Hydra's Angel ➵ B.B

25

(2003)

"Regel Nummer eins: Behalte die Umgebung im Auge."

Ohne es wirklich zu bemerken, schreitet Angel mit schwachen Beinen auf den gefesselten Soldaten zu. Seine weit aufgerissenen Augen betrachten jeden ihrer Schritte und sie könnte schwören so etwas wie Furcht in seinen Augen aufleuchten zu sehen.

"Was hast du getan, Angel?"

Ohne dem verwirrten Mann eine Antwort zu geben, tritt Angel den Stein von seinem Metallarm, sodass ein unangenehmes Geräusch ertönt, dass die buchstäblich ausgestorbenen Gänge und Räume erfüllt. Einige Kratzer sind auf dem sonst so makellosen Metall zu sehen, doch dies stört weder den Winter Soldier, noch Angel. Nachdem der braunhaarige Mann von seinen Fesseln befreit ist und vor dem einst so unschuldigen Mädchen steht, erkennt er sie kaum mehr wieder. Es liegt nicht an dem Blut in ihrem Gesicht, auch nicht an den gefärbten Haaren und Augen. Es liegt an ihrem kalten Blick, welcher beinahe dem des Winter Soldier gleicht. Auch wenn Hydra ihm gelehrt hat, dass Gefühle nicht mehr als ein Zeitvertreib für die Schwachen ist, so hat er dennoch Angst. Angst, dass sie ein genauso schlimmes Monster geworden ist wie er. Mit seiner menschlichen Hand versucht er Angel einige verschmutzte Haarsträhnen aus dem Gesicht zu wischen. Als wäre der Mann vor ihr ein Fremder, wendet sich Angel von ihm ab und verlässt den Raum mit großen Schritten. Die Antworten auf seine Fragen findet der Winter Soldier in den vielen Gängen und kann sie durch offene Türen in einigen Räumen sehen. Angel scheint alles und jeden in diesem Gebäude getötet zu haben, doch wieso? Von den beiden schien sie immer die Friedlichere. Erst als der Winter Soldier das Gebäude verlässt, bemerkt er, dass er im Zentrum eines kleinen Dorfes steht. Keine drei Meter von ihm entfernt führt Angel ihr Schwert gegen eine kniende Frau, welche um ihr Leben bettelt. Zuerst erstarrt der russische Soldat, doch dann tut er das, was eigentlich überhaupt nicht zu seinem Charakter passt; er zerrt den Teenager von der Leiche weg und rettet so einige Leben. Mit all seiner Kraft zieht er die um sich tretende Angel zurück in das Gebäude und schließt die Tür hinter sich. Damit Angel nicht noch einem der unschuldigen Bürger dieses Dorfes Leid zufügen kann, stellt er sich zwischen sie und den Ausgang. Angel steht vom Boden auf, da ihr Freund sie eher unsanft heruntergelassen hat.

"Beruhig dich wieder! Diese Leute sind nicht unsere Mission."

Stur rennt Angel gegen den Soldaten und versucht ihn zu besiegen, um noch mehr Menschen zu töten. Sie ist wie ein Wolf im Blutrausch. Nicht einmal sie weiß wirklich den Grund, wieso sie all diese unschuldigen Seelen umbringen will. Eines weiß sie aber; wenn sie nicht bald mit etwas beschäftigt ist, dann dreht sie komplett durch. Sie erinnert sich immer wieder an diesen Moment und nur wenn sie das frische und noch warme Blut auf sich spürt, kann sie vergessen. Der Winter Soldier hält Angel eine Armlänge von sich entfernt und schaut ihr tief in die Augen. Es wirkt so, als würde ein Schleier von ihren Augen genommen werden. Ihr Mund öffnet sich, doch ihr fehlen die Worte. Hat sie all diese Menschen nur getötet, weil sie schmerzhafte Erinnerungen hatte?

"Nein..."

Tränen bilden sich in Angel's Augen und sie fasst sich mit beiden Händen an den Kopf. Für sich fühlt es sich an, als würde eine ganze Welt zusammenbrechen. In ihrem Kopf tauchen immer wieder die Bilder von ihren Eltern auf. Schon längst fließen kleine Flüsse aus Tränen ihr Gesicht herunter. Angel's Atem ist stockend und sie versucht stehen zu bleiben, doch ihre Beine gebe nach kurzer Zeit nach. Sie kauert sich auf dem Boden so zusammen, dass sie ihre Stirn an ihre angewinkelten Beine lehnen kann. Am liebsten würde sie schreien, doch dafür hat sie zu wenig Kraft. Sie spürt, wie ihr Kopf beginnt zu pochen und nimmt kaum mehr ihre Umgebung wahr. Eines nimmt sie jedoch wahr; die metallene Hand des Winter Soldier's auf ihrer Schulter.

"Fass mich nicht an!"

So schnell es ihr in diesem Moment möglich ist, entfernt sie sich von dem russischen Soldaten und schaut ihm verachtend in die Augen. Sie erinnert sich ganz genau daran, dass dieser Metallarm ihrem Vater zuerst das Leben genommen hat und dann ihrer Mutter die Kehle zerdrückt hat.

"Du hast meine Eltern getötet, du Monster! Wieso hast du bei mir nicht weitergemacht? Es wäre ein leichtes für dich gewesen einer 5-Jährigen das Genick zu brechen. Wieso hast du mich zu Hydra gebracht? Wieso!?"

Immer mehr Tränen rinnen über Angel's blutiges Gesicht und versickern in ihrem schwarzen T-Shirt. Niemand kennt die Antwort auf ihre Frage, denn seitdem der Winter Soldier die 5-jährige Hayley verschont hat, fragt er sich diese Frage täglich. Vermutlich war sie zu unschuldig, um zu sterben.

"Angel, ich..."

Ohne ihm die Möglichkeit zu geben seinen Satz zu beenden, wendet sich das schwarzhaarige Mädchen von ihm ab und macht sich auf den Weg, um sich ihre Waffen zu besorgen. Der Winter Soldier beschließt, dass es vermutlich das beste ist, wenn sie für eine Weile nicht mehr miteinander sprechen. Vielleicht verzeiht ihm Angel ja, wenn sie die Mission abgeschlossen haben. Er folgt ihr, wie es ein Hund tun würde, der seinen Besitzer weglaufen sieht. Schweigend betreten sie einen kleinen Raum, in welchem nur eine Leiche liegt. Dem Mann scheint Angel das Schwert mitten durch den Schädel gestoßen zu haben. Sie nimmt die Lederjacke vom Tisch und wirft ihrem Partner sein Maschinengewehr entgegen, welches er mit seiner menschlichen Hand fängt. In einer Ecke liegen die Rucksäcke der beiden, welche der Supersoldat aufhebt und Angel den Ihren entgegenhält. Mit Hass in den Augen reißt sie ihn aus der Hand des braunhaarigen Mannes und verlässt den Raum mit einer ernsten Mine. Hinter dieser Mine fragt sie sich, wer sie eigentlich ist. Sie kann sich zwar an ihre Eltern erinnern, dennoch nicht wirklich an ihre Gesichter oder Namen. Genauso wenig kann sie sich an ihren eigenen Namen erinnern. Zwar hat der Soldat mit dem gefährlichen Metallarm ihr die Eltern genommen, doch Hydra hat weitaus schlimmere Dinge getan. Sie haben Angel die Persönlichkeit genommen und sie wird sie wiederbekommen, egal auf welchem Weg.