Wenn Plus auf Minus trifft

- Kapitel 4 -

PLUS:

„Bringst du bitte den Müll raus?", bittet mich Mutter beim Essen.

„Ja mache ich sofort. Ich gehe nur meine Hände waschen.", antworte ich ihr. 

Sie blickt mir ins Gesicht und wird plötzlich wütend.

„Ich meine es ernst, du sollst den Müll raus bringen.", wiederholt sie ihre Worte mit Nachdruck.

„Das habe ich dir doch schon bejaht."

Ihre Beharrlichkeit ist doch wirklich nicht nötig.

Aber wahrscheinlich glaubt sie mir  nicht. Wieso denn auch. Wer glaubt MIR denn schon?

Gedemütigt schnappe ich mir den Müllsack und trete nach draußen.

Wieso nimmt mich eigentlich keiner ernst? Was habe ich gemacht das alle so ein schlechtes Bild von mir haben?

„Du nimmst mich aber noch ernst oder?", frage ich den Hund, der immer angeschossen kommt sobald die Haustür geöffnet wird.

Gedankenverloren streichele ich ihm hinter seine Ohren. Als Antwort erhalte ich von ihm nur ein freudestrahlendes Hecheln gepaart mit wildem Schwanzwedeln.

„Ok du hast ja schon gewonnen. Wir gehen ja schon spazieren.", tätschele ich ihm weiter den Kopf.

„Ich gehe mit Bono Gassi.", rufe ich meiner Mutter noch zu, schnappe mir die Leine und will schon verschwinden. Doch ich halte kurz inne, als die prüfende Frage meiner Mutter noch an der Türschwelle vordringt: „ Hast du schon den Müll nach draußen gebracht?"

Augenverdrehend verlasse ich die Wohnung. Die Antwort darauf spare ich aus.

MINUS:

Heute war es anstrengend in der Schule. Es kostet mich immer viel Energie den Tag unbeschadet zu überstehen. Statt wie üblich den Bus zu nehmen, beschließe ich den weiten Weg zu Fuß zu gehen. Besser als mit der Gruppe zu fahren, mit der ich eh nicht viel zu tun haben will. Auf noch so geistreiche Unterhaltungen wie am Vormittag kann ich wirklich verzichten.

Der Weg führt mich durch den Park. Das macht mir nichts aus, denn hier ist immer etwas los. Die Atmosphäre ist locker und entspannt. Trotzdem entgeht es mir nicht, wie mir einige alte Damen böse Blicke zu werfen.

Machen diese alten Damen das mit Absicht?

Oder habe ich sie  zuerst grimmig angeschaut?

Vielleicht liegt es auch einfach an dem Gesicht der alten Menschen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich die Mundwinkel im hohen Alter automatisch von alleine nach unten bewegen, sodass sie gar nicht anders können, als grimmig vor sich hin zu starren.

Habe ich vielleicht das gleiche Problem wie sie?

Und das obwohl ich noch 16 bin?

Bei alten Menschen ist das normal.  Aber bei mir?

Jetzt verstehe ich wieso keiner mit mir zu tun haben will. Sie haben Angst vor mir.

Egal ob groß oder klein. Ich verjage sie alle mit meinem grimmigen Gesicht. Wer gibt sich denn auch schon gerne mit mürrischen Teenagern ab, deren Mundwinkel permanent nach unten zeigen? Ganz sicher niemand. Wahrscheinlich würde ich selbst nicht einmal gerne mit mir zu tun haben wollen, wenn ich die Wahl dazu hätte.

Langsam wird mir das Problem immer geläufiger.

Deprimiert lasse ich mich auf die Bank fallen, die gerade mehr als gelegen am Wegesrand herumsteht.