4. Kapitel

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4. Kapitel

Wir waren stundenlang gefahren, bis weit in die Nacht hinein und wir alle waren erleichtert, als Mr Andrews endlich eine Schlafpause ausrief. Wir klappten die Sitze in den Kutschen auf und so wurde das Innere unseres Gefährts kurzerhand zu einem großen Bett auf dem ich neben Connor und Prinz Louis lag. Ich war wirklich müde, doch trotzdem stellten mein bester Freund und ich noch lange Fragen über das Schloss und die Hauptstadt. Eine Weile unterhielten wir uns dann noch über belanglosere Dinge, wie das Lieblingsessen oder Lieblingsbücher von neuweltlichen Autoren. Doch als auch Connor und Louis immer müder wurden, beschlossen wir, am nächsten Tag auf der Weiterfahrt zu reden. Der Prinz war nach kurzer Zeit eingeschlafen und auch von Connor vernahm ich ein leises Schnarchen, doch ich konnte trotz meiner Erschöpfung kein Auge zu tun. Seufzend setzte ich mich auf, schob die Decke beiseite und öffnete vorsichtig die kleine Tür der Kutsche. Draußen herrschte absolute Dunkelheit. Um uns herum war ein Wald aus großen Bäumen, die ein wenig bedrohlich aussahen. Am Himmel sah man viele Sterne und der Vollmond spendete genug Licht, dass man vereinzelt kleine Tiere an unserem Rastplatz vorbeihuschen sah. Hinter mir schloss ich die Tür der Kutsche und ging ein paar Schritte die Straße entlang. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich fuhr herum, doch anstatt irgendeiner Gefahr sah ich vor mir Connor stehen. Ich beruhigte mich und atmete aus. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich in diesem Moment die Luft angehalten hatte. „Hab ich dich geweckt?", flüsterte ich schuldbewusst. „Ist nicht schlimm.", besänftigte Connor mich. Er stellte sich neben mich und zusammen sahen wir in den Wald hinein.

„Bist du nicht müde?", fragte er nach einer Weile.

„Natürlich bin ich müde, aber ich kann nicht schlafen."

„Zu viel Aufregung?"

„Ja. Komm lass uns wieder reingehen", sagte ich.

Connor lief vor und hielt mir elegant die Tür auf. „Madame, ihre Kutsche!", sagte er leise. Ich musste kichern, doch ich bemühte mich es zu unterdrücken um Louis nicht auch noch zu wecken. Ich stieg wieder in die Kutsche und legte mich hin, Connor legte sich neben mich.

„Gute Nacht!", wünschte ich ihm.

„Schlaf gut", antwortete er.

An seiner Stimme konnte ich hören, dass er schon fast wieder im Traumland war. Nach kurzer Zeit sank auch ich in einen traumlosen, ruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurden wir früh vom Kutscher geweckt, der uns auch etwas zu Essen mitbrachte. Es war nichts Besonderes, nur Brot mit Käse, doch da das Abendessen gestern sehr rar ausgefallen war, machte es mir nicht das Geringste aus. Nachdem wir fertig waren mit dem Essen klappten wir die Sitze wieder um und aus dem Bett wurden wieder Bänke. Während Connor noch den letzten Restes seines Brotes aß, erzählte Louis mehr über den Königshof. Wir stellten viele Fragen, obwohl wir über das Meiste schon am vorigen Abend geredet haben. Wir würden dort mindestens eine Woche bleiben, bis der General der unseren Einsatz leiten würde, einen genauen Plan gemacht hatte. Offenbar hatte dann jeder eine ganz eigene Suite. Ich war wirklich aufgeregt, doch ich versuchte, dies zu überspielen so gut wie es ging. Nach einiger Zeit blieb die Kutsche plötzlich stehen und von draußen hörte man jemanden streiten. Als ich neugierig aus dem Fenster sah, stand dort Mr Andrews und diskutierte mit einem fremden Mann in Uniform. Wir standen leider zu weit weg um alles zu hören, doch einige Wortfetzen wie „...muss sehen, wen oder was sie transportieren...", „...bereits sagte, das sind der Prinz und..." und „...diese dämlichen Grenzkontrollen..." verstand man. Schließlich klopfte Mr Andrews mit sichtlich schlechter Laune an unsere Kutschentür. „Hoheit, jemand verlangt nach ihnen!", rief er durch die Tür. Dabei starrte er wütend auf den Grenzkontrolleur. Louis seufzte, stand auf und verließ die Kutsche. „Danke, Euer Hoheit.", murmelte Mr Andrews. Die beiden gingen zu dem Kontrolleur, unterhielten sich und gestikulierten dabei wild. Sie redeten nicht laut genug als dass man irgendetwas verstehen könnte, doch offensichtlich diskutierten sie. Erst nachdem Mr Andrews dem Kontrolleur alles Mögliche an den Kopf warf, wie zum Beispiel kein guter Grenzkontrolleur zu sein und sich respektlos zu verhalten, wurden wir von dem Mann durch ein riesiges, eisernes Tor gewinkt, an dessen Seiten eine steinerne Mauer stand. Zuvor war sie mir nicht aufgefallen, denn an ihr schlängelten sich viele Kletterpflanzen hoch, die ich noch nie gesehen hatte. Und dann waren wir in der Stadt. Molina war auf den ersten Blick nichts Besonderes, aber von Näherem betrachtet sah man, dass die Stadt ein architektonisches Meisterwerk war. Wir befanden uns zwar noch im ersten Ring der Stadt, doch schon hier waren die Häuser beeindruckend. Staunend öffneten Connor und ich zu beiden Seiten der Kutsche die Schiebefenster und streckten den Kopf aus dem Fenster und nahmen alles in uns auf.  Als wir über den Marktplatz fuhren, wurde es sogar noch spannender. Die Gerüche und Farben waren überwältigend und ich hatte mit Sicherheit noch nie so viele Menschen gesehen. Der Platz war groß und einladend und an jedem Stand konnte man etwas anderes erwerben. Ich sah viele Leute die offensichtlich aus einem der inneren Ringe kamen und nur zum Einkaufen hier waren. Sie trugen bunte, pompöse Kleider und große Hüte mit kleinen Schleifchen daran. Um sie herum wuselten Bedienstete, die Körbe und Taschen trugen und alles kauften, was ihnen aufgetragen wurde. Wir verließen den Marktplatz viel zu schnell wieder -gern hätte ich das alltägliche Spektakel etwas länger angesehen- und fuhren durch das Tor in den zweiten Ring. Im Vergleich zum ersten Ring war der zweite eher unspektakulär, doch nicht weniger beeindruckend. Auf den Straßen sah man kaum Bewohner, dafür mehr Dienstboten, welche durch die Stadt liefen um Dinge zu besorgen oder Nachrichten zu überbringen. Nach kurzer Zeit passierten wir den zweiten Ring. Vor dem Tor zum dritten Ring wurden wir erneut von einem Kontrolleur angehalten. „Sir, bitte entschuldigen sie die Unterbrechung ihrer Reise, darf ich wissen, wer sich alles in dieser Kutsche befindet?", fragte er Connor, der am rechten Fenster und damit auf der Seite des Kontrolleurs saß. In diesem Moment sah Louis auf, der sich bisher Notizen in ein kleines Buch gemacht hatte. Er beugte sich zum Fenster und ein Strahlen breitete sich über sein Gesicht aus. „Dean! Ich wusste nicht, dass du heute Dienst hast!", rief Louis. „Hey, Louis, du bist wieder da! Na, habt ihr das Mädchen rekrutieren können für den Auftrag?", rief dieser Dean zurück. „Red doch nicht hier darüber!", schimpfte Louis und sah sich nervös um. Dean schüttelte seine schwarzen schulterlangen Haare als er lachte. „Louis, du bist zu paranoid, wer sollte denn hier etwas darüber wissen?", fragte Dean. „Naja, wir sehen uns später. Durch mit euch!"

Louis und Dean beendeten ihr kleines Gespräch und die Kutsche fuhr weiter. Wir befanden uns jetzt im dritten Ring. Die Bewohner dieses Ringes besaßen offensichtlich mehr Geld als die der Ringe, die wir bereits gesehen hatten. Die Häuser waren groß und mehrstöckig und die Straßen waren sorgfältig gekehrt und aufgeräumt. Auf Bänken an Bürgersteigen saßen Frauen mit wunderschönen glitzernden Kleidern und unterhielten sich.  Ich war so gebannt von der Vielfalt, dass ich kaum merkte, wie wir in den nächsten Ring fuhren. Erst als Louis hastig die Fenster schloss, realisierte ich, dass wir uns bereits im vierten Ring befanden. Verwirrt sah ich ihn an. „Warum hast du die Fenster zugemacht?", fragte ich. Bevor er mir antwortete, zog er auch die rot-samtenen Vorhänge zu. „Das hier ist der Wirtschaftsring. Alle Firmen stehen hier und die meisten kleineren und größeren Läden. Leider haben sich auch die Armen in den Gassen eingenistet. Es gibt oft neue Arbeitsstellen, dann sind die Obdachlosen natürlich an erster Stelle. Bettler können wir jetzt gar nicht gebrauchen, wir sind schon viel zu spät.", erklärte Louis uns. „Wo wohnen denn die Arbeiter? Ich sehe hier keine Wohnhäuser.", hakte Connor nach, der durch den Vorhang späte. „Die meisten wohnen im zweiten oder dritten Ring", setzte Louis seine Erklärung fort. „Ganz wenige, wie Anwälte die hier nur einen Nebenberuf haben, wohnen im fünften Ring." Connor setzte seine Spionage fort, doch er zuckte vom Fenster zurück, als plötzlich ein höllischer Gestank in die Kutsche eindrang. Ich hustete angeekelt und unterdrückte den Würgereiz. „Was ist das denn?", rief ich, während ich mir die Nase zuhielt. „Das ist die Gerberei. Früher lag sie außerhalb der Stadt, aber es wurden zu viele wilde Tiere dadurch angezogen, also hat man sie hierher verlegt. Der Geruch hört gleich auf." Louis hatte Recht, nach weniger als fünf Minuten hatte sich der Gestank verzogen.

Kurz darauf fuhren wir durch ein weiteres Tor in den fünften, innersten Ring. Neugierig zog ich die Vorhänge wieder auf und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier standen ausschließlich Villen mit netten Vorgärten und auf den marmornen Straßen gingen Frauen und Männer in den elegantesten Kleidern die ich je gesehen hatte. Über dem ganzen Ring hing ein etwas süßlicher Duft, der mich an Erdbeeren erinnerte. An den Straßenrändern standen außerdem edel gekleidete Musiker, die auf Flöten und Geigen spielten und dazu sangen. Wir fuhren weiter und als unsere Kutsche um die nächste Biegung fuhr sah ich es: Das Schloss.

Es war riesig und beeindruckend und wunderschön. Der Stein des Schlosses war weiß und umso näher wir kamen, desto besser sah man die filigranen Verzierungen und Muster.

Dann öffneten sich die Schlosstore und die Kutsche fuhr in den gewaltigen Innenhof.

Alles und NichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt