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Irgendwann wachte ich auf. Hatte ich wirklich geschlafen? Auf jeden Fall lag ich immer noch hier am Boden. Verunsichert hob ich meinen schmerzenden Kopf. Aua. Wo war ich genau? Auf einer Brücke. Ja und? Immer wieder liefen Leute an mir vorbei, ihre Blicke auf Handy und andere elektronische Geräte gerichtet. Manche Kinder starrten mich mit großen Augen an, doch ihre Mütter zogen sie bei meinem Anblick schnell weiter. Half mir denn wirklich keiner? Es schien mich dennoch jeder einzelne, vorübergehende Passant zu bemerken, bewegte sich aber unter meinem Blick nur schneller vorwärts. Ich sank zurück auf den Boden. Ich wollte zurück, zurück in mein altes Leben. Hier passte ich nicht hin. Das Wetter, die Leute, nein, das war nicht das, was ich liebte. Ich wollte weg. Weg von dem Horror. Wieder zu Mum. Ach Mum. Wie es ihr wohl ging? Ob sie etwas bemerkte, auch wenn sie im Koma lag? Was würde geschehen, wenn sie sterben würde? Das durfte sie nicht, trotzdem, ich wäre alleine. Alleine dieser komischen Welt ausgesetzt. Kaum die Kraft aufzustehen erhob ich mich schließlich, der junge Mann, der mir entgegenkam glotzte mir unverschämt in Gesicht und spukte vor meine Füße. Was hatte er bloß? Verbrochen hatte ich wohl nichts. Dan kam eine ältere Frau mit einem etwas sechsjährigen Mädchen daher, das blonde Kind zeigte auf mich und der Blick der Dame raste zu mir, woraufhin sie dem Kind die Augen zuhielt. Verdammt, was war nur so falsch mit mir? Was hatte ich der Welt getan oder was hatte die Welt mir getan?! Ich stolperte vorwärts, immer wieder wurde alles schwarz und ich war vor Hunger schon halb ohnmächtig. Ohne Plan, ohne Wissen wohin. Ich rannte einfach nur, obwohl meine Beine einzuknicken drohten. Hustend, stolpernd spürte ich den Boden unter meinen Füßen fliehen. Meine Lunge war wie abgeschnürt, ich bekam kaum noch Luft. Ich sah nur mehr schemenhafte Umrisse von Gebäuden, Menschen und Sträuchern, mein Blut pochte so laut, dass es schmerzte, mein Kopf explodierte regelrecht. Mehr schlecht als recht klammerte ich mich schließlich an eine Hauswand und sank kraftlos zu Boden. Ich wusste nicht wo ich war, doch noch schlimmer, ich erkannte mich nicht wieder. Ich hatte mich selbst verloren? Wer war ich? Plötzlich sah ich Silhouetten von etwas. Von was? Keine Ahnung. Menschen? Ich blinzelte. Einmal. Zweimal. Mein Blick wurde etwas klarer. Drei Jungs. Drei Jungs? Ich japste erschrocken auf. Nein, bitte nicht. Nicht Luke, Phil und Josh. Nicht. Nicht! "Ah wen haben wir denn da?" Ein Tritt. Hände zerrten an mir. Ich wollte treten, mich wehren, aber ich war schwach, viel zu schwach. Also ließ ich mich einfach mitschleifen, unter Tritten, unter Tränen. Unter Höllenqualen. Lass mich gehen. Sie ließen mich nicht. Warum auch? Warum sollten sie so ein Opfer wie mich gehen lassen. Wir bogen in eine kleine Gasse ein, weit weg von den vielen Menschen der Hauptstraße, weit weg von all dem Lärm. Jetzt war ich alleine mit ihnen. Wie ein Hase ein paar hungrigen Raubtieren. Keine Chance zu fliehen. Keine Kraft. Dieser Schmerz, diese Demut, die sich in mir breit gemacht hatte. Es brachte mich regelrecht um. Kühle Hände strichen mein Gesicht, ich sah zwei dunkle, blaue Augen vor meinem Gesicht schweben. Lass mich in Ruhe. Er schlug mich ins Gesicht. Mein Kopf knallte gegen die Betonmauer hinter mir, es gab ein ekelhaftes Geräusch und Schmerz durchzuckte mich. Aufkeuchend landete ich am Boden. Vier Hände nagelten mich an den Boden. Luke hielt mir sein Handy vors Gesicht. Ein Video. Durch einen Tränenschleier konnte ich einen mageren Körper erkennen. Ich. Jemand hatte mich ausgezogen. Ich lag nackt da. Küchenboden. Scheiße. Dieses Video. Ich war total entstellt. "Na, wie gefällt es dir, dass jetzt die ganze Welt weiß, wer du bist, wie du aussiehst?! Gestern ist sogar ein Bericht im Fernseher gekommen. Voll riesig. Vielleicht lernst du jetzt verstehen, dass du dich lieber nicht mit uns anlegst Bitch?" Tränen. Bittere Tränen. Nein! Ich sank nach hinten. Ohne Halt. Begann mich zu übergeben, Blut und Wasser. Mir war so schwindelig. Ich wollte nicht mehr, mein Körper war so lasch, so kaputt. Schemenhaft sah ich zu, wie die drei wieder zu mir kamen, Luke als erstes. Er riss meine Kleidung vom Leib und ließ sie achtlos zu Boden gleiten. Die anderen wichen zurück, Phil hatte wieder seine Kamera gezückt. Jetzt war ich wieder im Bild, in Unterwäsche. Luke schlich wie eine Raubkatze zum meinen zitternden Körper herum. Was hatte er nur vor? Dann sprang er vor und schlug mich quasi gegen die Wand, der harte Stein schlitzte meinen Rücken auf. Ich schrie. Womit hatte ich das verdient? Diese bittren Tränen mischten sich in mein eigenes Blut. Wie betäubt lehnte ich an die Steinwand gepresst. Mein BH wurde mir vom Leib gerissen, meine Unterhose. Ich spürte kalte Hände auf meiner Haut. Er schlug mich. Einmal. Ich ging zu Boden. Trat nach mir. Immer wieder und wieder. Plötzlich fanden sich meine blutigen Lippen auf seinen rauen wieder. Er tat mir so weh. Meine Lippen schwollen an, doch er hörte nicht auf. Immer wieder kratzte er mich, schlug nach mir oder zischte bösartige Worte in mein Ohr, bis ich nur mehr wimmernd am Boden lag und meinen Kopf in meinen Armen verstecken suchte. Er lachte auf. So kehlig, so bösartig. Wieder ein Tritt. Je lauter ich schrie oder stöhnte, desto mehr Spaß schienen die Jungs zu haben. Immer wieder ging Luke auf mich los, ich keuchte nur mehr hilflos und ließ alles über mich ergehen. Er nahm sich keine Auszeit, nützte alle Freiheiten und quälte mich. Es tat so weh. Alles, was er tat. Tränen versiegten, Ohrfeigen schallten auf mich herab, bis ich nichts mehr als Piepen in meinen Ohren wahrnahm. Immer wieder spürte ich seine Hände auf mir. Erneut und erneut schlug er mich nieder. Mein Mund war voller Blut. Immer wieder kotzte ich Blut und Wasser, woraufhin ich wieder zurück an die Wand geboxt wurde. Lasst mich frei. Bitte. Ws hatte ich ihnen nur getan? Wie konnten sie so mit mir umgehen?! Nein, bitte hört auf mich zu misshandeln. Bitte. "Für heute ist es genug", drang eine Stimme wie durch eine Watteschicht zu mir hindurch. Ash? Zum ersten Mal hörte ich seine Stimme. Sie war das Gegenteil von der Person, die er war. So samtig weich, so melodisch mit einem wunderschönen Klang. Eine letzter Tritt in die Magengrube. Ich ging wieder in die Knie. "Okay. Aber glaub ja nicht, dass das das letzte war klar?" Dann waren sie weg. Einfach so. Ich weinte. Zitternd lag ich am Asphalt, mein aufgeschürfter Rücken am dreckigen Boden. Es brannte wie die Hölle. Nein, ich wollte nicht mehr. Das Piepen meiner Ohren ließ meinen Schädel wummern. Kraftlos, ausgelaugt kauerte ich mich zusammen und schlang meine blutigen Arme um mich. Alles brannte, mir war bitterkalt und Tränen rannten in Sturzbächen die Wangen hinunter, doch nichts kam gegen den Schmerz in mir an. Wieso musste das immer wieder mir passieren? Wie konnte ich nur so schnell zum Opfer werden, ohne, dass ich wusste wieso? Für was lebte ich hier noch? Niemand wollte mich, niemand war für mich da. Keiner, mit dem ich reden wollte. Das einzige, was ich jetzt noch begehrte war mein altes Leben, das Leben, in dem ich die süße Coole war. So schnell konnte es gehen. Aber wieso gerade mir? Ich war nie gemein gewesen, hatte weniger gelästert als alle anderen und half wo ich nur konnte. Dafür wurde ich jetzt kaputt gemacht?! Wie konnte die Welt nur so verdammt gegen mich sein? Gegen ein unschuldiges Mädchen, dessen Leben mit einem Mal zusammenbricht? Wie sollte das nur weitergehen? Tränen. Nichts als Tränen, die der Schmerz hervorrief. Warmes Blut. Tiefe Wunden. Versagerin. Ich war eine verdammte Versagerin. Wieso konnte ich das nicht richtig machen? Jetzt war ich endgültig vor der Welt entstellt. Für immer. Nie wieder könnte ich einfach so rausgehen, ohne dass jemand blöd schaute. Nie mehr in meinem beschissenem Leben. Es zerfraß mich, machte mich so kaputt. Ich war so hoffnungslos, so zerbrochen, wie man einfach so mit ein paar Videos alles zerstören konnte. Das war nicht dieses übrige Dissen, das war eine andere Art von Mobbing. Aber dennoch hätte ich nie geglaubt, dass man einen Menschen so verletzten konnte, mit ein paar Worten, Bilder oder einfach nur dem Umgang. Nie hatte ich verstanden, wieso man sich ritzten beginnen würde, wieso manche Menschen wirklich von sich aus so zerbrochen waren, dass sie Selbstmorde begingen. Doch jetzt, wo mir mein Leben entglitt, konnte ich es nachvollziehen. Man hatte mir so viel genommen, schlussendlich auch mich selbst. Wo ich? Wo war die coole, selbstbewusste Chloe? Wo? Alles was andere wollten, war mich am Boden zu sehen. Ohne Grund. Wenn ich doch wenigstens wüsste warum. Warum die Welt nur so hart sein konnte? Ich rollte mich zur Seite. Meine Wunden brannten wie die Hölle, doch ich biss die Zähne zusammen. Dennoch, dieser Schmerz war das, was mich im Moment daran erinnerte, dass ich noch lebte. Es war gut so. Mein Herz pochte heftig, als meine zerschlissenen Finger über die Kratzer, die teilweise wirklich bösartig tief waren, fuhren. Teilweise war ich mit Blutergüssen, Platzwunden und einfach nur tiefen Wunden versehen. Meine Glieder waren halb taub vor Schmerz. Gut so. Ich lebte. Noch. Aber wie lange? Wie oft würde ich das noch halten müssen? Ich war kein starker Mensch, ich war schwach, zu schwach, um gegen mich selbst zu kämpfen. Ich sehnte mich plötzlich so sehr nach Freiheit. So sehr danach, frei zu sein. Einfach, dass alles aufhörte. Doch was, wenn Mum doch noch aufwachen würde und sie erfuhr, dass ich tot war? Falls sie es jemals erfahren würde, wenn ich hier starb? Das konnte ich ihr nicht antun, egal, was für eine Mutter sie war. Vielleicht hatte sie einfach eine andere Einstellung zum Leben, al die meisten Mütter. Manchmal hatte ich meinen Vater vermisst, aber nachdem ich ihn nie gekannt hatte, war alles halb so schlimm. Klar, als an manchen Tagen die Kinder von ihrer ganzen Familie abgeholt worden waren, ich als einzige nur von Mum, fühlte ich mich komisch. Wir beide waren uns ziemlich distanziert, sie machte ihr Ding, ich meins. Eigentlich war es gut so. Wir waren verschieden. Vielleicht weniger, als ich gedacht hatte, aber dennoch nicht so, dass sie jemand wäre, dem ich alles anvertrauen hätte können. Nie. Dazu hatte ich Emilie, aber nachdem ich nie etwas schlimmeres hatte außer Liebeskummer, konnte ich das auch nicht zu 'großen' Problemen zählen. Aber was war jetzt, wenn sie das Video gesehen hatte? War sie wirklich jemand, der immer für mich da war oder würde sie von nun an abstreiten mich je gekannt zu haben, weil es ihr einfach peinlich war einen Looser befreundet zu sein? Die anderen Mädels hatten mich bestimmt im Stich gelassen oder waren einfach nur entsetzt, so wie ich sie kannte. Aber Emilie? Konnte ich auf sie zählen? Wohl eher nicht. Naja. Scheiße. Ich hob meinen Kopf ein wenig und sah mich um. Hier war niemand. Hier war nichts. Dann entdeckte ich eine halb verrostete Metallplatte. Vorsichtig robbte ich hin und fasste einen Entschluss. Ich nahm eines der abgesplitterten Teile in die Hand. Das Metall fühlte sich grausam kühl auf meiner haut an, als ich das kleine Stück zwischen den Kratzern am Unterarm ansetzte. Was ich machte? Ich versuchte die Schmerzen zu übertrumpfen. Die Schmerzen, die mich innerlich so kaputt machten. Ich wollte einfach für ein paar Momente alles vergessen. Und diese Sekunden würden es wert sein. Mein Körper war mir so egal. Ich war hässlich. Hässlich und dumm. Dann drückte ich. Die scharfe Kante glitt in mein Fleisch. Ich riss meinen Mund zu einem lautlosen Schrei auf. Es tat gut. Irgendwie. Tränen tropfen auf den Schnitt. Erneut setzte ich an. Wieder zog ich das scharfe Metall durch meine Haut. Ich brach zusammen. Es brannte so höllisch. Noch einer. Und noch einer. Immer tiefer. Immer wilder. Immer mehr der Drang Schmerz zu spüren. Ich war dumm. Dick. Hässlich. Fett. Wieso sollte man mich sonst hassen? Irgendwann wurde mein Arm taub. Ich ließ das blutverschmierte Plättchen sinken. Aua. Tränen mischten sich mit dem hellroten Blut zusammen. Es tat so weh. In mir bebte alles. Es war ein Chaos auf Hass, der Wut, einfach dieser Hoffnungslosigkeit der Looser zu sein. Langsam sank mein Kopf zu Boden. Wieder. Zu schwach, um nach meiner Kleidung zu greifen, die am dreckigen Boden lag. Zu müde, um noch etwas anderes zu tun, als die schweren Augenlieder zu schließen. Scheiß Welt. Ich hatte mich endgültig verloren. Für immer? Vielleicht. Ja. Egal. Scheiße, es tat so weh. Ich war selbst schuld. Eine Heuchlerin. Versagerin. Schon alleine diese Worten wiederholten sich immer wieder und wieder in meinem Kopf. Mum wäre vielleicht besser ohne mich dran gewesen. Sie hätte freier sein können. Vielleicht wäre dann dieser Unfall nicht passiert. Alles wäre anderes geworden. Mum hätte sich vielleicht ein anderes Kind gewünscht, ein zuverlässigeres, ein besseres. Eines, das nicht diese Versagerin verkörperte und sie im Stich ließ, wenn ich mit ihr reden hätte sollen. Hätte ich. Jetzt war es eigentlich schon zu spät.

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Tamtam :D das wars auch schon wieder :) Voten und Kommis? Bittebittebitte *O* ich liebe euch Potatoes :****

Sweet like SugarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt