Kapitel 1

5 1 0
                                    

Was passiert hier? Irgendwas stimmt nicht mit mir. Mein Kopf ist so...leer. Wie ausgelöscht. Fühlt sich so leicht an. Warum ist es hier so dunkel? Hallo?

Ein großes Nichts. Leere. Dunkelheit. Ein Gefühl der Panik umgibt mich. Ich sehe rein Garnichts, meine Augen sind zu, kann sie nicht öffnen. Bin ich tot? Bin ich im Himmel? Nein Himmel wäre hell, hier ist es einfach nur stockduster. Hölle, ich bin in der Hölle? Aber die gibt es doch gar nicht? Was ist hier los zum Teufel noch mal?

Ich fühle mich wie bewusstlos, obwohl ich ganz klar bei Bewusstsein bin. Denke an Garnichts. Kann an Garnichts denken. Geht nicht. Keine Erinnerungen an irgendwas. Nur das Hier und Jetzt. Ich weiß nicht wo ich bin, was mit mir los ist und ob ich hier alleine bin. Aber was ich weiß: Angst. Ich habe eine Todesangst.

Dann – plötzlich - ein Geräusch. Stapfend, irgendwer mit schweren Stiefeln oder so.

Hallo? Hallo!

Ich kann nicht sprechen. Mein Mund bewegt sich keinen Zentimeter. Ich rede mit mir selbst, in meinem Kopf! Hilfe, ich drehe gleich durch.

Das Geräusch kommt näher. Dann erlischt es für kurze Zeit und ich höre eine Stimme, eine mechanische, seltsam abgehackte. „Es wird nicht wehtun". Meine Augen springen wie von Zauberhand auf und gleißende Helligkeit empfängt mich. Kurzdarauf raubt mir der Anblick den Atem und ich kriege nicht mehr als einen erstickten Schrei aus meiner Kehler heraus, der sich mit einem unangenehmen Piepen in meinen Ohren vereint.

Dieses dermaßen nervende Piepen lässt mich aus meinem Traum, welcher ganz neben bei mal wieder ziemlich seltsam war, hochschrecken. Was zum – Scheiße, mein Wecker. Es gibt doch wirklich nichts Schrecklicheres, als von einem lauten, ohrenbetäubenden Ton um halb 6 morgens geweckt zu werden, oder? Richtig. Gibt es nicht. Meine Augenlider fühlen sich wie Blei an und machen nicht die geringsten Anstalten, aufzugehen. Dann auch noch zwicken von dem Rest der Wimperntusche von gestern und höllische Kopfschmerzen. Gestern war Partynacht. Wir hatten den letzten Tag der diesjährigen Osterferien gefeiert und unseren Kummer über das Ende der ach so tollen Ferien in Alkohol ertränkt, keine gute Idee vor dem ersten Schultag schätze ich. Kurze Zusammenfassung also: Kater des Todes, brennende Augen und schwere Glieder, ganz zu schweigen von der Übermüdung. Vielleicht könnte ich meinen Eltern vorgaukeln, ich sei krank. Fieber könnte passen, ich meine Kopfschmerzen, Gliederschmerzen sind doch eindeutige Anzeichen? Das hätte dann aber fatale Folgen: heute ist der erste April, mein Geburtstag. Dann könnte ich mich heute Abend nicht mit meinen Freunden treffen. Heute werde ich 17. Endlich. Alle meine Freunde sind bereits 17 oder gar volljährig, meinen Eintritt in den Club der Alten, wie es meine Freundin Liz so schön nennt, wollen wir heute Abend ordentlich feiern. Klar, von einem Kater zum nächsten ist nicht optimal und vorbildlich, vor allem nicht in der Schulzeit, aber am Wochenende habe ich nicht mehr Geburtstag und dann würde es nur halb so viel Spaß machen. Also ist Blaumachen eine doofe Idee. Da bleibt mir wohl nur noch eins: Concealer, Augentropfen und ab geht die Post!

Getreu diesen Mottos schlage ich, immer noch mit denhämmernden Bauarbeitern in meinem Kopf, die Decke zurück und setzte mich (etwas) zu schnell auf. Das war einFehler. Alles beginnt sich zu drehen und dieses mir in letzter Zeit so vertraute, schummrige Renn-zum-Klo-bevor-es-zu-spät-ist-Gefühl macht sich in meinem Magenund Kopf breit. Nicht schon wieder. Im Wissen, was gleich passiert knipse ichnach meinem hektischen und vor allem lauten Weg ins Bad das grelle LED-Licht imBad an. Wie ein Vampir fauche ich vor mich hin, ich hasse grelles Licht am Morgen.Da mir ja nichts anderes übrig bleibt, sprinte, eher torkele ich so schnell esgeht zum Klo und entleere mich ein wenig, das ist vermutlich noch etwasuntertrieben. Klasse, dann werde ichwohl auch Duschen, dreifaches Zähneputzen und eine Packung Pfefferminzbonbonsauf meine TO-DO Liste für diesen Morgen setzten. Warte, Pfefferminzbonbons sind leer. Shit – vielleicht... Mama fragen - oderJason, der hat doch eigentlich immer was da – Stöhnend richte ich mich aufund stütze mich am Waschbecken ab. Ich sehe scheiße aus. Noch beschissener alsich mich fühle. Zerzauste Haare wie nach einem One-Night-Stand und schwarze Ränderum die Augen.

Da mein Geburtstag ja nicht noch besser anfangen kann, klopft esnun auch noch an der Badezimmertür. „Natalie? Ist alles in Ordnung? Stimmt wasnicht mit dir Schatz?"

Nein! MeineMutter!

„Äh... Nein –äh Ja, ja alles gut Mum, mach dir keine Sorgen! Habe mirgestern wohl den Magen verdorben, die Nachos haben eh so seltsam geschmeckt",lüge ich meine Mutter an und sehe währenddessen meinem Spiegelbild kopfschüttelndin die Augen. „Kann ich rein kommen? Ich möchte dir gratulieren Liebling unddas ungern durch die Tür, ich muss gleich zur Arbeit" „Ehh-" Scheiße. Wenn meine Mutter mitkriegenwürde, was letzte Nacht abging und was ich konsumiert habe, würde ich an meinemGeburtstag doch nicht feiern können, auch ohne vorgespieltes Fieber: Hausarrest. Hastig klatsche ich mir literweiseWasser ins Gesicht, reibe unter meinen Augen lang, in der Hoffnung die Mascaraein wenig wegzukriegen – vergebens. Nütztja nichts, eh zu spät jetzt. Ich blinzele noch ein paarmal, damit ich die Augennicht so zukneifen muss. Dann öffne ich so selbstbewusst und lässig wie nurmöglich die Tür. Meine Mutter, wie immer perfekt frisiert und geschminkt, imeleganten schwarzen Kostüm, strahlt mich an. Wie kann sie nur so strahlen? Esist 05:45 Uhr! Eine kräftige Böe von süßem Jasminparfum überwältigt dieRiechzellen meiner Nase, sofort fährt meine Hand zur Nase um das sonstunvermeidliche Niesen aufzuhalten. „Happy Birthday! Endlich 17! Wie fühlt mansich so als Fast-Volljährige?", fragt sie mich voller Elan. Wow. Das ist so alsfrage man einen Zweitplatzierten, wie es ist fast Erster zu sein. Demütigend. „Danke.Genauso wie letztes Jahr und die Jahre davor, Mum", versuche ich sie abzuwimmeln,aber da es sich um meine Mutter handelt, wars das noch lange nicht. Denn wennihr eines wichtiger als ihre Arbeit ist, dann das Wohl unserer Familie. „Dusiehst gar nicht gut aus Natalie, wirst du krank?", hakt sie mit besorgterMiene nach. „Wo sie Recht hat, hat sie Recht Sister! 'N bisschen zu tief insGlas geschaut gestern, ne?", grinst mein Stiefbruder Jason mich mit weitaufgerissenem Mundwerk wie immer an. Ihm widme ich einen vernichtenden Blickund meiner Mutter kurz darauf ein zuckersüßes Lächeln. „Nein, mir geht es schonviel besser, danke um deine Sorge aber ich bin kerngesund Mum", erwidere ichund streiche meine Haare aus dem Gesicht um wenigstens ein bisschen fitterauszusehen. „Na schön, das freut mich. Tu mir aber einen Gefallen und mach innächster Zeit einen großen Bogen um den besagten Laden mit diesen Nachos, ichwill nicht, dass du solch widerwärtiges Essen, was dir obendrein eineLebensmittelvergiftung einjagt, zu dir nimmst, okay?", belehrt sie mich mitmahnendem Tonfall und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Das ist nicht daseinzige, worum sie einen großen Bogen machen sollte", grinst Jason abermals inmeine Richtung und meine Mutter schüttelt lachend den Kopf und verabschiedetsich mit einem fröhlichen Bis Später.

„Hast du nichts Besseres zu tun duKlugscheißer?", fauche ich ihn an und schwebe an ihm vorbei. „Immer langsamSchwesterherz, sonst reierst du nochmal, glaub mir darin habe ich Erfahrung.Und ja, das habe ich in der Tat: ich suche dir Kaugummis, du stinkst!" Vor einemanfliegenden Buch von der Kommode im Flur kann er sich nicht mehr retten.Lachend fängt er es ab. Klar, er spielt Handball. „Weißt du, dass ich dich hasse?", frage ichbittersüß. „Wusstest du schon, dass das auf Gegenseitigkeit beruht?", konterter. Okay der Konter war gut, Punkt für ihn. Augenrollend schwirre ich zurück inmein Zimmer. Jetzt muss ich erstmal eine Rück-Transformation zu einem menschlichenWesen durchführen, ansonsten bleibt Jason nicht der einzige, der meinen Kater bemerkt.

Krieg der GedankenWhere stories live. Discover now