Little Secrets

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"Meinst du, es tut weh?"
"Ich denke, es ist schön zu sterben. Erleichternd. In dem Moment muss man nicht mehr denken, was man heute für morgen tun muss, sondern einfach loslassen. Nichts mehr hinter sich bringen müssen. Einfach nur sterben."

Wie fangen Geschichten an, dessen Leiden kein Anfang und Ende haben? Bei der Geburt, oder doch viel mehr davor? Erst muss man die Frage, ob es mehr davor überhaupt möglich ist, lösen. Und die kann ich beantworten: Ja, es ist möglich. Leider.

Fangen wir mal hier an, in der Cafeteria einer kleinen Stadt, wo jeder so gut wie jeden kennt. Klingt fast schön und wie ein Vorteil, doch das ist es nicht. Am besten man wird nicht gesehen, sonst wird man nur mehr verletzt. Und in dieser Stadt lebt keiner, weil man eigentlich alle als Verletzte zählen kann.
Cremateria heißt der Cafe, befüllt mit wenigen Menschen, jedoch mit vielen schwarzen Holztischen. An einem von denen sitzt sie. Rawiya. Ihre blasse Haut sieht kreideweiß in ihren dunklen Klamotten aus. Ihr geht es nicht gut, am liebsten würde sie einfach nur raus aus dem Cafe, doch sie hat sich vorgenommen dort zu sitzen, ihren bestellten Schokoeisbecher aufzuessen, Theo nichts anmerken zu lassen und lächeln. Lächeln ist wichtig. Aber schwierig für sie. Doch obwohl er nichts tat, brachte er sie, auch wenn nur ein kleines bisschen, zum Lächeln.

"Rawiya. Außergewöhnlicher Name! Noch nie zuvor gehört."
"Ja", sagte sie erst kleinlaut.
Sie blickte kurz in seine Augen und schnell wieder weg.
"Meine Eltern.. sie haben sich bei meinem Namen viel.. viele Gedanken gemacht sie.. sie wollten, dass es eine Bedeutung hat", sagte sie dann noch dazu mit einer Stimme, die verriet, dass sie nervös und unsicher war.
"Hat es bestimmt. Meine Eltern haben sich keine Gedanken gemacht. Einfach nur Theo, hah. Keine Bedeutung", sagte er mit einem lachen am Ende.
"Theo bedeutet das Geschenk Gottes."
Sie hätte lieber ihre Stalker Ergebnisse für sich behalten sollen. Schnell bereute sie es auch.
"Woher weißt du das?", fragte er sie verwundert anschauend.
Rawiya versuchte vor seinem Blick zu flüchten. Spielte dabei nervös an ihrem lilanen Armband rum. "Bitte lass die Frage in der Luft verschwinden", wünschte sie sich. Aber er wartete auf eine Antwort.
"Das eh.. weiß ich. Von! Von.., weil.. meine Familie und so, den Namen eh.. ich"
"Zwei Schokoeisbecher, guten Appetit!"
"Danke", sagte Theo und begann seinen Eis zu essen.
Sie wurde somit von der Frage gerettet. Oder auch nicht und weil er nie eine Lüge bekommen hat, wird er sich immer fragen, wieso sie die Bedeutung von seinem Namen wusste.
Was auch immer, sie war kurz froh drüber, bis das nächste Problem kam.
Ihr Schokoeisbecher, der vor ihr stand und langsam schmelzen würde, wenn sie nicht bald anfängt zu essen. Sie starrte es nur an und hatte Angst. Ihr fiel es einfach nur schwer einen kleinen Löffel davon zu nehmen.
"Wieso isst du nicht?", fragte er.
Sie konnte darauf nicht antworten.
"Naja, so wie du aussiehst, isst du nie hah."
Das Verletzte sie. Und er dachte nicht mal drüber nach, dass es sie verletzt haben könnte.

Sie nahm ihren Löffel in die Hand und streichte damit leicht an ihrem Eis. Sie nahm so wenig, dass es schon leicht anfing zu schmelzen.

"Einfach in den Mund damit. Guck, Mund aauf, Löffel reein, Mund zuu. So leicht hah".
Für diese Anleitung bedankte sie sich nicht.
Sie starrte noch eine Weile auf ihren Löffel, während er seinen Eis weiter genoss. Mit viel Überwindung öffnete sie bisschen ihren Mund und mit leicht zitternder Hand führte sie den Löffel mit fast ganz geschmolzenem Eis ein. Sie schloss ihre Augen, als sie diesen Geschmack auf ihrer Zunge spürte. Sie hatte schon fast vergessen wie lecker es war und ließ sich Zeit dies zu genießen.
Er schaute kurz lächelnd hoch zu ihr, als er bemerkte, dass sie endlich anfing zu essen und nahm noch paar Löffel von seinem halbleerem Becher, bevor er den nächsten blöden Spruch sagte, den er sich lieber ersparen sollte.
"So schwer war das doch nicht."
Auch dazu sagte sie nichts.
Sie nahm einen weiteren Löffel von ihrem nicht mehr so kalten Schokoeis und zögerte kurz, bevor sie es aufaß. Danach noch einen weiteren. Daraufhin noch eins und noch eins, bis sie es schafte ohne Nachzudenken zu essen. Bei der Hälfte wollte sie nicht mehr und der größtenteils war zu einer Suppe geschmolzen. Theo war fertig mit seinem Becher. Und sie bereute ihren halben.

Er sah sie nichtssagend nur an. Sie war sauer auf ihm, dazu fühlte sie sich auch so schlecht. Sie konnte es nicht länger ertragen, stand plötzlich auf, verschwand schnell hinter der Tür der Mädchen Toiletten und schloss sich hinter einer der wenigen Kabinen ein. Sie kniete mit Tränen auf den Boden, hob ihren Zeigefinger, steckte diesen ohne zu zögern tief in ihren Mund und da geschah es. Sie tat es schon wieder.

Nur kurz fühlte sie sich erleichtert. Aber eben nur kurz, denn sie bereute es schon wieder. Ein Teufelskreis. Sie weinte nur noch. Sie fühlte sich so schlecht, wie ein Stich im Herz, innerlich am bluten. Es war unertragbar für sie. Mit ihrem Fuß trat sie gegen die Kabinenwand, mit ihren Fäusten um sich herum und schrie einmal laut ihren Kopf zur Decke gewandt. Nun könnten alle hören, dass sie leidet. Aber keiner verstehen.

Ihren Kopf auf ihre Knie gelegt, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie wischte ihre letzten Tränen mit den Ärmel von ihrem Pullover weg, schloss die Tür auf, trat mit roten Augen heraus und vor ihr stand er. Theo. Sie wurde erwischt.

Kleine Stadt,
mit kleinen Geheimnissen,
die keiner weiß,
wenn man schweigt.
Ein Schritt verrät dich,
Denkst keiner sieht dich,
Erfährst es zu spät,
Bis auch ich es weiß.
Und wer ich bin? Ich bin ein Geheimnis. Weiß alles, aber keiner etwas über mich.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 04, 2019 ⏰

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