Kapitel 3

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Zu Unterrichtsschluss verabredete ich mich noch mit Lara für den nächsten Tag und ging dann zu meiner Bushaltestelle. Ich sah mich um. Alles schien normal. Dieselben Menschen, die in meiner Ortschaft wohnten. Dieselben Geräusche, die ich sonst auch immer wahrnahm. Und dieselben Gerüche. Ich blickte noch einmal um mich und holte dann mein Smartphone aus meiner Jackentasche um die Kopfhörer daran anzuschließen, die in meiner Hand lagen. Ich wollte den ersten Hörer in meinem linken Ohr befestigen als ich eine Person sah, die zielstrebig auf mich zusteuerte. Es war mein Nachbar Lukas. Wir kannten uns schon seit dem Kindergarten und verstanden uns eigentlich ganz gut. Er schlenderte gelassen auf mich zu und warf dabei seine blonden lockigen Haare zurück. „Hey.“ Begrüßte ich ihn. „Lange nicht mehr gesehen Ray.“ Er lächelte mir zu. „Ich hatte viel zu lernen.“ Verteidigte ich mich monoton. Mir war aufgefallen, dass all meine Freunde scheinbar immer dann Zeit hatten wenn ich sie nicht hatte. Und warum Lukas nun gleich mit diesem Satz das Gespräch einleitete verstand ich auch nicht. „Egal.“, Er grinste ein wenig, „Dann führ ich dich nachher aus.“ Zielsicher sah er mich an. Als wäre dies nun beschlossene Sache. „Was willst du denn machen?“ Fragte ich ihn neugierig. Er strich sich sein Haar aus dem Gesicht, das vom Sonnenlicht erhellt wurde und zuckte dann kurz mit den Schultern. „Wie wär’s mit Eislaufen? Der See in der Nähe unserer Häuser, auf dem wir als Kinder immer Schlittschuh gelaufen sind, ist wieder zugefroren. Hast du Schlittschuhe?“ Er warf mir gleich mehrere Fragen auf einmal an den Kopf und hatte noch nicht mal eine Zusage von mir erhalten. Aber so war er eigentlich schon immer gewesen. „Ich hab Schlittschuhe ja.“ Entgegnete ich nur und lief dann, zusammen mit der Menschenmasse, die auch an der Haltestelle stand, zu dem Bus, der gerade in die Haltestelle einbog. Lukas packte den Griff meines Schulrucksacks und zog mich zu sich hin. Ein wenig erschrocken von dieser Geste blickte ich ihn verwirrt an. „Was ist denn?“ fragte ich verwundert. „Rede richtig mit mir und bleib.“ Kommandierte er mit genervtem Gesichtsausdruck. „Aber der Bus ist da. Wenn wir nicht reingehen müssen wir lange warten bis der nächste kommt.“ Erklärte ich immer noch ein wenig aufgekratzt und versuchte meinen Rucksack aus seinem Griff zu befreien. Er rollte genervt mit den Augen und zog mich dann, etwas grob, am Griff meiner Schultasche in den Bus. Dass uns die Leute dumm ansahen schien ihn nicht weiter zu stören, ich fand es aber ein wenig peinlich, was höchstwahrscheinlich daran lag, dass ich diejenige war, die in den Bus gezogen wurde. „Du kannst mich wieder loslassen ich bin auch fähig alleine zu laufen.“ Äußerte ich mich ein wenig leiser, da ich nicht die Aufmerksamkeit von allen Menschen in diesem Bus wollte. Lukas kümmerte sich aber nicht weiter um meine Wiederworte und zerrte mich zu einem bereits besetzten Sitzplatz, bei dem er die darauf sitzenden mit einem schroffen „Verzieht euch das ist mein Platz!“ verscheuchte. Dann nahm er darauf Platz und zerrte mich auf den danebenliegenden Sitz. Verdutzt blickte ich ihn an. Was war das denn? „Ist irgendwas passiert? Du bist komisch.“ Konfrontierte ich ihn. Er zog eine Augenbraue nach oben und atmete angespannt aus. Dann sagte er: „Ich bin nur ein bisschen gestresst, weil meine Eltern sich wieder gestritten haben.“ Erzählte er mir mit einer sanfteren Stimme. Seine Eltern hatten sich getrennt als Lukas noch im Kindergarten war und konnten sich nun nicht mehr wirklich leiden. Ständig stritten sie wegen irgendetwas, dass kein normaler Mensch verstehen konnte. Was ich nicht verstand war, wie man sich hassen konnte nachdem man sich einmal so sehr geliebt hat um zu heiraten. Aber das war ja nicht mein Problem. „Kann ich etwas für dich tun?“ fragte ich schließlich. Mitgefühl war keine meiner Stärken, deshalb wusste ich nie so recht was ich in diesen Situationen sagen sollte aber ich versuchte es einfach mal so. Ihn schien das hingegen zu belustigen und er kicherte: „Da gibt es viele Sachen die mit denen du mich glücklich machen könntest. Aber fürs erste gehen wir nachher Eislaufen ja?“ Jetzt konnte ich wohl schlecht Nein sagen. Ich nickte ihm zu und hörte mir dann noch eine halbe Stunde alle Einzelheiten über den Streit seiner Eltern an, die er mir aufgebracht schilderte.
Ich öffnete noch schnell den Briefkasten bevor ich das Haus betrat, da meine Mutter heute etwas länger arbeiten musste und mein Vater erst am Wochenende zurück nach Hause kam. Er arbeitete als Fußballtrainer für einen Verein in der zweiten Liga, weshalb ich ihn öfter nicht sah. Ich steckte den kleinen Schlüssel in das Briefkastenloch und drehte ihn nach links. Das Schloss gab nach und die Briefkastentür gab ihren Inhalt preis. Darin befanden sich zwei Briefe an meine Mutter und einen adressiert an mich. Äußerst komisch sonst bekam ich nicht so oft Post. In dem Moment fiel mir wieder der kitschige Liebesbrief von gestern ein und ich musste schmunzeln. Ich nahm die Post mit in das Haus und schloss die Tür hinter mir. Die Briefe, die für meine Mutter waren legte ich auf den Küchentisch und den an mich öffnete ich gespannt. Das Briefpapier war, wie am gestrigen Tag, rosa, mit dem Unterschied das der Verfasser heute kleine Blumen darauf gemalt hatte. Es waren kleine Rosen die mit Bleistift gezeichnet waren. Mein Verehrer war also künstlerisch begabt das fand ich sehr lustig. Nachdem ich die künstlerischen Fähigkeiten bewundert hatte widmete ich mich dem Inhalt des Papiers.
In der Dunkelheit dieses kalten Winters erhellst du meine Sicht.
Wie ein Engel kamst du herab,
auf meine gefühlslose Welt voller Schwärze.
Ich wünschte alle Menschen auf dieser Welt würden verschwinden,
damit ich dich für mich alleine hätte.
Ich wünschte ich hätte einen Platz in deinem Herzen, der nur für mich bestimmt ist.
Ich wünschte du wärst kleiner, damit ich dich in einen Käfig stecken könnte, aus dem du niemals wieder herauskommst.
Ich wünschte du würdest so empfinden wie ich, damit wir für immer glücklich sein können.
Ich wünschte du wärst mein
Für immer
Ich liebe dich Rachel

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