»Kannst du mir helfen?«

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Eine halbe Stunde später saß ich in meinem Rollstuhl vor dem Bett, das Kissen schon überzogen und mühte mich gerade mit dem Bezug der Bettdecke ab. Es dauerte fast zehn Minuten, bis ich das endlich geschafft hatte und erschöpft lehnte ich mich in meinem Sitz zurück. Mit dem Bezug der Matratze würden mir später meine Eltern helfen müssen, das konnte ich bim besten Willen nicht schaffen. Es war ätzend, so hilflos zu sein, selbst für solche alltäglichen Tätigkeiten mehrere Anläufe zu brauchen, oder sie gar nicht bewältigen zu können.

Ich hatte meiner Freundin eine Nachricht geschrieben, dass ich jetzt wieder zuhause wäre, ob sie vorbeikommen würde, doch sie hatte die Nachricht immer noch nicht gelesen. Also griff ich kurzentschlossen nach dem Handy und suchte ihre Nummer raus. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sie anzurufen, aber irgendetwas hielt mich nun davon ab. Ich wollte nicht auf das Symbol klicken, wollte aus irgendeinem Grund nicht, dass sie ranging. Ohne zu wissen, warum, hatte ich Angst davor.

Tatenlos legte ich das Telefon wieder zur Seite.

Am liebsten hätte ich mich ins Bett gekuschelt, das Licht ausgemacht, mich in meinen Decken vergraben, Musik angehört und nichts mehr wahrgenommen, aber mein Bett war ja nicht vollständig überzogen. Stattdessen blieb ich also einfach nur sitzen, in meinem Rollstuhl mitten in dem kalten, leeren Zimmer, das nicht meins war und nie meins werden würde.

Bis ich die Tür hörte, die aufgesperrt wurde, vergingen bestimmt einige Stunden, in denen ich bloß herumgesessen war, unfähig, irgendetwas anderes zu tun und mit dem Gefühl, in meinem eigenen Körper gefangen zu sein.

Ich ging nicht in den Flur, wollte nicht mit geschwollenen Augen meiner Mutter gegenübertreten, wollte nicht, dass mein Vater, der morgen früh wieder für drei Wochen auf Geschäftsreise sein würde, mich so sah. Ich wusste, dass ich es nicht ertragen würde können, wenn sie mich so sehen würden und es nichts in ihnen auslösen würde. Gesehen werden, aber nicht bemerkt.

Ich hörte, wie meine Mutter an meine geschlossene Zimmertür klopfte, wartete stumm ab, was passieren würde und lauschte schließlich ihren Schritten, die ohne ein Wort wieder verschwanden.

Für eine Ewigkeit starrte ich bloß auf die hässlichen Vorhänge des Gästezimmers, beobachtete den immer dunkler werdenden Himmel draußen über dem tristen Innenhof und schaffte es schließlich, nach einer ganzen Ewigkeit, mich aufzuraffen und meinen Rollstuhl umzudrehen, auf die Zimmertür zu.

Als ich nach meinen Füßen tastete, spürte ich, dass sie eiskalt waren, ebenso, wie meine Finger. Ich fror, hatte das aber bis jetzt ausgeblendet, es ignoriert, ohne die Kraft, mich darum kümmern zu wollen.

Auch jetzt schob ich den Gedanken einfach zur Seite, verstärkte meinen Griff um den Handlauf meines Rollstuhls und öffnete die Zimmertür.

Ich schaffte es erst auf den zweiten Versuch, durch die enge Küchentür zu kommen und bekam, als ich es doch geschafft hatte, von meiner Mutter ein leichtes Lächeln geschenkt. Sie saß am Esstisch und schien irgendwelche Post durchzulesen, vor ihr ihr Laptop.

»Hast du Hunger? Im Kühlschrank sind Wurst und Käse, im Ofen müsste noch Auflauf sein.«

Ich nickte nur knapp, warf einen Blick in den Ofen auf den versprochenen Auflauf und stockte.

Selbst von hier aus konnte ich deutlich erkennen, dass der Auflauf mit Fleisch war. Ich war seit knapp einem - nein, inzwischen über einem Jahr - ich kam mit der verlorenen Zeit eines viertelten Jahrs, das ich nicht erlebt hatte, immer noch nicht klar - Vegetarier. Ein Blick zu meiner Mutter aber ließ mich wissen, dass ihr der Fehler nicht aufzufallen schien.

Also wendete ich den Rollstuhl, manövrierte stattdessen zum Kühlschrank und scannte dessen Inhalt ab. Tatsächlich befand sich dort neben Wurst auch Käse und Butter, jedoch auf dem obersten Fach. Ich seufzte. Ohne Hilfe würde ich da niemals rankommen.

Change a Life ~ #StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt