Der Wächter, der mich abholen sollte, brauchte tatsächlich über vierzig Minuten, bis er im Hotel ankam. Dass ich genervt war, als wir endlich auf dem Rückweg waren, sollte keine Überraschung mehr sein. Der, der mich abholte, war jemand, mit ich zwar schon ein paar Mal im Quartier gewesen war, aber mit dem ich noch nichts zu tun gehabt hatte.
Soweit ich wusste, hieß er Nick und nahm seine Aufgaben immer viel zu ernst. Er war etwas über zwanzig und auch erst seit ein paar Monaten dabei.
Mit den Gedanken war ich noch völlig im Hotel. Liz Erscheinung hatte mich ziemlich berührt, auch wenn sie weder etwas gesagt noch gemacht hat. Sie hatte einfach dagestanden und nichts getan.
Scheiße, ich vermisste sie echt. Mein Verdrängen scheiterte mit jeder Sekunde, in der ich wieder in Ashford war. Sollte ich Adrian davon erzählen?
Nein, besser nicht. Es würde ihn nur traurig machen und ihn runterziehen. Es war schon genug, dass ich schon meine tote Freundin sehen musste. Ich konnte ihm das nicht antun.
»Ich habe von dem Vorfall im Hotel erst gehört, als Agent Jackson mich angerufen hat«, riss mich die Stimme von Nick aus den Gedanken.
»Du kennst ihn?« Das wunderte mich, da er noch nicht so lange dabei war und er die Ehre hatte, Cole kennenzulernen.
Nick hielt an einer roten Ampel und nickte. »Ja. Vor etwa zwei Wochen habe ich ihn das erste Mal getroffen. Ich meine, im Fernsehen ist er ja schon sehr bekannt und ihn noch einmal persönlich zu sehen«, sagte er ein bisschen schwärmerisch, »ist schon etwas besonderes.«
Etwas besonderes? Das ich nicht lache!
»Jackson hat mir angeboten, Dinge für ihn zu erledigen, damit meine Schwester ein Autogramm von ihm bekommt. Natürlich habe ich sofort zugesagt, das ist so toll!« In seiner Stimme klang so viel Euphorie, dass ich beinahe gekotzt hätte.
Wie sollte ich ihm das jetzt am besten beibringen? »Nick«, begann ich und versuchte ein ungläubiges Lachen zu unterdrücken. »Cole nutzt dich nur aus. Du sollst für ihn die Drecksarbeit erledigen, mehr ist das nicht. Glaub mir.«
Nick war einer der Wächter, die sich um die Bürokratie kümmerten, so wie Max. Er besaß braunes kurzes Haar. Ich wusste, warum Cole ihn ausgesucht hatte. Er wirkte nicht sehr selbstbewusst, wie er zusammengekauert auf dem Fahrersitz saß und jedes Straßenschild sorgsam beachtete. Auf Cole wirke Nick wie ein Opfer, mit dem er machen konnte, was er wollte.
Und so etwas hasste ich. Sich die Schwachen auszusuchen konnte jeder. Cole war wirklich ein mieses Arschloch, welches noch eine Tracht Prügel verdiente. Naja, vielleicht nächstes Mal, wenn er mir unter die Augen kommt.
Für den Rest der Fahrt schwiegen wir, bis wir in Ashford ankamen. Gerade, als wir durch die Stadt fuhren, kamen wir an der Bibliothek vorbei und mir kam eine Idee. »Warte, halt hier auf dem Parkplatz«, befahl ich Nick kurzerhand. »Wir müssen einen kleinen Umweg machen...«
Nick schien davon nicht sehr begeistert zu sein, weil wir angeblich damit gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen würden, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Trotzdem gehorchte er. In der Bibliothek beschloss er, vorne bei der Tür zu bleiben und dort aufzupassen, dass kein Venatori reinkam. Süße Idee, aber gegen sie hätte er - ohne es böse zu meinen - keine Chance.
Ich dagegen suchte gleich eine Bibliothekarin und fand auch schon eine, die ich noch ziemlich gut in Erinnerung hatte.
Als Isaac und ich damals Recherchen zu Harrison Conners - dem Mörder von dem Geist, der mich einst aufgesucht hatte - gemacht und da war ich ihr auch begegnet. In meiner Kindheit war ich wegen eines Streites zwischen Clara und David weggelaufen und hatte hier übernachtet. Die Bibliothekarin Florence fand mich und rief die Polizei. Beinahe hätte sie mir Hausverbot gegeben, aber Clara stimmte sie um.
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Lost Whisper
Fantasy~~~ Dritter Teil der Whisper-Reihe ~~~ Nach dem Tod ihres Wächters und der Aufdeckung des Verräters versucht Zoey sich mit Aufträgen abzulenken. Gerade, als sie das Gefühl hat, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, wird England von einer Reihe...