Wie ich mein altes Leben hinter mir ließ..

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Seufzend stellte ich die 2 Koffer neben mir ab. Vor mir ragte das größte Schiff Der Welt auf. Überall gibt es nur ein Thema: Die Jungfernfahrt der Titanic. Bis jetzt verstand ich nicht, was an diesem Schiff so besonders sein sollte. Für mich waren alle Schiffe gleich. Aber jetzt merkte ich, was alle meinten.

Es war einfach gigantisch. Schon aus meinem Blickwinkel sah es aus, wie eine Stadt. So wurde es auch in vielen Zeitungen und Flugblättern bezeichnet: Als eine schwimmende Stadt. Aber ich bezweifle, dass das auch auf die 3. Klasse zutrifft, in der meine Oma Carrie und ich reisen werden.

"10 Minuten! Kind, wir müssen uns beeilen." hetzte Oma Carrie mich, und ich nahm schnaufend die Koffer wieder auf. Sie nahm nichts, da wir wahrscheinlich so noch langsamer wären, außerdem würde sie sonst tagelang über ihre Gelenkschmerzen klagen.

Der Grund wieso meine Oma und ich uns alleine auf so eine große Reise begaben, war simpel. Mein Opa ist vor wenigen Monaten verstorben, und meine Eltern schon kurz nach meiner Geburt. Das ist jetzt über 18 Jahre her. Oma Carrie und ich siedeln also nach New York über, zu einer alten Freundin. Uns blieb ja nichts anderes übrig.

Schwer atmend trug ich die Koffer über die Rampe zum Schiff, hinter mir Oma Carrie. Auch sie war angestrengt, obwohl das einzige was sie trug, unsere Fahrkarten waren.

Ein Mann verlangte unsere Karten, die Oma Carrie ihm bereitwillig und freundlich lächelnd hinhielt. Ich drehte mich noch einmal um.

Mir war komischerweise noch nicht klar geworden, dass das wahrscheinlich einer der letzten Male war, in denen ich meine Heimatstadt Southampton sah. Wehmütig betrachtete ich das Geschehen. Hunderte, Tausende Menschen wuselten aufgeregt in den Straßen umher und ein paar Spätankömmlinge wie wir, mühten sich mit ihren Koffern ab. Ehrlich gesagt, sah es etwas chaotisch aus, viel mehr als sonst.

Mein ganzes Leben habe ich hier zugebracht. Was würde ich geben, um hier bleiben zu können. Aber das konnte ich nicht. Allein weil ich Oma Carrie nicht allein lassen konnte. Die Titanic kam ihr grade Recht, im Gegensatz zu mir. Opa wäre begeistert von diesem Schiff: Alles was groß und kompliziert gebaut war, hatte ihn wahnsinnig interessiert.

Aber er war nicht hier, und wird es auch nie mehr sein. Ich schluckte. Normalerweise verdrängte ich Gedanken an den Tod immer, so wie jetzt. Mein komplettes Leben liegt noch vor mir, da will ich nicht jetzt schon an das entgültige Ende denken.

"Alison!" Verwirrt drehte ich mich um, wo Oma Carrie stand, und mir mit tadelnem Blick ihre Hand hinhielt. Ich trat zögernd einen letzten, großen Schritt.. Und stand auf der Titanic.

Noch einmal rief meine Oma meinen Namen, diesmal einen Ticken schärfer, und eilig folgte ich ihr durch massenhaft Gänge und versuchte nebenbei jedes einzelne Detail des Schiffes zu begutachten.

So tiefer und weiter runter wir jedoch ins Schiff vordrangen, desto weniger gab es auch zu bestaunen. Es gab keine Musterungen oder Verzierungen mehr, nur noch eintönige Farben.

Mit meiner Hand fuhr ich an der Wand entlang. "Sehr luxuriös.." murmelte ich ironisch. Oma Carrie drehte sich kurz um und warf mir wieder ihren tadelnden Blick zu.

"In anderen Schiffen müssten wir jetzt mit allen Passagieren der 3. Klasse in einem Schlafsaal schlafen! Also beschwer dich bitte nicht." wetterte sie sofort los. Spielerisch genervt rollte ich mit den Augen. Oma Carrie hielt dieses Schiff für das großartigste, wunderbarste und sowieso aller beste was ihr hätte passieren können.

Daher der Drang es immer zu verteidigen. Und eigentlich dürfte ich mich wirklich nicht beschweren.

Oma Carrie schleppte mich weiter, runter zum F-Deck, wo unser Zimmer sein sollte. Ich hatte zwar nicht die leiseste Ahnung, wie man sich hier zurechtfinden könnte, aber Carrie schaffte es einwandfrei.

Stay with me (Titanic)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt