überall bereit, ihre Feinde anzugreifen und sie zu verteidigen.

Auch der Captain der Garde hatte dies wohl schnell bemerkt, hatte begriffen, dass ein Kämpfer wie Lyle Gold wert war, wenn es um ihre Sicherheit ging und ihn immer wieder befördert, bis er zu ihrem persönlichen Leibwächter aufgestiegen war.

Cassidy wusste, dass er auch jede andere Aufgabe gewissenhaft ausgeführt hätte, war sich aber bewusst, dass nicht nur sie sich unglaublich gefreut hatte, ihren besten Freund nun so viel öfter um sich zu haben.

Aber ihr war auch klar, dass der Captain der Garde ihm nicht nur diese Position gegeben hatte, um sie Beide glücklich zu machen.
Sie besaß nun einmal eine vom Captain eher ungeliebte Angewohnheit, die sie dazu brachte, sich regelmäßig ihrer Bewachung zu entziehen und aus dem Schloss zu schlüpfen und so war er wohl erleichtert, jemanden gefunden zu haben, der tatsächlich einen gewissen Einfluss auf sie ausüben konnte und sie von allzu dummen Dingen abhielt.

Sie zweifelte trotzdem nicht daran, dass der Captain bemerkt hatte, dass die unerlaubten Ausflüge trotzdem nicht ganz aufgehört hatten.
Er rügte Lyle wahrscheinlich nur deswegen nicht, da er erleichtert war, dass sie diese Streifzüge nun wenigstens nicht mehr alleine unternahm, sondern mit ihm zusammen und er sie im Notfall aus brenzligen Situationen würde herausmanövrieren können.
Sie hatte schon immer vermutet, dass der Captain, trotz seiner rauen Art, eine liebenswerte Seite besaß und verstand, dass sie sich in diesen Wänden manchmal erdrückt fühlte.

Lyle und sie waren nun an der Tür zum großen Saal angekommen, in dem die Gäste empfangen werden sollten. Durch die Tür war zu vernehmen, dass diese während ihrem Weg nach unten den Raum schon betreten hatten und sich mit ihren Eltern unterhielten. Sie würde also nicht klammheimlich in den Saal schlüpfen können, sondern alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nicht unbedingt etwas, wessen sie sich sonst schämte, doch in diesem Zusammenhang hätte sie sich dafür schelten können, so sehr herumgetrödelt zu haben.

Sie starrte die Tür vor sich an und wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als vor ihren Verpflichtungen davon laufen zu, einfach nur tun zu können, was sie wollte. Aber das konnte sie nicht, würde sie nie können. Also straffte sie die Schultern, holte tief Luft, schöpfte Kraft von der Anwesenheit des Mannes neben ihr und ging erhobenen Hauptes ihrer Zukunft entgegen.

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