~Kleider machen die Leute, aber das Herz den Menschen~

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Lace

Der Raum, aus dem die Geruchswolke gekommen war, war rund. Die Wände waren in einem extravaganten rot, den Boden bedeckte ein schwarzer Teppich. Am Rand standen lilafarbene Sessel, in der Mitte eine runde Maschine, vielleicht 2 Meter hoch.

Hinter der Mitte befand sich ein riesiger Schreibtisch mit allerlei Krimskrams, an dem ein Mann saß. Als er aufstand und mit schnellen Schritten auf uns zu lief befand ich den Mann als mindestens genauso seltsam wie diesen Raum.

"Schönen Tag meine Herren. Lucille, du kannst gehen. Vielen Dank. Ich bin Louis Bambo, Designer und Inneneinrichter. Sie können mich ruhig Louis nennen."

Mit der weiten Anzughose, einem dunkelblauen Hemd und roten Schuhen wirkte er mir kein bisschen wie ein Designer. Und der Raum sah aus, als hätte man einfach willkürlich Farben platziert.

"Ah, Lace Underwood."

Ich riss mich aus der Betrachtung einer Vase, die alle Farben des Regenbogens aufwies und erwiderte etwas überfordert den begeisterten Blick des Designers.

"Ich fand es wirklich unglaublich, wie du deiner Teamkollegin geholfen hast. Das hat auch anderen imponiert."

"Vielen Dank", murmelte ich leise, aber irgendwie klang es wie eine Frage. 

Ich war Komplimente nicht gewohnt. Das schien auch jeder in diesem Raum zu merken, mit Ausnahme von Herrn Bambo, der mich plötzlich in Richtung der Maschine schubste. Hilfesuchend sah ich mich nach Jasper um, doch der hatte es sich grinsend auf einem der Sessel breit gemacht. Der Beamte war verschwunden.

"Du kommst jetzt hier in die Maschine. Die misst deine Maße und dann kann ich dir ein paar Anziehsachen machen."

Im nächsten Moment stand ich in der engen Röhre. Durch das Glas konnte ich Louis erkennen, der an ein paar Knöpfen rumdrückte. Dann verdunkelte sich das Glas und ich stand allein und ohne jegliche Orientierung in dem dunklen Raum. 

Dann leuchteten rote Strahlen auf, die sich langsam ihren Weg von oben nach unten über meinen Körper bahnten. Ein wenig Misstrauisch betrachtete ich das Licht. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass mir diese Strahlen etwas antaten, aber man konnte nie wissen.

Nach wenigen Minuten verschwanden die Strahlen endlich und die Öffnung, durch die ich eben hereingeschubst worden war öffnete sich wieder. Erleichtert floh ich aus der Röhre, in der ich gerade begonnen hatte, eine Klaustrophobie zu entwickeln.

In dem Raum, den ich ich für das Büro dieses verrückten Designers hielt, atmete ich erst einmal tief durch. Ich würde diese Röhre nicht noch einmal betreten. Nie wieder.

"Komm her, Lace. Wir kümmern uns jetzt um die Farben", winkte Louis mich jetzt zu sich.

Schnell ließ ich mich auf den Stuhl neben ihn fallen. Ich musste unbedingt dafür sorgen, dass ich nicht solche schrecklichen Muster abbekam. Jasper, der zu wissen schien was mein Problem war lachte leise von seinem Sessel aus.

Ich ignorierte ihn und richtete stattdessen meinen Blick auf die unendlichen Muster und Farben, die Herr Bambo auf altmodische Art auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte.

"Muster oder Einfarbig?"

"Einfarbig", antwortete ich ohne zu zögernd und bekam dafür ein enttäuschtes Seufzen.

"Einfarbig, wie langweilig. Aber so sei es. Deine 5 liebsten Farben?"

Die Muster landeten am Boden.

"Schwarz, Weiß, Dunkelgrün, Dunkelblau, Mahagoni."

Ein weiteres seufzen.

"Du bist so ein Klische, Lace. Das sollten wir ändern."

Im nächsten Moment hielt Louis mir eine ganze Reihe von Farben unter die Nase und versuchte, mich von ihnen zu überzeugen. Schlussendlich kam ich mit nur drei weiteren Farben davon. Rubinrot, ein wirklich dunkles Lila und ein silbergrauer Farbton.

"Deine Maße sind da", murmelte Louis plötzlich und beugte sich über sein Tablet. Beinah verzückt lächelte er, dann sah er zu mir.

"Ich bin begeistert, Lace. Wirklich. Ich habe lange keine so guten Maße mehr gesehen."

Ein wenig verwirrt zog ich die Brauen zusammen. Seit wann waren Maße gut oder schlecht?

Louis schien meine Verwirrung bemerkt zu haben, da er erklärend fortfuhr:"Deine Maße entsprechen den Wünschen und dem Ideal unserer Schicht. Das ist selten. Wirklich, du kannst dich glücklich schaffen. Gute Maße, gutes Aussehen, Intelligent. Die Frauen werden Schlange stehen."

Ein wenig unangenehm berührt rutschte ich in meinem Stuhl hin und her. Ich hasste Komplimente. Wirklich, hassen war eigentlich gar nicht der richtige Ausdruck.

"Kommen wir jetzt noch zu deinem Büro."

Eine halbe Stunde später hatte ich es geschafft aus meinem zukünftigem Büro, wo auch immer das sein würde, keine Farbpalette zu machen. Mit Louis hatte ich mich auf Silber, Grau und Schwarz mit blauen und, zu meinem Verdruss, roten Akzenten geeinigt.

Dann wurde mir eine Reihe von Klamotten vorgeführt und ich musste mich gegen Rüschen und Stickereien wehren. Eine weitere halbe Stunde voller Diskussionen verging, dann hatten wir nach Louis' ermessen alle wichtigen Details geklärt.

"Freut mich mit dir Geschäfte zu machen, Lace. Die Leute heutzutage diskutieren selten mit mir."

"Freut mich auch", verabschiedete ich mich von dem Designer und huschte hinter Jasper aus dem Raum, der mir mittlerweile schon beinah normal vorkam. Still kamen wir an Lucille vorbei, die uns ein einnehmendes Lächeln schenkte.

"Herr Underwood, ich soll ihnen von Herrn Bambo noch eine erste Auswahl der Anziehsachen mitgeben. Wenn sie möchten können sie sich dort drüben umziehen."

Nach einem herzhaften Stoß von Jasper, der kräftiger war als er aussah, zog ich die Klamotten von dem Tresen und beeilte mich, zu einer kleinen Tür zu kommen. Dahinter empfing mich ein großer, gut ausgeleuchteter Raum mit Kleiderstange und einigen Regalbrettern, die scheinbar wahllos an der Wand verteilt worden waren.

Auf eines dieser Regalbretter legte ich den Stapel und suchte mir vorsichtig ein Oberteil und eine Hose heraus. Dann schlüpfte ich aus meinen alten Sachen und ließ sie auf den Boden fallen. Als ich in die weichen und viel zu teuren Sachen stieg dankte ich jeder höheren Macht, die mir gerade in den Sinn kam, dafür, dass ich mich entgegen meines Wunsches so früh aus dem Bett gequält hatte und unter die Dusche gestiegen war.

Erst als ich das Hemd richtig zugeknöpft hatte richtete ich meinen Blick auf den großen Standspiegel, der in einer Ecke stand. Und was ich sah verblüffte mich wirklich. Ich sah so vollkommen ungewohnt aus, mit dem feinen weißen Hemd und der schwarzen Hose. Lange starrte ich nur diesen Teil an, dann wanderte mein Blick höher.

Mit einem mal wünschte ich mir einen Kamm herbei. Die hellen Strähnen auf meinem Kopf standen in alle Richtungen ab und zerstörten den Look komplett. Dasselbe galt für meine dreckigen Sneaker. Ein wenig fuhr ich mit meinen Fingern durch meine Haare und ordnete sie zu etwas, was wohl ansatzweise an eine ordentliche Haarfrisur erinnern sollte, dann faltete ich meine alten Klamotten und versteckte sie etwas unter den anderen.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, damit auch mich selbst zu behalten. Denn das war ich. Ich vergrub mich gerne in dicken Pullovern, die nicht wie eine zweite Haut saßen. Und es war etwas, was mich an meine Eltern erinnerte. Und an Anja. Und an all die anderen Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet war.

Ich war noch nicht bereit, das alles aufzugeben. Vielleicht eines Tages, aber noch nicht jetzt.  

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1k Reads!*Freudentanz*      

2095 - ᴡɪᴇ ɢᴜᴛ ʙɪꜱᴛ ᴅᴜ ᴡɪʀᴋʟɪᴄʜ?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt