ZORA
Ich sitze schon seit gefühlten drei Stunden in einem stickigen Bus und versuche mich irgendwie zu beschäftigen. Auf dem Handy kleine Spiele spielen habe ich schon längst aufgegeben. Mit Adam oder Blair kann ich auch nicht mehr schreiben, weil sie mich heute Morgen zum Bahnhof begleitet haben und dementsprechend müde sind und jetzt wahrscheinlich wieder im Bett sind. Und andere Freunde, mit denen ich mich unterhalten könnte, habe ich leider nicht. Brauche ich aber auch nicht.
Momentan bin ich am Lesen, leider habe ich aber heute Morgen nicht mitgedacht und deshalb nur ein Buch in meinen Rucksack eingepackt. Zu meinem Leidwesen genau das Buch, welches ich schon zu Hause angefangen habe zu lesen. Dementsprechend werde ich auch schon bald mit diesem fertig sein.
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Ich bin wohl eingeschlafen, denn als ich meine Augen aufschlage und kurz auf mein Handy schaue, zeigt mir die Uhr, dass wir in zirka einer Dreiviertelstunde in Louisville ankommen werden. Es blinken mir etliche Nachrichten von meinen zwei Mitbewohnern auf meinem Handy entgegen und weil ich überhaupt nichts besseres zu tun habe, fange ich an, mit ihnen eine seltsame Konversation über Lamas mit Sonnenbrillen zu führen.
Nach ungefähr vierzig Minuten halten wir vor einem relativ großen Haus und der Chauffeur berichtet uns, dass wir angekommen wären und aussteigen dürfen.
Nachdem die meisten ihr Gepäck ausgeladen haben, nehme ich mir als Letzte meinen Koffer und gehe - natürlich alleine - den anderen nach. Im tiefsten Inneren verletzt es mich, dass hier alle scheinbar jemanden haben, den sie kennen und ich ganz alleine dastehe. Ich weiß aber, dass ich hier so oder so keine Freundschaften schließen werde und deshalb versuche ich dieses Gefühl so schnell wie möglich wieder zu verbannen.
Meine Gedanken werden unterbrochen durch einen lauten Pfiff, der alle zum Schweigen bringt.
»Hallo Leute. Schön, dass ihr es alle bis hierhin geschafft habt.« Ich schaue in die Richtung, von der die Stimme kommt und staune nicht schlecht. Ein schätzungsweise fünfundzwanzig jähriger Mann mit den hellblausten Augen die ich je in meinem Leben gesehen habe schaut lächelnd in die Runde. »Ich bin Jacob und bin zuständig, dass hier alles glatt läuft. Jeder von euch wird als nächstes mit einer anderen Person aufgerufen, die dann euer Zimmergenosse sein wird. Wenn ihr euren Namen hört, geht ihr zu Ava und holt eure Schlüssel ab.« Er zeigt auf ein blondhaariges Mädchen die uns zuwinkt. Die Leute um mich herum fangen an zu tuscheln, mit wem sie wohl ein Zimmer teilen müssen. Glücklicherweise unterbricht Jacob dieses Geschnatter. »Ich war noch nicht fertig! Wenn ihr in euren Zimmern seid könnt ihr euch ruhig einrichten und euch erstmal ein bisschen umschauen. Ich bitte euch aber, unserem Zeitplan zu folgen, wir sind hier nicht nur zum Spass hier. Und wenn ihr den Plan nicht mehr habt, seid ihr selbst schuld. Wer nicht pünktlich ist...» Er lässt den Satz offen und zuckt mit den Schultern. Jacob nimmt ein Klemmbrett in die Hand und fängt an, die Namen herunterzulesen. Ich mag den Typen.
Nach ein paar Minuten werde ich mit einer ›Caterina Liz‹ aufgerufen. Im ersten Moment denke ich, dass ich mich verhört haben muss, doch als ich ein Mädchen mit rotbraunen Haaren sehe, die genauso die Augen aufreisst wie ich, bin ich mir sicher, dass ich mich nicht verhört habe.
Dieses Camp wird definitiv eine Katastrophe.
Ich lasse mir aber nichts anmerken, hole den Schlüssel bei Ava ab und laufe ins Haus hinein. Den Koffer schleppe ich mühsam in den zweiten Stock und komme dann schnaufend an unserer Türe an.
Als ich gerade dabei bin, den Schlüssel umzudrehen, merke ich eine Präsenz hinter mir, die mir eigentlich gestohlen bleiben sollte.
»Wie geht es dir Nora?«, fragt sie in einem unüberhörbar falschen Ton. Ich beiße einfach die Zähne zusammen und versuche zu ignorieren, dass sie extra meinen falschen Namen gesagt hat. »Oh nein, du heißt ja gar nicht Nora, sondern Zora«, lacht sie hämisch.
Seit genau einem Jahr verbanne ich diesen Namen in meinem Gedächtnis.
Seit genau einem Jahr, wird allen verboten, diesen Namen in meiner Gegenwart auszusprechen.
Ich bin so dumm. Ich hätte mir ausrechnen können, dass Caterina mit auf dieses Camp geht. Natürlich nimmt sie mir es immer noch übel, dass ich immer besser als sie war - und auch immer bleiben werde.
Damals konnte sie mir ohne Probleme psychisch wehtun, aber in diesem einen Jahr habe ich viel dazugelernt und werde sie deshalb nicht mehr an mich heranlassen. Die Zeiten haben sich geändert.
Aus diesem Grund drehe ich mich zu ihr um und mustere sie. Sie sieht genauso aus wie ich sie in Erinnerung habe. Kupferblonde lange Haare, graue Augen und einen durchtrainierter Körper, den jeden Typen veranlasst, ihr hinterher zu schauen. Wenn sie nicht so einen hinterhältigen Charakter hätte, würde ich sie wahrscheinlich darum beneiden, so eine attraktive Ausstrahlung zu haben.
Damit sie aber nicht gleich etwas Falsches interpretiert, wenn ich sie so lange anstarre, kehre ich ihr wieder den Rücken zu und schließe die Türe ganz auf. Das fassungslose Luftschnappen ihrerseits lässt mich grinsend in das Zimmer eintreten. Mein Grinsen verfliegt aber schnell wieder, als ich das Stockbett sehe.
Wer kommt denn bitte auf die Idee, ein Stockbett in ein zweier Zimmer zu stellen?
Catarina drückt mich grob zur Seite und schaut ebenfalls fassungslos auf unser zukünftiges Bett.
»Nur damit das klar ist, ich schlafe oben!« Energisch dreht sie sich zu mir um und hebt warnend den Finger.
Wahrscheinlich bin ich zum ersten Mal einer Meinung mit ihr, denn ich würde nie in meinem Leben freiwillig oben schlafen gehen. Schon gar nicht, wenn ich Caterina als Zimmergenossin habe. Wer weiss, was sie sich alles ausdenken würde während ich versuche zu schlafen.
»Liebend gern«, erwidere ich ruhig zurück.
Ich gehe zu einem der Schränke - von denen es glücklicherweise zwei gibt - und fange an meine Kleider einzuräumen. Als ich damit fertig war, spähe ich zu Caterina hinüber, nur um festzustellen, dass sie mit ihren Handy beschäftigt ist und auch nicht so aussieht, als ob sie sich in nächster Zeit anderweitig beschäftigen möchte. Dementsprechend kann ich mich in Ruhe umziehen, ohne Angst haben zu müssen, dass sie mich anstarrt. Nicht, dass ich mich für meinen Körper schämen müsste oder so, aber ich will ihr nicht unnötige Gründe liefern, mich fertig zu machen.
Als ich fertig bin durchsuche ich meine Tasche nach dem Formular mit dem Ablauf der nächsten 13 Tage und setze mich auf den Hocker neben meinem Schrank. So wie es aussieht, ist heute schon das erste gemeinsame Training. Freude herrscht.
Mir graut es jetzt schon davor, vor allen anderen zu tanzen. Seit meinem neuen Lebensabschnitt, der in meiner 18. Geburtstagsnacht angefangen hat, hat mich außer Yorick, und meine zwei engsten Freunde natürlich, niemanden mehr auf dem Eis tanzen gesehen.
Damit ich diese Gedanken endlich loswerde, packe ich meine Trainingssachen in eine Tasche zusammen und schlendere zur Tür hinaus. An Caterina vorbeilaufend quittiere ich ihr genervter Blick mit einem süssen Lächeln, was sie nur noch mehr zu nerven scheint. Blöde Kuh.
Es ist besser, für den gehasst zu werden, die man ist, als für die Person geliebt zu werden, die man nicht ist.
- Kurt Cobain
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Destiny
RomanceZora, streng genommen eine fortgeschrittene Eiskunstläuferin, in Wahrheit aber ein wahrer Profi. Aus unerklärlichen Gründen muss sie in ein Ice skating camp. Dort triff sie auf Nathan, ein charmanter, gutaussehender junger Kerl, der ihr sofort den K...