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Ich weiß nicht mehr, wie lange wir noch gekuschelt haben, wie lange er meinen Körper erkundet hat, bevor wir eingeschlafen sind. Aber als ich am nächsten Morgen vom Wecker erwache, kommen die Gefühle wieder hoch und somit eine Gänsehaut. Lächelnd drehe ich mich, und will ihn wecken.

Aber das Bett neben mir ist leer.

Schnell setze ich mich auf und sehe mich hastig um.

Der merkwürdig Junge, der heute Nacht in meinem Bett geschlafen hat, steht vor meinem Ganzkörperspiegel und versucht sich dieses Halsband wieder anzulegen. Als ich mir die Augen gerieben habe, sehe ich, dass seine Wangen feucht sind. Durch den Spiegel treffen sich unser Blicke und er presst die Lippen aufeinander. Vergebens versucht er es zu schließen.

„Soll ich dir helfen?", frage ich beim Aufstehen. Nickend drückt er es mir in die Hand. Verdammt, ich habe den Verschluss ganz schön zerkratzt ...

Vorsichtig lege ich es ihm um und drücke das Schloss wieder zu. Harry schließt die Augen und fasst sich um den Hals.

„Möchtest du wirklich zur Schule gehen?", frage ich ihn unsicher und sehe auf seinen Arm.

Da er ausschließlich in schwarzen Shirts rumläuft, selbst im Winter, können alle immer sehen, was er sich antut. Ich weiß nicht, was die Schule sich denkt. Es scheint, als wäre Harry unsichtbar für sie. Für jeden. Für Lehrer, Schüler, selbst der Hausmeister sieht nicht hin. Und das, obwohl Harry jeden einzelnen Tag bloßgestellt und verhöhnt wird. Von Ian. Vor der ganzen Schule. Und alle gucken bloß zu.

„Kann ich mit dir fahren?", fragt er schüchtern und ignoriert meine Frage. Mit einem Seufzen nicke ich und verschwinde im Bad.

Ich schließe den alten Wagen ab und setze meinen Rucksack auf. Harry hat die Arme verschränkt und geht zusammen gekauert an mir vorbei, einen anderen Weg zum Schulhof als ich.
Wie jeden Morgen komme ich zur Tischtennisplatte, auf der Nate und unsere Freunde warten. Flynn reicht mir eine Kippe und Nate sein Feuerzeug.

„Na, hattet ihr eine heisse Nacht?", fragt Flynn und klopft mir auf die Schulter.

„Ich hoffe für dich, das es nicht so war.", mischt Grace sich sofort ein und ich drehe mich zu ihr. Sie ist das einzige Mädchen unserer Gruppe und benimmt sich am männlichsten von allen.

Und sie ist Ian's Stiefschwester.

„Quatsch ...", murmle ich und ziehe an der Zigarette. „Ich habe ihn nur davor bewahrt zu verbrennen."

„Babe, du weißt genau wie jeder andere, dass Ian ihn niemals verletzten würde.", weißt sie mich zurecht und macht sich einen Zopf.

Laut lachend drehe ich mich wieder zu ihr.

„Nein, stattdessen bringt er Harry dazu sich selbst zu verletzten! Das ist natürlich was ganz anderes und völlig in Ordnung."

Gereizt ziehe ich erneut an dem qualmenden Ding.

„Warum machst du dir überhaupt was daraus? Wir haben es in ein paar Wochen sowieso geschafft. Du solltest dich lieber auf die Abschlussprüfungen konzentrieren, als auf irgendeinen kranken Typen, den du nicht kennst und der dir nur Probleme beschaffen wird. Weißt du was los ist, wenn Ian erfährt wo er war? Weißt du was dann mit dir und ihm passiert? Wenn er dir was bedeutet, was niemand hier verstehen kann, dann lass ihn. Denn durch solche Aktionen wie gestern Nacht wirst du es nur noch schlimmer machen."

Grace's Worte machen mich schlichtweg sprachlos. Und das ist auch gut so. Zumindest für sie.
Es klingelt. In den folgenden 90 Minuten stelle ich mir vor, was ich ihr alles hätte antworten könnte und in mir baut sich so eine Wut auf, dass ich mich null auf den Unterricht konzentrieren kann. Nur gut, dass Ian und Harry nicht in meine Klasse gehen.

In den beiden längeren Pausen, in denen wir auf den Schulhof gehen, sind Ian und Harry allerdings nirgends zu sehen. Sofort werde ich nervös. Mir ist klar, dass es meine Schuld ist. Wo sie wohl sind?

Auf dem Weg zum Neubau komme ich an dem kleinen Kiosk und dem Aufenthaltsraum vorbei. Neugierig gehe ich zur angelehnten Tür, als ich mir eine bekannte Stimme entnehme.

Es ist Ian. Bei ihm ... Harry.

Das Bild vor mir erscheint mir surreal. Harry sitzt am Tisch, in der Hand ein Feuerzeug. Ian geht daneben auf und ab und ist am reden.

Angestrengt versuche ich ins Thema zu kommen.

„Es ist schlimm genug, wenn du mir nicht gehorchst. Aber mich vor meinen Freunden der Art bloßzustellen ist etwas, das ich dir von Anfang an streng verboten habe."

Von Anfang an? Ich frage mich, wann das alles angefangen hat. Denn vor einem Jahr war Harry plötzlich da.
Ian kenne ich seit wir auf die Highschool gekommen sind.
Aber Harry kam erst später dazu. Und seit seinem ersten Tag hat er dieses Ding um den Hals gehabt und an Ian geklebt, als würde er ohne ihn sterben oder so ...
Niemand weiß etwas über Harry. Niemand interessiert sich für Harry. Es ist fast so, als sei er ein Geist und ich wäre der einzige, der ihn sehen kann.

„Und Harry, ich frage dich ein aller, aller letztes Mal."

Er stoppt hinter ihm und legt seine Hände auf Harry's Schultern. Sofort geht seine Atmung deutlich schneller. Das Zittern seiner Finger durch seine Angst überträgt sich auf das Feuerzeug und er kann es kaum mehr festhalten.

„Wo warst du gestern Nacht?"

Mein Herz bleibt stehen. Alles um mich herum, visuell und akustisch, blende ich aus.

Harry schließt die Augen. Seine Unterlippe beginnt zu zittern. Eine Träne läuft über seine Wange.

Ian atmet scharf aus und entfernt sich vom Tisch, nimmt seine Tasche und holt sein Handy raus.

„Du wirst nicht zum Unterricht gehen. Bleib hier drin und sag keinen Ton. Du wirst dir deine Fingerknöchel, jeden einzelnen, verbrennen. Benutz das Feuerzeug in deinen Händen. Und ... Harry ..."

Er kommt um seinen Stuhl, zieht seinen Kopf an den Haaren zurück und sieht ihm tief in die Augen.

„Ich will Knochen sehen."

Zu meinem Entsetzen nickt der verstörte Junge nur. Und nimmt den Kuss auch noch entgegen. Mein Verstand setzt aus.

Als Ian Anstalten macht zur Tür und somit in meine Richtung zu kommen, verstecke ich mich hinter dem Getränke Automaten und warte, bis er raus gestürmt ist. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Und dann höre ich Harry's vor Schmerzen geplagtes Stöhnen.

The Way I Make Love To YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt