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„Hör sofort auf damit! Harry, lass das Feuerzeug los!"

Schockiert von dem Anblick vor mir stütze ich mich auf seine Tasche und hole eine Wasserflasche raus, die an der Seite klemmt. Als Harry mich sieht und ich das kühle Nass über seine Hände schütte, zuckt er erschrocken zusammen und lässt das Feuerzeug fallen. Fluchend nehme ich seine Hände und mache mir ein Bild von dem Schaden, der da bereits entstanden ist. Ich hätte viel eher eingreifen sollen ... Warum hab ich gewartet?

„Du musst gehen.", knurrt Harry mit zitternder Stimme und reißt mir seine Hände weg. Schnell nimmt er seine Tasche und hängt sie sich über die Schulter. Entsetzt bleibe ich mit offenem Mund stehen.

„Harry?! Wir gehen zum Saniraum! Was denkst du wo du jetzt hingehst?"

Ich klinge wie seine hysterische Freundin. Aber das ist mir egal.

„Du musst dich daraus halten."

Als er Anstalten macht tatsächlich zu gehen, reiße ich ihn an seiner Tasche zurück und packe ihn an beiden Armen.

„Du und ich, wir gehen jetzt zum Sanitäter. Der wird das reinigen und dir was drum binden. Und dann bringe ich dich nach Hause."

Ich bin so dominant in diesem Moment, dass Harry nichts mehr dazu sagt. Widerwillig lässt er sich von mir durch das Gebäude führen. Unterwegs treffen wir niemanden, immerhin ist gerade Unterricht.
Einmal sehe ich zu ihm. Er hingegen sieht mich die ganze Zeit über an. Selbst als wir die Treppen hochgehen. Seine Augen kleben an mir.

Ich versuche nicht auf seine Hände zu sehen, als ich an der Tür des Sanitäter klopfe. Mr. Johnson öffnet sofort und sieht zuerst mich, dann Harry an. Bei seinem Anblick schüttelt er jedoch tadelnd den Kopf. „Du schon wieder?" Ich stutze. „Was ist es heute?" Harry wehrt sich, aber ich halte Mr. Johnson seine Fingerknöchel hin. „Grundgütiger, Harry, was hast du schon wieder getan? Komm rein. Und du auch.", er sieht zu mir. Nickend gehe ich als Letzter in den sterilen Raum und schließe die Tür. Mr. Johnson schließt ab, als ich mich auf den Stuhl neben der Liege gesetzt habe. Und Harry, der auf der Liege sitzt, scheint sich zu entspannen. Diese Situation ist so verdamt merkwürdig, dass ich gar nicht weiß, welche Frage ich zuerst stellen soll.

Der Schulsanitäter reinigt die Fleischwunden und schmiert sie ein, ehe Harry zwei weiße Verbände um die Knöchel bekommt.

„Du siehst aus wie ein Boxer.", rutscht es mir raus und Mr. Johnson muss Lächeln.

„Wenn er das mal besser wäre. Dann könnte er sich zumindest wehren."

Fragend sehe ich ihn an. Aber er schluckt einen weiteren Kommentar schnell hinunter und räumt die Sachen zurück in den Schrank.

„Wollen Sie es gar nicht in die Akte eintragen?", wundere ich mich.

Mr. Johnson sieht zu Harry, der den Kopf leicht schüttelt. „Nein. Ist nicht so wild.", erklärt er mir und sieht wieder zu Harry rüber. „Sie beide bleiben besser für die nächste halbe Stunde hier drin. Wenn ein Lehrer euch außerhalb des Unterrichts sieht, gibt das Ärger."

Als der Sanitäter den Raum verlassen hat, steht Harry auf und dreht den Schlüssel wieder.

„Warum schließt du ab?", will ich wissen und beobachte ihn, als er sich wieder setzt.

„Ist sicherer.", murmelt er und knibbelt an den Verbänden. Ich stehe auf und nehme seine Hände in meine. „Nicht.", hauche ich und er hebt den Kopf. Seine Augen sind rot unterlaufen. Seine Lippen ziemlich spröde. Wenn ich jetzt in seinen Kopf sehen könnte, was würde ich dort finden?

„Warum tut er dir das an?", traue ich mich die Stille zu unterbrechen und setze mich neben ihn, lasse dabei eine Hand los und umfasse seine andere mit beiden Händen. Stets darauf bedacht vorsichtig zu sein.

„Bitte frag mich das nicht."

Nachdenklich sehe ich seine Hand an.

„Hast du große Schmerzen?", frage ich weiter. Harry hebt den Kopf und sieht zu mir. Seine Augen sind wieder wässrig, ich sehe, dass er am liebsten sofort losweinen würde, aber irgendetwas hält ihn davon ab.

Anstatt einer Antwort rutscht er ein Stück näher und sieht auf unsere Hände. Dann lächelt er.

„Du hast kleine Hände.", murmelt er und verschränkt unsere Finger langsam.

„Nein, du hast große Hände.", verteidige ich mich und betrachte ihn. Mein Gott, mein Herz schlägt so schnell, obwohl es dazu keinen Grund gibt. Seine Hand zu halten ist so schön ... Wie konnte ich ihn aus meinem Zimmer wieder gehen lassen?

„Soll ich dich nach Hause bringen?", frage ich leise und streichle sanft über seinen Handrücken. Aber Harry schüttelt den Kopf.

„Ich hab kein Zuhause. Und da, wo ich wohne, möchte ich nicht hin."

Einen Moment lang denke ich darüber nach.

„Aber ... du musst, richtig?"

Er nickt. Ich zähle eins und eins zusammen.

„Wohnst du bei Ian?"

Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauchen. Ich sehe ihm an, dass er darüber wirklich nicht reden will. Als er zweimal nickt, kann ich nicht anders, als mit meiner Hand seinen Arm hoch zu streichen und ihn an seinem Oberarm an mich zu ziehen. Wohlig lässt er es passieren und vergräbt sein Gesicht in meine Halsbeuge. Eine starke Gänsehaut bringt mich völlig aus dem Konzept. Es ist falsch, dass ich es will, es geht ihm richtig scheisse.

Ich sollte seine Verletzlichkeit nicht ausnutzen. Aber ... ich will es.

„Ich muss zurück in den Aufenthaltsraum.", murmelt Harry nach ein paar Minuten und setzt sich wieder auf. Als er beginnt seine Verbände abzuwickeln, lege ich sofort meine Hände dazwischen.

„Nein, du wirst nicht zurück gehen.", bestimme ich und sehe zur Uhr.

„Du verstehst das nicht ... Wenn ich nicht dort bin und getan habe, was er verlangt hat, dann wird er ..."

Harry bricht ab und ballt die Hände zu Fäusten.

„Dann wird er was, Harry?", bohre ich nach und hebe sein Kinn an.

„Sollen wir uns heute Abend treffen?" Sein Vorschlag kommt überraschend. Verdutzt lege ich den Kopf schräg. „Ich komme zu deinem Haus."

Bevor ich es verhindern kann, rutscht er von der Liege, öffnet die Tür und stürmt hinaus. Ich bleibe noch eine Weile dort sitzen und starre auf die blutigen Wickel, die er zurück gelassen hat.

The Way I Make Love To YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt