Graue Wachen

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Madrak reihte sich in den stetigen Strom der Karren, die in Richtung der Stadt zogen, ein. Dicht an dicht rumpelten die schwer beladenen Wagen auf die Tore zu. Er kam immer zäher voran, je mehr er sich der Stadtgrenze näherte. Der Wanderer spähte voraus und sah, wie die Wachen jeden einzelnen Kutscher oder Reisenden anhielten, um ihn zu befragen. Seinen Magen überfiel ein flaues Gefühl und Nervosität machte sich allmählich in ihm breit. Madraks Blicke schweiften umher, als würde dort, irgendwo im kargen Gras, die Antwort auf seine Fragen warten ... Was, wenn man ihn erst gar nicht in die Stadt ließe? Und wenn doch, wie sollte er sich darin zurechtfinden? Noch nie hatte er eine Stadt wie diese gesehen oder gar betreten, weshalb er ehrfürchtig die bedrohlich wirkenden Wehrtürme betrachtete.

Die Türme maßen in der Breite mehr Schritte als die Mauer in der Höhe, was den bulligen Eindruck des Bollwerks noch verstärkte. Auf dem flachen Dach der Befestigungen erkannte Madrak Holzkonstruktionen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er solche Gerätschaften noch nicht gesehen. Ein Gewicht schwang unter einer Achse im leichten Wind und zog den Arm des Ungetüms steil in Richtung der grauen Wolken am Himmel. An dessen Spitze flatterte ein bearbeitetes Stück Tuch oder ein dichtes Netz. Es war aufgrund der Entfernung nicht deutlich zu erkennen. Madrak blieb für einen Augenblick stehen.

»Hey, Ihr da, aus dem Weg!«, fluchte der Kutscher des Karrens, der ihm dicht auf den Fersen folgte. Reaktionsschnell, und sofern es in dem Gedränge überhaupt möglich war, sprang Madrak zur Seite, murmelte eine schnelle Entschuldigung und musterte erneut das Gerät auf dem Turm.

»Die Trebuchets von Kar'Duk«, drang eine Stimme zu ihm. Als der Wanderer zur Seite schaute, sah er in das rundliche Gesicht eines Mannes mittleren Alters. Der Bart war ordentlich rasiert und auf dem Kopf trug er eine samtene Haube. Seine Kleider waren ebenfalls aus dem edlen Stoff und der dicke Bauch unterstützte den Eindruck, dass er zu den wohlhabenden Bürgern gehören musste. Stolz schwang in jenen Worten mit, als er frei weitersprach. »Sie schleudern zentnerschwere Brocken Fels oder brennende Tonkrüge. Sie treffen ein Ziel in über vierhundert Schritt Entfernung!«

Seine Augen leuchteten, während der Mann sprach: »Jedweder Feind, der vor diese Mauern tritt, findet sich in einem Hagel von Geschossen wieder, der ihn zermürbt, noch ehe er auch nur einen Stein der Feste berührt hat!«

Madrak runzelte die Stirn und sah die Mauer entlang zum Tor. Die Stadt wusste sich zu wehren, versuchte aber nicht, ihre Stärke zu verstecken, sondern rief ihren Feinden lautstark entgegen: ›Ihr könnt es versuchen, doch werdet ihr scheitern!‹

Der Mann klopfte ihm auf die Schulter und ging wieder seiner Wege. »Keine Sorge, in der Stadt seid Ihr vor allem geschützt, sogar vor den Sieben Fürsten«, bekräftigte er zum Abschied.

Der Wanderer war zu überrascht, als dass er hätte antworten können. »Wartet!«, rief er dem Fremden noch nach, doch der war in der Menge verschwunden.

Noch immer abgelenkt von der Mächtigkeit dieses Bollwerkes aus Stein stolperte er voran, gen Stadttor, welches sich schon bald bedrohlich vor ihm erhob. Zwei der massiven Wehrtürme säumten es ein.

Der Tross geriet immer wieder ins Stocken. Die Befragung der Einreisenden staute den Verkehr vor der Stadt und als Madrak hinter sich sah, riss er ungläubig die Augen auf. Die Kolonne an Karren und Kutschen führten bis über die ersten Hügel hinweg; ein Ende sah er nicht. Die Zeit verstrich quälend langsam, bis endlich er selbst an der Reihe war.

Zwei Wachen traten ihm in den Weg, in grauen Umhängen, ohne Wappen oder Verzierungen. Das Kettenhemd darunter glänzte matt und wurde von einem schlichten Gürtel gehalten.Schwerter trugen sie nicht, stattdessen Axt und Speer.

»Wer seid ihr?«, fuhr ihn der näher Stehende unwirsch an. Der andere positionierte sich im angemessenen Abstand, um den Wanderer sofort attackieren zu können, sollte es nötig sein. Der Soldat war unrasiert und tiefe Furchen zogen sich durch das wettergegerbte Gesicht; dennoch funkelten seine Augen lebendig und wachsam aus ihren Höhlen unter den buschigen Augenbrauen. Die ersten Anzeichen des Alters zeigten sich, der Schädel war bereits kahl. Etwas zierte die Kopfhaut bis hinter das rechte Ohr, doch so sehr Madrak es auch zu erkennen versuchte, vergebens.

Der Wanderer 2 - Madrak - LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt