Finn

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Der Wecker ringt und hüpft so sehr wie ein Presslufthammer. Ich stöhne. Nicht schon wieder! Warum ist es verdammt nochmal Montag?! Ich kann das gewohnte Piepen nicht mehr ertragen, drücke trotzdem auf Schlummermodus und drehe mich erneut auf die warme Seite des Bettes. Da der Wecker aber sowieso gleich klingelt und weil mich das Warten darauf so nervös macht, stelle ich ihn aus und starre mit müden Augen an die langweilige weiße Decke meines alten Zimmers. Danach stehe ich mühselig auf und schlürfe ins Bad. Dort pinkle ich erstmal in Ruhe und putze meine Zähne. Deo unter die Achseln- das reicht jetzt, für mehr bin ich noch zu müde. Etwas wacher streife ich nach ein paar Minuten meinen grauen Lieblingssweater über den nackten Oberkörper und ziehe die weite, halb kaputte Jeans an.

Wisst ihr, ich mache mir nicht viel aus meinem Körper. Es ist egal, was andere Leute über mich denken, ob die Tussis auf der Straße ein Auge auf mich werfen oder ob die Geschäftsmänner schnell ihren Blick abwenden, wenn sie mich sehen. Ich bin halt ein durchschnittlicher Absteiger, keinen Job und somit auch kein Geld, um meine alte Wohnung weiter zu finanzieren. Mein Schulabschluss ist jetzt auch nicht der Beste, weil ich meinte, neunte Klasse reicht mir aus. Dabei sagte Mom immer, dass ich nicht so blöd bin, wie ich vielleicht aussehe. Und wenn ich mehr aus meiner heruntergekommenen Gestalt mache, gelte ich vielleicht sogar als schön. Doch was ist schön? Das liegt doch alles im Auge des Betrachters.

Ich verlasse zusammen mit meinem Rucksack das alte Einfamilienhaus, welches jedoch in einer schönen, ruhigen Gegend von Köln steht, und gehe einige Straßen weiter, bis ich bei der Bushaltestelle anhalte. Dort setze ich mich auf eine Bank und hole mein neues Handy raus, hat Mama finanziert. Zwischendurch schaue ich hin und wieder hoch, weil der Bus ja bald kommen soll. Doch ich erkenne nur den alten Mann, der vielleicht auf dem Weg zum Krankenhaus ist, so schlecht sieht er aus, aschfahles, kränkliches Gesicht. Ich blicke erneut auf das Display und checke zig Mal meine Nachrichten. Leo sollte schreiben, er hatte ja wirklich 'ne harte Nacht nach unserer Saufparty. Da mein alter Freund leider nicht zuverlässig genug ist, um mir bescheid zu sagen, ob er nun schon gestorben ist oder wenigstens beinahe an seiner Kotze erstickte, melde ich mich mit einem kurzen "Hey". Ich hoffe, er ist mir nicht sauer, dass ich heimlich den Wodka in seine Cola geschüttet hatte. Aber eigentlich müsste er das ja mitbekommen haben, da es doch ganz anders schmeckt. Wahrscheinlich war er zu dem Zeitpunkt schon hackedicht.

Wieder stecke ich mein Handy ein und betrachte eine junge, schlanke Frau, die gerade angelaufen kommt und sich ein paar Meter neben mich stellt. Sie hat ein außergewöhnliches, wunderschönes Gesicht mit beeindruckenden, aber müden Augen. Ihr blondes Haar ist von einer schwarzen Bommelmütze bedeckt. Oh Scheiße, sie sieht zu mir rüber. Schnell wechsle ich meinen Blick und tue so, als ob ich auf meine neue Uhr sehe. Bald darauf traue ich mich wieder hinzugucken und stelle überrascht fest, dass sie immernoch guckt. Wow, mein Bauch kribbelt richtig. Sie ist eine umwerfende Frau und ich möchte sie kennenlernen. Ja, sofort! Ich will mit ihr reden, nur ein bisschen Smalltalk heute und ein wenig mehr von ihr erfahren. Woher kommt dieses Selbstbewusstsein? Ich war doch nie so überzeugt von mir selbst, also selbstbewusst gegenüber Frauen. Ich stehe auf, um zu ihr zu gehen und sie läuft ein paar Schritte nach vorne.

"Hi", begrüße ich sie.

"Sorry, mein Bus ist da. Ich muss mal durch", sagt sie nur, lächelt ein entschuldigendes, süßes Lächeln und steigt in das Fahrzeug.

Verdammt. Ich hasse mich. Nein. Ich hasse sie. Eingebildete Tusse. Kann mich mal.
Ich stecke schwarze Kopfhörer in meine Ohren, sinke in meine Gedankenwelt, die von hartem Metal durchdröhnt wird und warte noch immer darauf, dass endlich das kommt, worauf ich schon so lange warte, den Bus.

***

"Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie mir nicht ein wenig entgegenkommen. Sie sind alt genug, um für eine Ausbildung bereit zu sein. Wollen Sie nicht endlich ihr erstes verdientes Gehalt in der Hand halten?"

Sorry Finn.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt