E R S T E S K A P I T E L

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Mara

Dieses Mal ist etwas anders. Ich merke es daran, dass mir statt salziger Meerluft frischer Wind um die Nase weht. Als ich meine Augen öffne, bekomme ich einen kleinen (okay... mehr als kleinen) Schreck. Ich befinde mich in circa fünfzig Metern Höhe in einem Heißluftballon.
In rosa!
Und ich habe natürlich - wie könnte es anders sein - ein pink-glitter Tu-Tu an. In meiner Hand halte ich so einen rosafarbenen Regenschirm, wie all diese Seiltänz - oh mein Gott! Vor mir befindet sich tatsächlich ein gefühlt einen Millimeter dickes Drahtseil! Über das soll ich mit meinen High Heels laufen?!
Na danke! Da hat mich dieser Typ mal wieder irgendwo hingeswitcht, wo ich mir den Hals brechen soll. Alternativ gibt es da ja natürlich noch das Messer oder die Kugel, aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?!
Ergeben seufze ich und blicke in die erwartungsvolle Menschenmenge, die zu mir hoch schaut - einige machen sogar Fotos. Wollen sicherlich meinen Tod dokumentieren. Sicher ist er da unten irgendwo und erfreut sich wieder mal seiner Kreativität.
Während ich mir langsam die glänzende Schlafmaske ins Gesicht ziehe, klicken unter mir die Kameras und ein kleines Kind schreit irgendwas von 'gleich' und 'runterfallen'.
Ich klammere mich panisch an meinen ach so hübschen Regenschirm, setzte wackelig einen Fuß auf das Seil und kippe fast auf der anderen Seite wieder herunter.
Meine Fresse! Das ist ja wirklich nur einen Millimeter dick!
Meine Atmung verschnellert sich drastisch und mein Adrenalinpegel steigt besorgniserregend schnell.

Gaaaaanz ruhig.
Einatmen, ausatmen, ein -
Oh mein Gott ist das hoch!

Die Menge unter mir gröhlt als ich noch einen Schritt nach vorn in Richtung Tod mache. Irgendwas an dem Seil (oder auch der Wind. Auf jeden Fall waren beide doof) bringt mich aus dem Gleichgewicht und mein einer Fuß knickt um. Ich halte mich einfach weiter an dem merkwürdigen Regenschirm fest, obwohl das sicher das dümmste ist, was ich in dieser Situation hätte machen können. Als ich grade herunter kippe, lasse ich den Schirm aber los (er fliegt nach unten in die Menschenmenge. Hoffentlich erschlägt er ihn!) und halte mich an dem Seil fest.

Toll gemacht Mara! Jetzt können alle dein Tu-Tu-Höschen sehen!

Ist ja nicht so, dass sie das auch schon vorher konnten! Wie machen das die 'echten' Seiltänzer denn?

Keine Ahnung, aber ich an deiner Stelle würde jetzt los lassen. Du weißt ja, dass du nicht stirbst. Ich weiß nicht, ob du das auch mitbekommst, aber das Seil bohrt sich in deine Handflächen...

Langsam löse ich meine verkrampften Finger von dem Draht und lasse mich fallen. Ich hoffe, ich sehe dabei wenigstens ein wenig elegant oder vielleicht noch ein bisschen hübsch aus, aber das war ja grade eher Nebensache.

40 Meter.

30 Meter.

20 Meter.

10 Meter.

3 Met -

Ich schließe meine Augen und erwarte den Aufprall. Schmerzhaft eher nicht - also, glaube ich.

Nein okay, ich lande vergleichsweise weich in den Armen eines großen Jungen. Perplex starre ich ihn an - beziehungsweise seine Augen. Saphirgrün. Warte, nein. Saphire sind blau. Okay, seine Augen sind dann eher Samragdgrün. Naja, ich schweife ab. Auf jeden Fall schaue ich ihn ein bisschen zu lang an. Schnell drehe ich mich, purzle so von seinen Armen und stelle mich schnell wieder hin.
Was genau sagt man denn in so einer Situation? 'Danke, dass du mich aufgefangen hast' ?

"Ich muss gehen."
Okay Mara. So geht's auch... kein 'Danke' oder so. Der Typ findet dich schon allein wegen dieser Antwort sicher total bescheuert.
Leicht irritiert blinzelt er mich an. Da ich keine Ahnung habe, was ich jetzt sagen soll, drehe ich mich - so gut das auf meinen High Heels eben geht - um und laufe los.

"Ich bin übrigens Paul." Ruft er mir hinterher.

"Schön. Und? Wer will das wissen?" Toll gemacht! Jetzt hast du sicher ein paar Pluspunkte auf deiner Beliebtheitsskala bei ihm! Sowas ist genau das richtige Verhalten!

"Na, du vielleicht."
Ich verkneife mir eine Antwort und laufe weiter. Hoffentlich kommt er mir nicht hinterher! Aber neee... ich höre seine schnellen Schritte hinter mir. Er rennt also. Kurz bevor Paul mich erreicht, dreht sich plötzlich alles und um uns herum wird es schwarz.

Nightmares ~pausiert~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt