Ich wühlte in meiner Truhe und fluchte. Ich kam schon wieder zu spät und das nur, weil die verdammte Tasche weg war. Eines Tages würde mich König Lorta feuern. Endlich fand ich, was ich suchte und schwamm durch einen Tunnel aus meiner Höhle nach draußen. Die meiste Wassermenschen lebten in Häusern, doch ich fand meine Höhle gemütlich.
Fünf Minuten später kam ich endlich im Palast an. „Line! Du bist zu spät! Und mach deine Haare zusammen verdammt nochmal!“ Die Köchin kam mit entgegen. Eigentlich war sie der Chef hier, auch wenn es einen Haus- und Hofmeister gab. „Tut mir Leid, Weona, kommt nicht wieder vor.“, murmelte ich, während ich meine roten Haare, die wie Tentakeln um mich herum schwammen, mit einem Topfgummi zu einem Dutt bändigte. „Das hab ich schon sooft gehört. König Lorta wollte dich entlassen, aber Prinzessin Ley hat dich verteidigt.“ Ich hielt inne. „Ley hat mich verteidigt? Wieso?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Line. Vergiss bitte nicht, dass du nicht ihre Freundin bist, sondern ihre Zofe. Für dich ist sie immer noch Prinzessin Ley. Und jetzt geh dich endlich umziehen.“ Ich nickte und schwamm weiter. Wenn sie wüsste, das wir unter den Angestellten sämtliche Titel wegließen, würde sie uns umbringen.
In Zimmern der Bediensteten zog ich schnell meine Arbeitskleidung an. Eine schwarze, weite Hose und ein weißes T-Shirt, auf dem Line eingestickt war. Danach beeilte ich mich, in das Zimmer der Prinzessin zu kommen.
„Line! Da bist du ja!“ Ley saß auf einem Sessel und betrachtete ein Bild. „Entschuldigt, dass ich zu spät bin, Prinzessin.“ Sie runzelte die Stirn. „Ich hasse es, wenn du so redest. Du bist nur einige Wochen älter als ich. Aber ich kann dich ja sowieso nicht davon abhalten. Sieh Mal hier: diese Frisur ist der Hammer! Kannst du sie mir machen?“, fragte sie und reichte mir das Foto. Es war ein menschenüblicher Flechtezopf. Ich nickte und bedeutete ihr sich zu setzten.
Eine Weile sprach niemand, während ich ihre Haare kämmte. Schließlich sah sie mich durch den Spiegel an. „Warum bist du heute so still? Sonst erzählst du ständig.“, fragte Ley. Ich beschloss ehrlich zu sein. „Warum habt ihr mich verteidigt, gegenüber eurem Vater?“ Sie sah überrascht aus. „Ganz einfach: weil ich dich mag! Ich hab kaum Gleichaltrige, hier am Hof, da bist du unglaublich angenehm. Außerdem weiß ich, dass du eine Waise bist. Ohne den Job könntest du nicht überleben.“
Ich senkte den Kopf, anscheinend jedoch zu spät, denn sie sah es trotzdem. „Das muss dir nicht peinlich sein. Du kannst doch nichts dafür. Aber jetzt lass uns über etwas fröhlicher es reden: ich habe für heute einen Ausflug geplant. Nur wir zwei! Aber ich verrate dir nicht, wohin es geht, das wird eine Überraschung.“
Nun war ich die Jenige, die überrascht war. „Ein Ausflug? Sie dürfen doch nicht alleine aus dem Palast.“, fragte ich, während ich einen Gummi um das Ende des Zopfes knotete. Jetzt grinste sie und stand auf. „Genau richtig. Dafür bist du ja dabei.“ Ich runzelte die Stirn. „Ich darf während der Arbeitszeit auch nicht allein aus dem Palast.“ Ihr Grinsen wurde breiter. „Ich bin doch aber bei dir.“
Mich beschlich der Gedanke, dass in dieser Theorie ein riesiges Problem steckte, ich Ley jedoch eh nicht von ihren Plänen abbringen könnte.
Sie schnappte sich einen Beutel, der auf ihrem Bett lag und schwamm los. Ich beeilte mich, ihr zu folgen. Wir wollten gerade aus dem Palast schwimmen, doch uns stoppten zwei Wachen. Ich betete zum Himmel, dass sie uns nicht weglassen würden, doch natürlich hatte ich Pech.
„Wo wollen sie hin, eure Hoheit?“, fragte eine Wache. „Wir besuchen einen Botschafter aus Emania, falls sie mir nicht glauben, können sie meinen Vater fragen.“ Er nickte misstrauisch und schwamm los. Zwischen uns und dem zweiten Wachposten herrschte Stille.
Ley sah sich betont unauffällig um, als plötzlich Schreie von irgendwo ertönten. Gleichzeitig sah die Prinzessin unglaublich erschrocken aus. „Oh mein Gott! Die Gärtnerin hat sich mit dem Messer geschnitten! Helfen sie ihr schnell!“ Die Wache schwamm, nach einem kurzen Blick zu uns, los um zu helfen.
Sofort packte Ley meinen Arm und zog mich weg vom Palast. „Beeil dich, bevor er zurück kommt!“, zischte sie. „Habt ihr das geplant?“, fragte ich außer Atem, als wir uns in einem Algenfeld auf den Boden legten, damit uns keiner sah. „Natürlich. Hätte aber selbst nicht geglaubt, dass der Plan aufgeht. Guck nicht so, die Gärtnerin hat sich nur Erschrocken, weil ich einen kleinen Hai in den Schuppen gesperrt hatte.“ Mir entschwammen meine Gesichtszüge. „Ihr habt was? Der könnte sie verletzt haben. Hoheit, bitte, wir müssen nachsehen ob es ihr gut geht!“
Sie sah mich mit einem verwirrten Blick an und sagte dann: „Er war winzig, wirklich. Außerdem war er nicht aggressiv, sonst hätte ich ihn nicht in den Schuppen gekriegt. Beruhig dich und pass auf, wann wir freie Bahn haben.“
So lagen wir still nebeneinander und beobachteten den Eingang des Palastes. Nach einigen Minuten kam der Wachposten zurück und sah sich um. Dann sah er aus, als würde er sich selbst nur zu gerne ohrfeigen. Schließlich schwamm er zügig durch das Tor und verschwand.
„Bingo! Jetzt ist er beschäftigt. Los!“ So stieß sie sich vom Boden ab und schwamm direkt nach oben. Wollte sie etwa…?
„Wohin führt dieser Ausflug?“, fragte ich mit einer bösen Vorahnung. „Ich will an die Oberfläche. Die Menschen sehen.“ Ich stoppte sofort. „Das ist viel zu gefährlich! Wenn die Menschen uns entdecken, könnte das unsere ganze Welt verraten. Wenn sie herausfinden, dass es unter dem Meer eine Zivilisation gibt, dann sind wir erledigt. Sie werden unsere Natur zerstören, genau wie alles andere, was uns wichtig ist! Das können sie nicht machen, Hoheit!“
Sie wirbelte herum und funkelte mich an. „Du entscheidest nicht, was ich machen kann und was ich nicht machen kann! Du kommst einfach nur mit, damit ich nicht allein bin. Ich habe dich nicht gefragt, ob du möchtest und schon gar nicht um Erlaubnis. Ich habe einen Trank dabei, der uns menschliche Körper gibt, sowie diverse Tränke für den Notfall. Ich weiß was ich tue, hast du mich verstanden?“
Ich nickte und flüsterte: „Ja, Hoheit.“ Anscheinend hatte ich einen wunden Punkt getroffen, wie auch immer ich das geschafft hatte. Den Rest des Weges blieben wir still.
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Ocean Heart
Short StoryStell dir vor, es gibt eine Welt, unter Wasser, in der Wassermenschen existieren. Eine Welt voller Dinge, die wir nicht verstehen. Klingt das verrückt? Vielleicht. Doch trotzdem ist es wahr. Das ist meine Welt. Und dort hab ich immer gelebt. Bis jet...