Die seltsamen Wege unserer Liebe ↠ zum Anfang

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Es ist, als wäre die Zeit für einen Moment stillgestanden. Vollkommen still. Kein Geräusch, kein Herzschlag, kein Atem. Nichts.

Ich weiß noch genau, wie seine Familie gegenüber von uns einzog. Wie ich Nathan zum ersten Mal sah, wie sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Damals war ich 15, mitten im Hoch der Gefühlsachterbahn, die der von Pickeln und amoklaufenden Hormonen beherrschte Horror, auch bekannt als Pubertät, mit sich brachte. Nathan war 16 und eine Klasse über mir, was ich schon bald darauf erfahren sollte. Aber zurück zum Anfang, denn jede Liebesgeschichte hat einmal irgendwo begonnen, selbst die, die vielleicht nicht so ausgingen, wie man es sich erhofft hatte.

Es war das Ende der Sommerferien, ganz klischeehaft, doch vielleicht brauchte das Leben das Klischee ja, selbst wenn viele behaupteten, es zu verabscheuen. Nathan war vom Land in die Stadt gezogen, das sonnengeküsste Haar erinnerte noch sanft an die Welt, die er nie ganz vergessen hatte. Einmal hatte er mir erzählt, dass er seine Heimat vermisste. Daraufhin hatte ich wohl etwas verwirrt dreingeschaut, denn er hatte da dieses leichte Lächeln, welches seine Grübchen offenbarte und fügte seinen vorherigen Worten ein „Ich vermisse den Ort, dem mein Herz gehört" hinzu. Das brachte mich zu der Zeit beinahe zum Schmelzen, wünschte ich mir doch, ihm diesen Ort zu bieten, einen Ort, an dem er sich wohlfühlen konnte.
An diesem Tag waren schon ein paar Wochen vergangen, seit er in unserer Stadt wohnte. Die Ferien waren, unter dem stillen Protest vieler Schüler, und auch zu meinem anfänglichen Leidwesen, zu Ende gegangen. Mein Klagen über diese Umstände hielt allerdings nur so lange an, bis ich entdeckte, dass Nathan dieselbe Schule besuchte, an der auch ich, seit dem Übergang aus der Grundschule, meine Freizeit regelmäßig verabschiedete.

So kam es, dass ich ihn - nach dem ersten zufälligen Blick - nicht mehr länger heimlich anhimmeln musste, als wäre er einer der unerreichbaren Popstars auf einem der vielen Poster, die damals über meinem Bett hingen. Stattdessen konnte ich von da an fünf Tage die Woche mit ihm denselben Weg teilen, eine erste Gemeinsamkeit, die mich damals in freudige Ekstase versetzt hatte.

In der ersten Woche waren es noch rein zufällige Begegnungen, die vielleicht auch nicht ganz so zufällig waren, hatte ich doch nach einem Gespräch meiner und seiner Eltern gewusst, dass er einen Jahrgang über mir auf meiner Schule besuchen würde. Mit diesem Wissen und der Entschlossenheit, den hübschen Jungen von nebenan näher kennenzulernen, gerüstet begab ich mich in dieser entscheidenden erste Woche also auf die Mission, Nathans und meinen Schulweg zu einem gemeinsamen Erlebnis zu gestalten. Und ich hatte Glück, denn gleich am ersten Tag ging er nur eine knappe Minute nach mir aus dem Haus.

Das Schicksal schien es also gut mit mir zu meinen, jedenfalls zog mein leichtgläubiges, jugendliches Ich damals genau diesen Rückschluss. Widerworte hätte es wohl von niemandem geduldet.

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