1. Kapitel

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Ich spannte alle meine Muskeln an. Ein letztes Mal atmete ich tief aus und dann zerriss der Pfiff meines Trainers die Stille. Ich schoss aus den Startblöcken wie ein Katapult und konzentrierte all meine Kraft in die Beine. Bein hoch, rechter Winkel, so schnell wie möglich setzen, mit aller Kraft wieder abstoßen. Die Arme für den Schwung mitnehmen, sich nach und nach aufrichten. Dann hörte ich nur noch meinen rasenden Herzschlag, meinen langsam unregelmäßigen Atem und die Spikes, die immer und immer wieder auf den alten bröckeligen Tartan aufkamen. Die "Nadeln" von den Spikes, bohrten sich tief in die Bahn, damit ich nicht abrutschte. Ich legte noch mehr Druck und noch mehr Kraft in meine Schritte, sprintete was das Zeugs hielt. Ich verfiel in einen gleichmäßigen Rhytmus. Einatmen, Herzschlag, Schritt, Herzschlag, Ausatmen, Herzschlag, Einatmen, Herzschlag... Und dann war plötzlich die weiße Linie vor mir und mit einem letzten kräftigen Schritt überschritt ich sie. "Nicht schlecht, zwar nicht deine Bestzeit, aber schon ganz gut" ,lobte mich mein Trainer, " 10, 34 Sekunden." Das war für 100m schon nicht schlecht. Ich hatte zwar schon Besseres, aber es war okay. Ich grinste ihn an und trottete zu meiner Trinkflasche. "Boah, Megi trinkt einmal in hundert Jahren wieder mal was, das muss ich mir irgendwo aufschreiben, das ist ein historisches Ereignis!" zog mich Benni auf, ein Mitathlet aus meinem TSV. Ich schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln und rollte die Augen. Es stimmte, viel trank ich nicht, aber das ich einmal in hundert Jahren trank war nun auch übertrieben. Den Zirkel hatte ich für heute schon gemacht, genauso wie die fünf Kilometer joggen für die Ausdauer, die Koordination und das Dehnen. Laufschule hatte ich auch schon gemacht und eine von zwei Disziplinen auch. Ich konnte mir aussuchen welche ich machen wollte. Für den Sprint war ich heute ganz zufrieden, also würde ich jetzt die zweite Disziplin antreten. Aber welche? Erstmal Pause. Ich trank noch einen mächtigen Schluck vom Wasser und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Kugel und Hürde hatte ich erst gestern gemacht also könnte ich heute zum Beispiel Hoch machen. Oder lieber Speer? Stabhoch wär auch eine Option... Weit? Diskus? Ich hatte mich noch nicht wirklich auf eine Disziplin spezialisiert, auch wenn ich am Besten in Hürde, Sprint, Hoch und Stabhoch war. Darum wählte ich bei Mehrkämpfen auch immer den Block Sprint/Sprung. Wurf war nicht so mein Ding und Stabweit war eine absolute Katastrophe, den musste ich erst gar nicht in Erwägung ziehen. Ich würde heute Hoch machen. Die Anlage war schon bereit, da Ava, eine Mitathletin und gute Freundin, gerade sprang. Meine Bestleistung war 1, 85 m was schon echt gut war, vorallem für meine Größe. Ihre war 1, 95m, also etwas über mir. Sie war ja aber auch ein Riese. Als sie Anlauf nahm, für die 1,90m wippten ihre schwarzen Locken hin und her. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben...ich zählte ihre Schritte mit. Plötzlich sprang sie jedoch ab, war aber von der Latte zu weit entfernt, da sie einen Schritt zu wenig gemacht hatte, und riss die Latte. Ich winkte sie zu mir, um ihr den Fehler zu erklären, falls sie ihn nicht schon selber erkannt hatte. Es gab keinen gegebenen Anlauf, oder wie viele Schritte man machen musste, aber man hatte seinen eigenen Anlauf und wenn man den missachtet, wird der sprung meistens nicht so gut. "Ich wusste nicht was ich machen sollte. Hätte ich noch einen Schritt gemacht, hatte ich das Gefühl, ich wär zu nah dran und würde Anfangen zu trippeln, also hab ich ihn ausgelassen." ,meinte Ava, " ich hatte nicht den normalen Rhytmus und Geschwindigkeit wie sonst." Ihre weißen Zähne bildeten einen krassen Kontrast zu ihrer dunklen Haut. Ich schenkte ihr ein Lächeln, dass sie erwiderte, wobei ihre meerblauen Augen etwas hervortraten. " Und welche Höhe darfs für dich sein?" fragte sie mich. " Erstmal 1,75m" antwortete ich ihr. Zusammen stellten wir die Höhe ein und ich messte erstmal meinen Anlauf aus. Als ich das getan hatte, atmete ich erstmal tief aus, wippte bisschen hin und her , um Schwung zu holen, und setzte den ersten Fuß. Der Tartan dämpfte meine Schritte, ich beschleunigte etwas, wurde immer schneller, lief die Kurve aus, drückte meine linke Schulter nach hinten, dann lief ich die letzten drei Schritte mit vollem Druck und drückte mich mit dem linken Fuß so fest ab wie ich konnte. Ich riss während dem Absprung noch die Arme und das rechte Bein nach oben, um den Schwung rauszuholen, hielt, indem ich die linke Schulter stets nach hinten hielt, gegen den Schwung, der mich gegen die Latte geschleudert hätte, an und es katapultierte mich regelrecht nach oben. Die Luft zischte an meinem Ohren vorbei, ich hörte meinen flachen Atem und den rasenden Puls, das adrenalin kam ich kaum noch war, alles war still, ich stieg immer weiter nach oben. Als ich merkte, dass ich den Höhepunkt erreicht hatte, drehte ich meinen ganzen Körper um 90°, also war mein Rücken zur Latte gedreht, streckte mich so viel wie ich konnte, machte eine Brücke und bevor ich mit den Waden die Latte reißen konnte, klappte ich nach hinten um und landete auf der Matte. Es ging alles so schnell. Aber ich hatte beim Sprung ein gutes Gefühl und hatte tatsächlich auch nicht gerissen. Ich hatte alles angespannt ohne es zu merken, was aber gut war, da es mir die brauchbare Stabilität verlieh. Die nächsten Sprünge wurden ähnlich. Die 1,85m hatte ich gerade noch geschafft. Andreas, mein Trainer, meinte, ich müsse noch die linke Schulter mehr zurückdrehen, dann würde ich mit Übung die 1,90m schaffen. Mir war klar, dass ich die heute nicht knacken würde, aber zum Üben stellte ich die Latte um fünf cm höher. So 1,90m. Das war eine harte Nuss. Ich legte noch mehr Kraft in den Anlauf und drückte mich noch stärker ab, aber selbst nach drei Versuchen hatte ich die Höhe nicht geschafft. Enttäuscht war ich nicht, denn das war mir von anfang an klar. "Waren gute Versuche, hat nicht mehr viel gefehlt. Noch paar Tage und du hast sie geknackt. Gut! Ich hät aber auch nichts anderes erwartet!" sagte Andreas und zwinkerte mir zu. Ich grinste ihn an und nickte. Er lächelte zurück, strich sich eine rabenschwarze Strähne aus der Stirn, klatschte in die Hände und verkündete: "Leute, für heut ist gut. Ihr seit entlassen!" Langsam räumten die Leichtathleten die Sachen (Speere, Hürden, Kugeln, Terrabänder, Gewichte, etc.) auf, nahmen ihre Trinkflaschen, tranken was, räumten sie in die Rucksäcke und versammelten sich bei den Fahrrädern. Wir fuhren alle zusammen heim. Daniel und Alex verabschiedeten sich dann und fuhren Richtung Aldi, Emily, Sandra und Leo fuhren Richtung Bahnhof, Barbara, Stefan, Jan und Paula ins Zentrum und Andreas, Ava und ich Richtung Eggerfeld. Ava und ich waren Nachbaren, also verabschiedeten wir uns vor der Tür. Mein altes Klappergestell, auch Fahrrad genannt, stellte ich am Zaun ab und sperrte die Haustür auf. Meine Eltern waren noch nicht von der Arbeit zurück, sie arbeiteten viel, um mehr zu verdienen, damit sie mein Training und alles drum und dran finanzieren konnten. Sie unterstützten mich sehr, wofür ich sie umso mehr liebte. Ich hatte noch einen jüngeren Bruder, Benjamin, er war zwölf, er übernachtete aber gerade bei einem Freund, also war er auch nicht da. Ein feiner Geruch nach Rosen hieß mich willkommen. Meine Mama liebte Rosen, am liebsten die Blutroten, Dramatischen, Klassischen. Als erstes würde ich eine heiße Dusche nehmen. Ich streifte mir die Kleider ab und ließ sie achtlos auf den Boden fallen und löste meine Haare aus dem hohen Pferdeschwanz . Nachdenklich betrachtete ich mich im Spiegel. Meine dunkelblonden Haare fielen in leichten Wellen über meine Schultern wie ein Wasserfall bis kurz unter die Brust, ich hatte krasse Stufen drin. Sie umrahmten mein schmales Gesicht. Große saphirblaue Augen mit langen schwarzen Wimpern blickten mir entgegen. Meine dunklen geschwungenen Augenbrauen bildeten einen starken Kontrast zu meiner sahneweißen Haut. Ich hatte eine kleine Stupsnase und kleine pinke Lippen. Mein eher kleiner Kopf ließ meine schon so breite Schultern noch breiter wirken. Ich hätte eine super Figur, schmale Hüfte, breite Schultern, sehr muskulös...wenn ich nur nicht so klein wäre. Ich wäre auch eine viel bessere Leichtathletin, wenn ich nicht so klein wäre, mein Körper ist dank dem Training perfekt durchtrainiert. "Daran, dass du klein bist, kannst du nichts ändern, Megi. Du musst ihnen beweisen, dass auch wenn man klein ist, man was erreichen kann. Das die Größe, wenn man hart trainiert, keine Rolle spielt. Mach was draus. Zeig allen,das sie falsch lagen. Lass dich nicht runter bekommen. Auf gehts, Megi!" Mir hallten die Wörter meines Trainers im Kopf wieder. Und er hat recht. Ich kann es nicht ändern. Oh ja, und wie ich was draus machen werde.

OlympiaWhere stories live. Discover now