2. Kapitel

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Am 8. Dezember schneite es das erste Mal und wie jedes Mal versuchte ich, im Haus zu bleiben. Da leider Schule war, kam meine allseits bekannte „Schneeleritis", wie du sie liebevoll getauft hattest, wieder zum Vorschein.

Leider gab es diesen Mal keine beste Freundin, die meine Mutter überzeugen konnte, dass ich zuhause bleiben musste, weil ich Schnee hasste. Also wagte ich mich mit einer Winterjacke, Mütze, Schal und Handschuhe bewaffnet nach draußen.

Schon nach den ersten paar Metern hatte ich das Gefühl, ich würde augenblicklich zu einem Eisblock gefrieren. Doch ich widerstand dem Drang, wieder nach Hause zu rennen, und schaffte es tatsächlich lebend in den Bus. Lebend.

Wärst du jetzt hier gewesen, hättest du mich stolz angelächelt und mich abgeklatscht. Als der Junge schließlich auch in den Bus stieg und sich neben mich auf den Sitz fallen ließ, schenkte er mir ein Lächeln und meinte: „Was für ein wundervolles Wetter draußen. Nicht wahr?"

Daraufhin warf ich ihm nur einen beinahe tödlichen Blick zu. Er hingegen konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Den Rest des Tages mied ich alles, was mit Schnee oder Kälte zu tun hatte.

Aber dieser Tag war nichts im Vergleich zu ein paar Tage später. Es war gerade die dritte Haltestelle nach meiner und die Türen waren gerade dabei sich zu schließen. Und niemand saß neben mir.

In diesem Moment keimte eine Angst in mir auf, die ich unmöglich beschreiben konnte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich wieder von jemanden abhängig gemacht hatte. Dass ich wieder dem Ende nahe wäre, wenn auch noch dieser Jemand aus einem Leben verschwinden würde.

Doch keine Sekunde zu spät sprang der Junge noch in den Bus. Der Busfahrer warf ihm nur einen mahnenden Blick zu, doch diesen ignorierte er komplett. Stattdessen kam er sofort auf mich zu und setzte sich neben mich.

„Alles in Ordnung? Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest", erkundigte er sich bei mir besorgt. Ich versicherte ihm kurz, dass alles in Ordnung wäre, doch denn Rest der Fahrt schwiegen wir.

Ich hatte Angst darum, dass der Junge, der jetzt neben mir saß, eines Tages nicht mehr da sein würde. Genauso wie du. Angst, dass ich in so kurzer Zeit noch einen zweiten Freund verlieren würde.

Den genau das war er. Ein Freund. Selbst, wenn ich seinen Namen nach all der Zeit immer noch nicht wusste. Aber ich brauchte ihn auch nicht, um mich mit dem Jungen neben mir zu verstehen. Um mich mit ihm zu unterhalten und zu lachen.

Schließlich kam der Tag vor den Weihnachtsferien. Nachdem wir aus dem Bus ausstiegen, blieben wir beide nochmal stehen und er wünschte mir schon mal, frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr. Ich tat es ihm gleich.

Weihnachten verlief genau so wie jedes Jahr. Wir fuhren zu den Eltern meines Vaters über die Ferien und es wurde ausgelassen gefeiert. Doch etwas war anders. Denn Heiligabend wartete ich vergeblich auf deine SMS, in der du mir schriebst, wie sehr du die Ferien hasst. Du hast sie schon immer gehasst.

Schließlich war das neue Jahr da und die Ferien waren auch zu Ende. Also saß ich wieder, wie jeden Morgen im Bus und tatsächlich stieg er auch wie immer ein. Er setzte sich neben mich und erkundigte sich nach meinen Ferien.

Doch während wir redeten, merkte ich, dass ihn irgendwas bedrückte. Was konnte ich beim besten Willen nicht sagen. Zwar fragte ich ihn immer wieder, ob etwas passiert sei, doch jedes Mal schüttelte er einfach den Kopf. Und jedes Mal war mir klar, dass er log. Die nächsten zwei Wochen verhielt er sich weiterhin so seltsam und schließlich kam der Tag, wo es Halbjahreszeugnisse gab.

Als wir den Bus verließen, blieb er stehen und ich tat es ihm gleich. So wie an dem Tag, vor den Ferien. „Es hat mich gefreut, dass ich dich kennen lernen durfte", meinte er einfach nur und bevor ich ihn fragen konnte, was er damit meinte, ging er fort.

Doch eigentlich wäre diese Frage unnötig gewesen, denn ich wusste es. Es war ein Abschied. Ein Abschied, der höchstwahrscheinlich für immer galt.

Den Rest des Tages bekam ich gar nicht mehr richtig mit. Selbst mein Zeugnis nahm ich mit einem einfach Nicken entgegen. Die Noten interessierten mich nicht und mein vier in Deutsch nahm ich einfach so hin. Ich war viel zu sehr mit den Worten des Jungen beschäftigt. Das Wochenende zog auch einfach nur an mir vorbei und dann war auch schon wieder Montag.

Als der Bus an der dritten Haltestelle hielt, hielt ich schon fast den Atem an. Jetzt kam es darauf an, ob er kommen würde oder nicht. Langsam vergingen die Sekunden und irgendwo konnte ich eine Uhr ticken hören. Schließlich schlossen die Türen sich.

Ohne dass jemand angelaufen kam und noch in der letzten Sekunde in den Bus sprang. Den Rest der Fahrt bekam ich nicht mehr mit. Stattdessen starrte ich die ganze Zeit nur auf den leeren Platz neben mir.

Vor meinen Augen tauchtest du auf, wie du mit dem Jungen herumalberst. Ihr hättet euch so gut verstanden und jetzt habe ich euch beide verloren. Fast hätte ich es sogar verpasst, an der Schule auszusteigen. 

Eine ungewöhnliche Freundschaft #IdeenzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt