Leise rieselte glitzernder Schnee von den Bäuchen der schweren, grauen Wolken, bedeckte die Welt wie einen schützenden Mantel und reinigte sie von all ihrem Schmutz. Der Himmel, der ab und an zwischen den dicken Wolkenschichten zu sehen war, färbte sich bereits rötlich, ehe er in ein tiefes nachtblau überging. Doch der Schnee fiel weiterhin und zersprang klirrend in noch kleinere Teile, als er auf dem Boden ankam. Die Geräusche einer Großstadt wurden von der weißen Decke fast erstickt, ließ eine ungewohnte Stille über alles herrschen, während die zusätzliche Kälte der Nacht langsam übers Land kroch. Doch all dies schreckte die Leute auf den Straßen noch immer nicht zurück. Es bestand weiterhin geschäftiges Treiben, auch wenn sich mancher bereits zum Aufbruch bereit machte. Warmes Licht floss wie zähflüssiges Gold aus den Fenstern verschiedener Häuser und erleuchtete die Straßen und ihre Gestalten. Gemurmel war von einer kleinen Menschenmenge, die Hände reibend eng beieinander auf dem Marktplatz um einen großen Baum herum stand, zu hören. Ihre kleinen, warmen Atemwolken vereinten sich zu einer großen, die den Schnee zum Schmelzen brachte, etwas nach oben schwebte, ehe sie sich langsam auflöste, ebenso wie die Menge es Stück für Stück tat.Mein starrer Blick schweifte über die letzten noch am Marktplatz stehenden Personen, während der Schnee langsam auf mich hinab fiel, sich an meinen Mantel krallte, ehe er allmählich schmolz und verschwand. Ich seufzte einmal laut, raffte mein kaputtes Kleid auf und machte mich ebenfalls auf den Weg. Nach allem war heute noch immer Weihnachten, Christi Geburt und das Fest der Liebe. Bald würde niemand mehr auf den Straßen sein, sondern zu Hause bei seiner Familie. Es gäbe warme Gerichte, liebliche Lieder sowie herzliche Wünsche und Geschenke. Die Kinder würden ungeduldig auf den Stühlen wippen, während das letzte Gedicht oder Gebet gesprochen wurde ...
Mit raschen Schritten entfernte ich mich immer weiter von diesen Bildern. Bildern von denen ich nichts hielt.
Ich nahm einige Abkürzungen durch dunkle Seitengassen und vermied die größeren, von den Fenstern hell beleuchteten Straßen. Der Gestank von Abfällen und Fäkalien stieg mir in die Nase und ließ mich fast würgen, während sich dicke Schneeflocken in meinen teils unter der Kapuze meines Mantels versteckten Haaren verfingen und einen scharfen Schmerz hinterließen, wenn sie über mein Gesicht strichen. Das Geräusch, das meine Schuhe verursachten, halte laut von den Wänden der Häuser wieder, die eng und beängstigend mich von allen Seiten umstellten. Quiekend rettete sich eine Ratte in die Schatten einer Sackgasse, wahrscheinlich mit etwas Müll, was sie gefunden hatte und nun glücklich verspeisen würde. Angewidert von der inzwischen ungewohnten, verdreckten Umgebung der Stadt, die einst mein Zuhause war, beschleunigte ich meine Schritte nochmals. Den Korb unter meinem Arm fest und schützend an mich gepresst. In solchen Gegenden könnte allesmögliche passieren.
Nach einiger Zeit musste ich die düsteren Seitengassen allerdings auch schon wieder verlassen und auf die größeren Straßen wechseln. Zu meiner Erleichterung war auf diesen aber auch nichts mehr los. Die Nacht hatte sich still und unbemerkt über die Stadt und ihre Bewohner gelegt. Keiner wollte nun mehr draußen in der Kälte stehen, wenn er ein warmes Zuhause hatte. Leise stapfte ich durch den Schnee, bog in eine Gasse, die zwischen zwei Häusern verlief. Das knirschende Geräusch, welches die weiße Decke, die hier ausgebreitet auf dem Boden lag, unter meinen Füßen verursachte ließ mich wachsam sein, als ich langsam ans Ende der Gasse gelang.
"Verschwindet wieder ihr verfluchten Würmer!"
Erschrocken zuckte ich zusammen, als eine wütende Stimme zu vernehmen war. Aus Reflex blieb ich in den Schatten der Gasse stehen, in der ich mich gerade befand, drückte mich gegen eine Wand und hörte dem Gezeter eines alten Mannes zu. Zornig schrie er in die Nacht hinein, bis er durch das Zuschlagen einer Tür, das durch die gerade noch in Stille getauchte Straße donnerte, unterbrochen wurde. Vorsichtig löste ich mich wieder von der Hauswand und sah mich verstohlen in der Straße vor mir um. Links, entgegengesetzt der Richtung, in die ich musste, standen drei kleine Kinder keine vier Häuser von mir entfernte auf dem Bürgersteig. Verängstigt drückten sie sich aneinander und wichen von der Tür zurück, aus der der alte Mann womöglich gekommen war. Ihre geschundenen, kleinen Körper wurden nur von einigen Lumpen bedeckt, die sie allerdings auch nicht vor der Kälte des Winters schützen konnten. Wahrscheinlich würden sie so nicht einmal mehr die Nacht überleben.
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How to save three little souls -Weihnachtsspecial
Short Story||Achtung! Enthält womöglich Spoiler zu "How to become a Winter Soldier". Man sollte mindestens bis zum 29. Kapitel gelesen haben, bevor man sich dieses Special vorknöpft!|| _______________________________________ England, 19. Jahrhundert, Weihnacht...