Mit einer Hand wischte Nico sich den Schweiß von der Stirn. Schon seit über einer Stunde stand er hier neben Max und verteilte das Essen, Lasagne, an die Obdachlosen.
Das neue Gesicht fiel auf, manche schauten ihn nur kurz komisch an, andere kamen auf ihn zu und fragten, wer er war und wie lange er bleiben würde. Eines hatten sie alle gemein, das freundliche Lächeln, mit dem sie ihn anschließend willkommen hießen.
Nico war zuerst verwirrt, wieso waren diese Wildfremden direkt so nett zu ihm? Seine fragenden Seitenblicke zu Max führten nur dazu, das dieser anfing zu glucksen.
Langsam wurde die Schlange vor der Essensausgabe kleiner und der Raum war erfüllt von Wärme und entspannten Gesprächen. Die verschiedensten Menschen saßen in Gruppen an den langen Tischen und nahmen die warme Mahlzeit zu sich. Einige waren noch sehr jung, bestimmt noch Jugendliche, andere sahen aus, als wären sie schon ewig auf dieser Welt.
Neugierig betrachtete Nico die vielen fremden Gesichter, bis ihm ein Teller vor die Nase gehalten wurde. Überrascht schaute er auf, in Max lächelndes Gesicht.
„Hier, nimm. Du hast gut geholfen, hast dir eine Pause verdient.“
Dankbar nahm Nico das Essen an, sein Magen knurrte als Antwort. Lachend dankte er Max und machte sich auf zu den Tischen. Allerdings kannte er hier immer noch keinen, und sich einfach irgendwo dabei setzen, wollte er auch nicht. Kurz bevor er umdrehen wollte, spürte er, wie ihn jemand antippte.
„Hey, Nico, nicht? Willst du dich zu uns setzen?“, wurde er von einer ihm nicht fremden Stimme angesprochen. Ein Blick nach unten zeigte ihm, das er direkt an Johnny, dem kleinen Mann von vorhin, vorbeigelaufen war.
Erleichtert setzte Nico sich auf den freien Platz neben Johnny. Dieser stellte ihn auch direkt die Anderen am Tisch vor. Neben Nico saßen Philipp und Chris, die in eine hitzige Diskussion vertieft waren, gegenüber von ihnen saßen Isa und Franz, sowie Henning. Neben Johnny saß noch ein weiterer Mann, Niklas, der ihn nur kurz misstrauisch musterte, bevor er sich wieder seinem Essen widmete.
Fragend schaute Nico Jona an. Leise erklärte dieser: „Mach dir keine Sorgen, das ist nichts persönliches. Niklas mag niemanden auf Anhieb, dafür hat er schon zu früh in seinem Leben das Vertrauen an die Menschheit verloren.“
„Ich bin nicht taub Jona. Ich sitze direkt neben dir, das Flüstern kannst du dir also sparen.“, fauchte eine heisere Stimme. Niklas‘ braune Augen schauten sie herausfordernd an.
Unbeeindruckt schaute Jona zurück: „Niklas, er kann nichts dafür. Gib ihm doch zumindest eine Chance. Ich denke nicht..“ „Was denkst du nicht, Jona? Er ist ein Linke, der Sohn seines Vaters. Glaubst du wirklich, dass er besser ist? Du hast sie doch auch erlebt, diese Familie tut keinem von uns gut.“, unterbrach Niklas ihn.
Verständnislos schaute Nico zwischen den beiden Männern hin und her. Wie konnten sie so über ihn und seine Familie reden? Sie kannten sie doch überhaupt nicht. „Was habt ihr gegen meinen Vater? Wieso hasst ihr mich so sehr?“
Kurz irritiert schaute ihn Niklas zum ersten Mal wirklich an. „Was wir gegen deinen Vater haben? Dein verdammter Vater ist überhaupt erst Schuld, dass wir jetzt sind, wo wir sind. Ohne ihn hätten wir eine Chance gehabt, wären nicht auf der Straße gefangen. Bis dein Vater kam, hatte ich Hoffnung.“
„Wenn einer Schuld daran ist, dass du ein Penner bist, dann ja wohl du. Du schiebst die Schuld nur auf meinen Vater, weil du nicht zugeben kannst, das du versagt hast. Du kannst ja nicht mal Verantwortung für dein eigenes mickriges Leben übernehmen.“, fauchte Nico zurück. Es reichte ihm, er hatte sich diesen Mist lange genug angehört. Ohne ein weiteres Wort nahm er sich seinen Teller und stapfte in Richtung Küche.
In einer ruhigen Ecke aß er die kalten Reste seiner Lasagne. Er hatte von Anfang an Recht gehabt, diese Menschen waren einfach ignorant und dumm. Erst schmissen sie ihr Leben weg und schoben dann anderen die Schuld für ihre Faulheit in die Schuhe. Was konnte denn bitte Nicos Familie dafür, das dieser Niklas obdachlos war? Sie waren ihm nie begegnet, wie konnten sie also die Schuld tragen?
Wütend stellte er den Teller ab und suchte Max. Je schneller er seine restlichen Aufgaben erledigen würde, desto schneller konnte er hier raus.
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„Und die stinken da echt übel, oder? So richtig nach Kanalratte, stimmts?“, kicherte Sebastian.
Das Gesicht verziehend antwortete Nico: „Klar stinken die. Und die stinken nicht nur wie Ratten, die benehmen sich auch so. Einer hat mir fast in die Hand gebissen, als ich ihm dieses Zeug, das die Essen nennen, geben sollte. Das sind kaum noch Menschen, das sind Tiere.“
„Kein Wunder, die sind ja auch ganz ausgehungert. Wenn die auf der Straße leben, essen die aber alles. Wir haben da ja vor kurzem ein Buch zu in der Schule gelesen. Der Eine hat sogar Zigaretten gegessen. Ich glaube, da würde ich lieber verhungern.“, erzählte Juli.
Nico hörte seinen Freunden kaum noch zu, mit den Gedanken war er noch immer in der warmen Halle der Suppenküche. Dieser Niklas ließ ihn einfach nicht los, irgendetwas an ihm ließ Nico nicht zur Ruhe kommen. Es war, als würde er diesen stechenden Blick noch immer spüren.
Zum Glück hatte Max ihn schon früh nach Hause geschickt. Beim Abwasch hatte er dann erfahren, das Philipp, mit dem er an einem Tisch gesessen hatte, auch zu den Mitarbeitern gehörte, allerdings selbst lange auf der Straße gelebt hatte. Anstatt sich aber von den Menschen abzuwenden, zu denen er einst gehört hatte, half er dort mit.
Philipp hatte versprochen, ihm in den restlichen Tagen ein wenig zu helfen. Morgen wollte er Nico unbedingt seinen besten Freund, Chris, vorstellen.
Es schien, als wären die meisten Menschen dort doch freundlich. Alles war so anders, als er es sich vorgestellt hatte. Ja, man merkte den Menschen an, dass es ihnen keineswegs gut ging und dass sie kein festes Dach über dem Kopf hatten. Trotzdem waren viele von ihnen so zuvorkommend und nett wie Johnny, der ihm versucht hatte zu helfen. Johnny war ganz sicher keine Kanalratte!
Das konnte er seinen Freunden allerdings nicht erklären, sie würden es nicht verstehen. Er kannte sie gut genug, dass sie ihn nur auslachen würden. In einer Woche war sowieso wieder alles vorbei, wieso sollte er also seine Freundschaften aufs Spiel setzen, für Menschen, die er nach dieser Woche nie wieder sehen würde?
Trotzdem schweifte seine Gedanken wieder zu Niklas. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie beide sich wieder sehen würden. Irgendwas an diesem Mann war besonders, Nico sag das ganz genau. Wie konnten die Anderen ihn einfach so übersehen?
Kopfschüttelnd versuchte er dem Gespräch seiner Freunde wieder zu folgen.
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Mach doch mal die Augen auf
FanfictionNico lebt in einer Welt, in der Glanz und Glamour regieren. Als Sohn eines reichen Mannes steht ihm jede Tür offen und er ist bei jedem Willkommen. Als er als Bestrafung in einer Suppenküche arbeiten soll, lernt er was wahre Freundschaft ist. #SoDa