Blitzschnell sprang der Wanderer von der Feuerstelle fort, rollte sich ab und stemmte sich auf seine Füße. Die Haltung gebückt, zog er das Schwert aus der Scheide und beobachtete seinen Gegner. Ein kalter Schauer lief dem Wanderer über den Rücken, als er in die schreckliche Fratze der Kreatur sah. Zweifellos war sein Gegner das Reittier des Söldnergenerals Tarak. Dessen Herr war bereits tot, erschlagen durch seine eigene Hand. Wollte sich der Dämon nun an ihm rächen?
Die Luft verdichtete sich, so dass das Atmen schwerfiel. Die Gerüche sättigten die Umgebung und griffen die Sinne an. Der Kuttenträger hustete. Von Ehrfurcht erfasst trat er einen Schritt zurück, spannte den Körper und beobachtete dabei jede Bewegung des Geschöpfs vor ihm. Barg das ehemalige Reittier des Söldnergenerals eine Gefahr?
»Taranliorutantus grüßt Euch, Milih'Phen«, krächzte der Dämon und ließ den massigen Leib auf den Boden sinken.
»Was willst du?«, fragte der Wanderer. Er hielt den Abstand aufrecht, wobei er den Neuankömmling skeptisch beäugte. In den letzten Monaten hatte er zu oft Dämonen wie ihn bekämpft und mit seiner Feuermagie zurück in die Unterwelt geschickt. Er begann sich zu fokussieren, die Leere zwischen seinen Fingern zum Flirren zu bringen, und bald umgaben erste zaghafte Flammen seine rechte Hand.
Die glühenden Augen des Wesens richteten sich auf das magische Feuer. »Habt Ihr noch immer nicht genug vom Kämpfen?«, sprach es gelangweilt. »Wir beide wissen, dass Taranliorutantus, allein auf sich gestellt, der Macht eines Milih'Phen nichts entgegenbringen kann.«
Der Wanderer horchte auf. Erneut betitelte man ihn mit diesem Namen, dessen Bedeutung ihm fremder war, als seine eigene schwarze Vergangenheit, an die er sich nicht einmal erinnern konnte. Dennoch war es eine Spur für ihn. Ein Weg, eine Chance, auf Licht im Dunkel, denn von dem Leben, welches er vor dem Erwachen am Strand geführt hatte, wusste er bis heute noch nichts. Atok, der Dorfälteste Uriathas, jenem Dorf, welches von den Söldnern tyrannisiert worden war, hatte ihm darüber nichts sagen können. Selbst Tarak, der Söldnergeneral, war verstorben gewesen, noch bevor der Wanderer die Möglichkeit gefunden hatte, ihn zu befragen.
»Nenn mich Madrak – oder erkläre mir bitte, wie du auf diese Bezeichnung kommst. Ich bin schon zu lange ein Niemand. Ein Mann ohne Erinnerungen und bis heute herrscht in meinem Kopf diese gähnende Leere, die mich jedes Mal anspringt, wenn ich versuche, meine Herkunft zu erkunden«, fluchte der Wanderer und deutete dabei an seine Stirn.
Der Name ›Madrak‹ bedeutete ihm sehr viel und hatte sich einen besonderen Platz in seinem Inneren gesucht. Doch zugleich schmerzte es ihn, diesen auszusprechen; sein Herz schrie aus Leibeskräften, denn jede Silbe rief ihm ins Gedächtnis, wie sinnlos Maela gestorben war. Denn dieses Mädchen, noch nicht ganz Frau, hatte ihm diesen Namen gegeben. Sie hatte im Kampf gegen die Söldner mehr Mut bewiesen, als ganz Uriatha und auch mehr als der Wanderer selbst. Mehr wog jedoch das Wissen darum, dass sie die Schwester der gesuchten und geliebten Myrael war.
»Ihr zieht viel Schmerz auf Euch, Madrak«, schnaubte sein Gegenüber. »Taranliorutantus ist es bereits bewusst geworden, als Ihr aus dem Fenster nach unten in den Hof gesehen habt.«
›Schmerz?‹ Was wusste ein Dämon schon davon? Er und seinesgleichen waren schuld an dem Leid in diesen Zeiten. In ihrer Welt, beherrscht von den sieben Fürsten der Unterwelt, wartete Myrael auf ihn, den Wanderer. Sie lebte. Er hätte es gespürt, wenn es anders gewesen wäre. Was hinderte ihn also daran, diesen Dämon, wie bereits etliche andere seiner Art, zu vernichten?
Doch er hatte recht. Das Leben des Wanderers war eine Aneinanderreihung von Tod und Leid. Entweder wehrte er sich gegen den Tod oder er brachte Leid in die Welt – und wenn nicht das, so war es umgekehrt.
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Der Wanderer 2 - Madrak - LESEPROBE
FantasyDie Suche des Wanderers führt ihn in die Stadt Kar'Duk. Hier erhofft er im Schwarzen Tempel neue Spuren und Hinweise über seine Vergangenheit oder dem Verbleib von Myrael zu finden. Doch in den Gassen der Stadt streiten Diebe, Priester und Unterirdi...