»Weg.«, das war das einzige Wort, das seine Lippen verließ, als sie zu ihm aufsah.
»Weg?«, fragte sie, während sich große Überraschung auf ihrem Gesicht abzeichnete. Was meinte er damit? Einfach weggehen?
»Wir fahren einfach weg. Nach Lucca.«, beschloss er und lächelte sie breit an. Die Sonne hatte sich einen Weg durch die weißen Gardienen gebahnt und hatte ihre langen, hellen Fühler nach ihnen ausgestreckt. Sie liebte seine dunklen Haaren, vor allem wenn sie im Sonnenlicht so changierten.
»Aber du musst heute zur Arbeit gehen. Was möchtest du deinem Chef denn sagen?«, fragte sie und schüttelte den Kopf. Eine zu schöne Idee - Lucca war um diese Jahreszeit wunderschön, aber wie stellte er sich das vor? Sich krankmelden?
»Dann bin ich krank, Cara Mia. Wir sind morgen früh wieder da.«, beantwortete er wie selbstverständlich ihre Frage.
»Morgen früh?«
»Morgen früh.«
Sein überzeugendes Lächeln und die hellen Sprenkel in seinen dunklen Augen, veranlassten sie dazu, ja zu sagen. Was hatten sie schon zu verlieren? Es konnte nur wunderschön werden.
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»Wir leben in einer Welt, in der alles einfach sein und schnell gehen muss, Cara Mia. Man darf nicht zu spät kommen, muss sich selbst überholen und schlussendlich verliert man den Blick für das Wichtige. Das – was im Leben wirklich zählt und leider an Wichtigkeit verloren hat.«, erklärte er, als sie bereits im Auto waren und sich auf den Weg nach Lucca machten. Sie hatten kaum etwas gepackt. Nur das, was sie anhatten und etwas Geld.
Giulia strich sich eine Strähne aus der Stirn, der Fahrtwind ließ ihre Haare in dem roten Kopftuch verheddern. Sie sah vielleicht nicht ganz so anmutig aus, wie Grace Kelly oder Audrey Hepburn, aber strahlen tat sie definitiv so hell wie sie.
»Man lässt sich von diesem ungeschriebenen Gesetz der Zeit fremdbestimmen. Aber heute nicht, Cara Mia. Wir bestimmen heute über uns selbst.«, lächelte er breit und griff nach ihrer Hand, die sie als Antwort sanft drückte, bevor sie raus blickte und die vielen Olivenbäume an ihnen vorbeirauschen sah.
Das war Freiheit.
Manchmal brauchte es nicht so viel um glücklich zu sein.
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Auf dem großen Platz in Lucca wimmelte es nur so vor Menschen. Überall saßen sie auf den Terrassen der vielen Cafés, tranken frisch gemahlenen Kaffee und ließen sich von der Musik, die aus den einzelnen Cafés drang und draußen zu einem großen Lied wurde, tragen. Abends, nach reichlich Kaffee und dem ein oder anderen Glas Wein, standen sie um den Brunnen herum versammelt und wirbelten umeinander über den gepflasterten Boden. Verliebte, Pärchen, Fremde, Familie und Freunde tanzten zusammen und vergaßen für diesen einen Augenblick, dass es so etwas wie Zeit überhaupt gab. Sie tanzten, als hätten sie keine Sorgen und als würde der Morgen nie kommen.
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lagom
Short StoryWeil wir alle nach unserem ,lagom' suchen. Nicht zu viel, nicht zu wenig - einfach nur genau richtig.