VI

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Viktor sah Luca noch einen Moment hinterher, als dieser fast fluchtartig die Hütte verließ. Der Vampir konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wenn er an den schon nahezu geschockten Gesichtsausdruck des Jugendlichen dachte. Was hatte der denn geglaubt? Dass er, Viktor, ihn aufs Bett werfen und Besitz von ihm ergreifen würde? Nein, das hätte der Adlige mit Sicherheit nicht getan. Luca hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er Viktors Anwesenheit hier nicht wünschte. Und wäre dieses dumme Pferd nicht fortgelaufen, dann wäre er schon längst auf dem Rückweg.

Warum hatte Luca nicht einfach seinen Onkel gebeten, ihn, Viktor, abzuholen? Das wäre sicher kein Problem gewesen, denn so weit waren sie ja nun nicht vom Gestüt entfernt.

Während er darüber nachdachte, zog er sich die Sachen an, die der junge Mann ihm rausgelegt hatte.
Schließlich verließ er das Schlafzimmer und ging langsam zurück Richtung Eingang, während er sich etwas genauer im Wohnzimmer der Hütte umsah.
Platz, um hier zu schlafen, wäre ja genug vorhanden, aber es fehlte ... ein Sofa.

In dem Raum standen lediglich zwei alte Ledersessel und ein Couchtisch. Und zwei Sessel zusammenzurücken, um darauf zu schlafen? Nein! Nach so einem unbequemen Nachtlager stand Viktor nicht der Sinn ... und Luca bestimmt auch nicht. Also würden sie beide wohl oder übel zusammen in dem Bett nebenan schlafen müssen.

Der Vampir seufzte leise und setzte seinen Weg zum Ausgang der Hütte fort. Dort blieb er stehen, lehnte sich in den Türrahmen und beobachtete Luca einen Moment, der an dem Steg stand und den Blick der gegenüberliegenden Seite des Sees zugewandt hatte.
Viktor lauschte dem noch weit entfernten Donnergrollen, das sich für seine empfindlichen Ohren allerdings anhörte, als ob sich der Ursprung unmittelbar über der Hütte befinden würde. Auch konnte er den Geruch des Regens wahrnehmen, den das aufkommende Unwetter mit sich bringen würde und ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut spüren, was diesen Umstand bestätigte. Nein, das Gewitter würde nicht an ihnen vorbeiziehen, dessen war der Vampir sich sicher.
Einen Moment lang überlegte er, ob er Luca nicht vorschlagen sollte, das Motorrad zu nehmen und einfach wieder zum Gestüt zurück zu fahren, aber dann wischte der Adlige diesen Gedanken beiseite und ein Grinsen huschte über sein Gesicht.

Die Vorstellung, mit dem jungen Mann während dieses Unwetters hier „gefangen" zu sein, reizte ihn einfach zu sehr.  Er wusste, dass er Luca sehr verunsichert hatte mit dem Geständnis über sein wahres Wesen. Nicht, dass der junge Mann Angst vor ihm, Viktor, hatte. Die Offenbarung war nur ein weiterer Punkt auf einer Liste von Dingen gewesen, die der Adlige Luca vorenthalten und erst nach und nach gestanden hatte.

So war es nicht verwunderlich, dass dieser erst einmal Zeit brauchte, um darüber nachzudenken und es zu verarbeiten. Der Unsterbliche war allerdings fest entschlossen, dem jungen Mann seine Zweifel zu nehmen ... so schnell wie möglich.
Viktor löste sich aus dem Türrahmen und machte ein paar Schritte in Lucas Richtung, der immer noch den Himmel beobachtete. Hinter dem Jungen blieb der Vampir stehen und strich ihm durch die Haare.

»Ich hoffe, du bist jetzt angezogen.«

Der Adlige lachte leise, neigte den Kopf und küsste sanft Lucas Nacken.

»Natürlich ... was denkst du denn von mir?«
»Wenn ich das wüsste, dann wäre es nicht so kompliziert.«
Viktor legte die Hände auf die Hüften des Anderen und drehte ihn zu sich herum. »Hör zu ... es war nicht in Ordnung, dir zu Anfang so viele Sachen vorzuenthalten, darüber bin ich mir im Klaren. Andererseits ging es nicht anders und das weißt du genau. Im Endeffekt war ich ehrlich und du hast alles von mir selbst erfahren und nicht erst durch andere. Also könntest du bitte aufhören zu schmollen?« Er strich mit dem Finger über Lucas Lippen. »Auch, wenn das sehr sexy aussieht.«
Der junge Mann hob den Blick und sah dem Vampir in die Augen. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch, als er erwiderte: »Na, mal sehen, ob sich da was machen lässt.«

Never EnoughWo Geschichten leben. Entdecke jetzt