Josephine,
Ich weiß, dass ich mich in letzter Zeit unmöglich verhalten habe. Ich habe gewusst, dass ich dir wehgetan habe und habe keinerlei Anstalten gemacht, damit aufzuhören. Ich weiß, dass ich ein Arschloch bin. Glaub mir. Ich weiß auch, dass ich dir mit dieser Entscheidung auch wieder wehtun werde.
Du hast vor einigen Wochen zu mir gesagt, dass sich ,Das Richtige Tun' nicht immer richtig anfühlt, aber dass wir genau deswegen auf die Probe gestellt werden. Dass Liebe ihr Tribut fordert und dass man, wenn man einen Menschen aufrichtig liebt, sein Wohl vor sein eigenes setzen muss. Man muss seine Prioritäten neu definieren. So ungefähr hast du mir das erklärt. Damals habe ich kaum was verstanden, aber als ich dich gestern schlafen sah, ist es mir auf einmal bewusst geworden. Ich liebe dich so sehr, Jose. Ich kann es kaum in Worte fassen, Liebe ist dafür ein zu schwaches Wort.
Ich wollte nie so werden, wie mein Dad, Jose. Ich wollte immer stark und unabhängig sein, aber jetzt... -
Ich meine, schau mich an. Ich tue dir nicht mehr gut. Ich war so unheimlich egoistisch und nur mit mir selbst beschäftigt, dass ich nicht bemerkt habe, dass ich dich außen vor gelassen habe. Ich wollte nicht wahrhaben, dass du ohne mich besser dran bist. Dass du dich, wenn ich weg bin, noch einmal um dich kümmern kannst und nicht die ganze Zeit um mich und meine Psyche. Ich bin so durch, Jose.
Du bist das einzige, das zählt. Du bist das einzige, das mir noch wichtig ist, auch wenn du das gerade vielleicht nicht verstehen kannst. Ich kann mir vorstellen, wie krank du vor Sorge warst, als ich nicht neben dir lag und dieser Brief meinen Platz eingenommen hat. Vermutlich kannst du kaum noch etwas lesen, weil deine Sicht von den Tränen so verschwommen ist. Du bist vielleicht sauer und fragst dich, wieso ich einfach abhaue. Wieso ich so ein Feigling bin.
Die Sache ist, dass ich dir darauf keine Antwort geben kann. Ich bin ein Arschloch, das glaubt, dass es in einer anderen Stadt besser werden wird. Alleine.
Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie ich das wieder hinbiegen soll. Wie ich mich wieder zusammenfügen kann, damit ich wieder da für dich sein kann und du nicht mehr für mich parat stehen musst - weil ich doch schließlich immer der Starke von uns beiden war. Ich bin doch der Mann. Ich muss für dich da sein, nicht umgedreht. Aber wenn wir beide mal ehrlich sind, waren die letzten Monate schrecklich. Ich war so schrecklich depressiv und du hast alles für mich geregelt. Die ganze Zeit warst du an meiner Seite, hast dir jeden Tag dieselben Sachen von mir anhören müssen, ohne, dass ich dabei etwas Dankbarkeit dir gegenüber aufgebracht habe. Du warst so stark, Jose. Du hast alles gegeben. Aber bitte denk nicht, dass ich dich Nachts nicht weinen gehört habe. Ich habe dich gehört, als du mit deiner Mutter telefoniert ist.
»Ich kann das nicht mehr lange, Mom. Ich liebe David, aber... Ich bin doch selbst am Ende, Mom.«
Ich weiß, wie du dabei in der Küche standest und dir mit dem Handrücken über die Augen gefahren bist. Du sahst so fertig aus. Du sahst so aus, wie ich mich gefühlt habe.
Und all das, Jose. All das mache ich für uns. Ich werde das wieder auf die Reihe kriegen. Ich sitze gerade auf einer Fähre nach England. Man hat mir gesagt, dass es dort gute Ärzte gibt, die mir helfen können. Als Ben den Burnout hatte, war er ebenfalls da und es hat ihm geholfen. Ben und Sally sind seitdem wieder glücklich, Jose. Vielleicht kriegen wir das auch wieder hin. – Nicht vielleicht. Wir kriegen das wieder hin.
Ich melde mich, sobald ich kann. Ich werde dir Briefe schreiben, auch wenn ich nicht weiß, ob du sie lesen wirst. Wahrscheinlich bist du außer dich vor Wut.
Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich liebe. Über alles. Aber damit das wieder zwischen uns funktioniert, muss ich mich auch wieder lieben. Ich muss wieder mit mir selbst klarkommen, sonst kann ich nicht für dich sorgen.
Du kannst mir glauben, dass ich die ganze Zeit an dich denken werde. Die ganze Zeit. Wenn ich nicht trinke, denke ich an dich. Wenn ich nicht schlafen kann, dann nur, weil ich in Gedanken bei dir bin.
Vielleicht wache ich bald auf und bin erwachsen. Vielleicht bin ich dann endlich der Mann, den du geheiratet hast. Vielleicht bin ich dann auch endlich ich.
Denk daran, dass ich dich liebe und dass ich bald wieder zu Hause bin.
– D.
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lagom
Short StoryWeil wir alle nach unserem ,lagom' suchen. Nicht zu viel, nicht zu wenig - einfach nur genau richtig.