»Willst du nicht lieber über dich reden?«

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Am Ende schien mir doch noch ein wenig an meinem Leben zu liegen. Ich wusste, würde ich mir jetzt keine Hilfe suchen, jemand, der einfach für mich da sein würde, könnte ich für nichts mehr garantieren. Es war unter der Woche, früher Nachmittag. Meine Freundin war ein Jahr unter mir und deswegen schon Zuhause, unsere Stufe jedoch hatte, wie ich wusste, noch Unterricht. Trotzdem wusste ich keinen anderen Ausweg, als ihnen zu schreiben.

Es waren vier Nachrichten, die ich verschickte. Vier Mal der gleiche Text: »Kannst du voebeikommen?«

Die Tränen in meinen Augen machten es schwer, die richtigen Tasten zu treffen.

Tobi, trotz allem, was er getan hatte. Trotz dem, dass er Mitschuld trug an all dem. Das tat doch jeder irgendwie. Von ihm kam auch relativ bald eine Antwort: »Sorry. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns erst einmal nicht sehen. Tut mir leid, wie es gelaufen ist.«

Rafi und Alex, in der Hoffnung, dass sie für mich da wären, auch wenn sie in dieser Sache mehr auf Tobis Seite zu stehen schienen. Alex antwortete auch nach ziemlich kurzer Zeit: »Ich hab nachher noch Sport, tut mir leid.« Kurz nach ihm Rafi: »Sorry, haben noch Schule. heute Abend?«

Und Stegi. Stegi, der nie zu meinen Freunden gezählt hatte und der in den letzten Wochen trotzdem mehr für mich da gewesen war, als jeder andere. Er brauchte ein wenig länger zum Antworten, als die anderen, aber nach sieben Minuten war auch seine Nachricht da: »Was ist passiert?« Ich überlegte noch, ob und was ich antworten sollte, dachte zeitgleich darüber nach, dass es irgendwie traurig war, dass er sofort wusste, dass etwas passiert war, weil ich ihn anschrieb. Ging er nur bei mir von so etwas aus oder war er es schlichtweg gewöhnt, dass Leute sich nur bei ihm meldeten, wenn sie Hilfe brauchten? Sofort fühlte ich mich irgendwie schlecht. »Schon okay. Wollte nocht stören, sorry.«

Ich legte mein Handy zur Seite und wischte mir erneut die Tränen, die mir immer noch über die Wangen flossen, von der Haut. Gerade wollte ich aus dem Zimmer rollen, in Richtung Badezimmer, als mein Handy erneut klingelte. Eine Antwort von Stegi.

»Schickst du mir die Adresse?«

Ohne nachzudenken tippte ich meine Adresse ein und tippte auf Senden. In dem Moment war es mir egal, wie egoistisch ich war, ich war einfach nur froh darum, Hilfe zu bekommen. Dass jemand sah, dass ich Hilfe brauchte, dass dieser jemand für mich da war.

Ich wohnte nicht weit von der Schule weg und so dauerte es kaum fünf Minuten, bis es an der Tür läutete. Ich brauchte einige Zeit, um mit dem Rollstuhl in den Flur und zur Haustür zu kommen. Als ich sie öffnete stand in unserer Tür ein fremdes Auto - ich wusste nicht, dass Stegi ein Auto hatte. Er musste in den letzten drei Monaten Geburtstag gehabt haben - und direkt vor mir der kleinere Blondschopf. Etwas nervös trat Stegi von einem Bein auf das andere, blinzelte kurz hinter mich ins Haus und fixierte dann mich an.

»Hi.«

Ich nickte nur zur Begrüßung, mein »Hi« war kaum mehr als ein Hauchen. In einer eindeutigen Geste rollte ich einen Meter zurück, machte Stegi den Weg ins Haus frei. Dieser folgte der stummen Einladung, betrat den Flur und schloss die Haustür hinter sich.

»Was ist passiert? Du siehst ziemlich fertig aus.«

»Tut mir leid. Ich kann bloß grad ... nicht alleine sein.«

Stegi folgte mir in mein Zimmer, wo ich ihm bedeutete, sich auf mein immer noch nicht überzogenes Bett zu setzen.

»Momentan ist einfach alles Scheiße. Ich habe Angst, das überzudramatisieren, aber ... ich bin ziemlich fertig. Und jetzt habe ich gerade mit Jana telefoniert. Sie hat mir von - von ihr und Tobi erzählt.«

Ich wusste selbst nicht, wie ich es schaffte, so ehrlich zu Stegi zu sein. Aber dieser hatte in den wenigen Minuten, in denen er hier war, eh schon so viel von mir gesehen, was ich niemals jemand sehen hätte lassen wollen. Meine verheulten Augen, mein unrasiertes und ungeduschtes Auftreten, all das, obwohl ich eigentlich immer viel Wert auf mein Aussehen gelegt hatte. Früher war ich auch viel trainieren gewesen, wie eigentlich fast alle Jungs aus meiner Stufe. Von diesen Muskeln war schon lange nichts mehr zu sehen. Und trotzdem war Stegi immer noch um einiges schmaler als ich.

Change a Life ~ #StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt