Die blonden, lockigen Haare der jungen Frau glänzen golden im Sonnenlicht. Ihr perlendes Lachen scheint, als könnte es den dunkelsten Wintertag vertreiben. Neben ihr scheint alles wertlos zu sein. Elegant hüpft sie von Stein zu Stein, während sie sich immer wieder zu mir umdreht, um sicherzustellen, dass ich den Anschluss nicht verliere. Sie hat schmale, smaragdgrüne Augen, von denen ich mir schon immer gewünscht habe, sie geerbt zu haben. Auf der Schulter trägt sie ihren Pfeil und Bogen. Sie hat sie immer dabei, ob sie davon ausgeht, dass sie etwas Gefährlichem begegnen könnte oder nicht. Sie sind wie ein Teil von ihr. Plötzlich schiebt sich etwas Großes, Schwarzes vor die Sonne. Wir werden in Schatten getaucht. Ich verstehe nicht, was los ist. Ich rufe den Namen der Frau. Als sie sich umdreht ist ihr sonst so ebenes Gesicht von Sorgenfalten zerfurcht. Sie schreit mich hysterisch an, ich solle auf einen Baum klettern. Mich verstecken. Sie weint. Jetzt beginne auch ich zu weinen. Sie drückt mir zwischen ihren Schluchzern einen Kuss auf die Wange. Ihre weichen Lippen berühren mich für nicht mehr als einen Herzschlag. Wie in Trance klettere ich, wie sie es mir gesagt hat, auf den Baum. Ich verstehe nicht, was vor sich geht. Ich verstehe es einfach nicht. Das Tier, es ist eine Spinne, das die Sonne verdeckt hat, reißt sein Maul auf. Vor Schreck und Ekel schaue ich weg. Der Lärm dröhnt in meinen Ohren. Schreie. Ich weine. Ich verstehe nicht, was vor sich geht. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier gesessen habe, als ich meine Hände von den Augen nehme. Alles ist still. Ich sehe die junge Frau am Boden liegen.
Schläft sie?
Soll ich sie aufwecken?
Ich rüttele sie an der Schulter. Rufe ihren Namen. Sie bewegt sich nicht. Ihr Körper ist merkwürdig verdreht. Ich weine. Ich verstehe nicht, was vor sich geht.
Was ist mit ihr?
Wieso redet sie nicht mit mir?
Wieso atmet sie nicht mehr?
Das Trauma. Die Erinnerungen. Sie waren noch jetzt so präsent. Das alles war mittlerweile neun Jahre her, aber doch erinnerte ich mich an jedes Detail meiner sterbenden Mutter. Und jetzt fühlte ich mich, als wäre ich erneut dort.
Das Tier hatte zehn rote Augen, alle in verschiedenen Größen. Ihre haarigen Beine tasteten sich geschmeidig am Waldboden voran. Sie war so leise, dass es kein Wunder war, dass man sie nicht hatte kommen hören. Sie riss ihr Maul zu einer Art zischenden Fauchen auf. Zähflüssiger Speichel tropfte auf ein paar Steine am Wegrand. Perry zog ohne zu zögern sein Schwert und begann, die Spinne zu attackieren. Geschickt schafft er es, ihrem schnappenden Maul auszuweichen. Schon nach kurzer Zeit bemerkte er, dass ich keine Anstalten machte, ihm zu helfen. Sein Kopf wirbelte zu mir herum. Nur für einen kurzen Moment, der so lange zu sein schien wie ein ganzes Leben, sah er mich an. Unverständnis. Sorge. Angst. Das alles mischte sich in seinen Gesichtsausdruck. Mit einem flehenden Blick schien er mich zu bitten, ihm zu helfen. Mich zu bewegen. Ich allerdings stand einfach nur da, vor Angst erstarrt. Mein Mund war zu einem Schrei aufgerissen, aber ich wusste nicht, ob mir auch nur ein Ton entwich. Andere Leute fürchteten sich vor Dunkelheit oder dem Krieg. Ich fürchtete mich vor Spinnen. Zwei weitere Riesenspinnen betraten die Lichtung und umkreisten mich und Perry. Für einen kurzen Moment fing ich seinen Blick auf. Er schien sich nicht darüber zu ärgern, dass ich ihm nicht half, sondern schien Verständnis zu haben. Und plötzlich wurde mir schwarz vor Augen, die ganze Welt schien sich zu drehen. Ich konnte mein Gleichgewicht nicht halten. Dann bekam ich nichts mehr mit.
Als ich meine Augen öffnete, befand ich mich am Fuße der Blauen Berge. In der Ferne konnte ich Eryn Dûr erkennen. Perry hatte es geschafft. Er hatte die Spinnen umgebracht und uns beide gerettet. In meinem Augenwinkel sah ich eine Bewegung. Als ich mich umdrehte sah ich meinen Begleiter. Sein Gesicht nahm einen erleichterten Ausdruck an. Er lächelte, während er neben mir Platz nahm

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Die Chroniken der Elbentochter
FantasyMiril und Peregrine galoppieren. Egal, wie schnell sie sind, jederzeit sind sie in Gefahr, entdeckt zu werden. König Laos würde alles daran setzen, diese beiden zu finden. Miril, da sie eine Elbin ist, gegen die er im Krieg steht. Peregrine, weil e...