"Der Junge vom Hinterhof"~Yugbam

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Stille.

Sie war das Einzige, was mich tagtäglich begleitete, wenn ich mal wieder rastlos durch die endlosen Gänge meines Elternhauses streifte.

Obwohl ich in meinen fast sechzehn Jahren Lebenserfahrung nie andere Wände als die hiesigen zu Gesicht bekommen hatte, kam es mir jedes Mal aufs Neue so vor, als gäbe es noch immer unzählige verschlossene Türen; Räume, die ich nie zuvor betreten hatte.

Sie konnten so vieles sein, so vieles verbergen.

Hinter jeder Tür in diesem mächtigen Gebäude- ich würde es schon nahezu Palast nennen- verbarg sich etwas Einzigartiges.

Da gab es zum Einen die Räume, die auf den ersten Blick so vollkommen unscheinbar wirkten, so nutzlos.

Allesamt waren sie komplett in weiß gestrichen, nicht gerade von immenser Größe und mit keinerlei Fenster gespickt, nur eine einzelne Glühbirne sorgte für ausreichend Licht.

Aber ihre Größe und auch die Beleuchtung waren dennoch ausreichend, um dem Platz zu bieten, wofür sie eigentlich angelegt waren.

Den Erinnerungen.

Ich hatte, verglichen mit den anderen Räumen, relativ lang gebraucht, um hinter ihre Bedeutung zu kommen, aber es war mir letztendlich gelungen.

Ein jeder Einzelne von ihnen war ein Puzzleteil und entschlüsselte man ihre Botschaft, fügte sie alle zusammen, dann erhielt man eine Geschichte.

Die Geschichte, wie meine Eltern sich kennengelernt hatten.

Vielleicht sollte ich diese ganze Aufmachung rührend finden, mich darüber freuen, wie speziell meine Eltern ihre tiefe Bindung zueinander ausdrückten, doch ich verspürte nichts Anderes als Bedauern, wenn ich in ihre Erinnerungen eintauchte.

Erinnerungen, die ich nicht mit ihnen teilte.

Es gab generell niemanden auf dieser Welt, mit dem ich überhaupt Erinnerungen teilte, abgesehen von mir selbst.

Mein komplettes bisheriges Dasein schon hatte ich an diesem geschlossenen Ort verbracht, ohne auch nur einen Funken Kontakt zu der 'Außenwelt', wie meine Eltern es nannten.

Ich wusste nicht wirklich viel über das Leben abseits der Mauern, hinter welchen ich mich befand; nur so viel, wie Vater und Mutter es zu beschreiben vermochten und das war mit größter Sicherheit bei Weitem nicht alles.

Die Welt sei böse, sagten sie.

Die Welt sei gefährlich, sagten sie.

Sie wollten mich schützen, sagten sie.

Es wäre zu meinem Besten, sagten sie.

Ich glaubte ihnen nicht; es waren nicht mehr als leere Worte, die in meinen Ohren nachhallten.

Denn was sie vergaßen war, dass es in diesem Haus so gut wie alles gab, vorallem viele Bücher.

Ich hatte sie gelesen, jedes Einzelne.

Und mit jedem weiteren Buchstaben, jedem Wort, jeder Seite begann ich, meine Eltern mit anderen Augen zu sehen.

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte ich ihnen all das abgekauft, in ihnen die Helden gesehen, als die sie sich verkauften, doch heutzutage wusste ich es besser.

Sie waren nichts als Lügner, elendige Lügner, die sich das Recht nahmen, mich ihr Eigen zu nennen, nur weil ich aus ihrem Akt der Liebe entstand.

Sie hielten mich auf Krampf hier fest, fern von dem wahren Leben, damit ich ihnen ja nicht entfloh, sie ja nicht verließ, wie es anscheinend schon so viele getan hatten.

Freiheit.

Wie gern würde ich soetwas auch mal erleben, am eigenen Leib spüren; ich wollte es fühlen.

Keine Emotion, kein Gefühl hatte ich je so richtig selbst erlebt.

Die Worte, sie waren so bedeutungslos, nur unnötige Buchstaben, niedergedruckt auf ganz gewöhnliches Papier, wenn man ihnen nichts nachempfinden konnte.

Was hieß es schon für mich, Freiheit?

Laut den Büchern konnte es so vieles sein, doch wie stand es mit mir; wie war es in Wirklichkeit?

War ich überhaupt die Wirklichkeit?

Wer konnte es mir schon sagen, mit wem konnte ich schon darüber reden?

Mit meinen Eltern? Eher noch, ließen sie mich freiwillig hinaus.

Die Bücher? Längst schon gaben sie nicht mehr genügend Antworten, aber die Fragen häuften sich unaufhörlich.

Doch es gab noch immer so viele Türen, die ich nie geöffnet hatte.

Hinter jeder konnte der Inhalt meines Lebens warten und ich würde ihn durchgängig ignorieren, einfach, weil ich sie nicht öffnete.

Manchmal, da fragte ich mich, was wohl geschehen würde, wenn ich sie eines Tages alle geöffnet hatte, so, wie die Bücher.

Ob mein Leben mir dann noch kontrollierter, noch eintöniger vorkommen würde, als ohnehin schon.

Aber keiner konnte mir diese Frage beantworten, ich selbst erst recht nicht.

Ich dachte nicht wirklich nach, als ich die dicke, metallene Tür im untersten Gang rechts der großen Küche öffnete.

Eigentlich hatte mir die Elternschaft nur allzu deutlich erläutert, dass es mir strengstens untersagt war, zu sehen, was dahinter lag, doch schon damals hatte ich gewusst, dass mich die Neugier eines Tages in die Knie zwingen würde.

Jedes Mal, wenn ich in einen neuen Raum eintrat, überkam mich eine gewisse Ehrfurcht, ein tiefes Gefühl der Faszination für alles Neue, was ich entdeckte und lernte, aber dieses Mal war es anders, anders als je zuvor.

Ich würde das, was hinter der Tür lag, nicht unbedingt als Raum bezeichnen; es war nach oben hin offen und wenn man hinauf sah, folgte nur unendliches Blau.

War das der Himmel?

Gern hätte ich noch so viel mehr Dinge besehen, noch so vieles mehr hinterfragt, doch etwas von größerer Bedeutung beanspruchte meine Aufmerksamkeit.

Es war ein Mensch, aber weder Mutter, noch Vater, sondern ein jüngerer und vorallem dreckigerer.

Er sah mich so schockiert an, wie zuletzt meine Mutter geblickt hatte, als ich sie fragte, was für sie eigentlich Freiheit sei.

"I- ich wollte nichts stehlen, ehrlich!", waren die allerersten Worte, die er jemals mit mir wechselte.

Es war so ungewohnt, überhaupt eine Stimme zu hören, die nicht den Mündern meiner Eltern entsprang, doch es erfüllte mich zugleich mit tiefster Zufriedenheit.

"Mein Name ist Kim Yugyeom.", stellte ich mich vor, wie sie es in den Büchern taten; mit ausgestreckter Hand und Lächeln im Gesicht, obwohl Letzteres bereits ohne Gezwungenheit vorhanden gewesen war.

Der Andere zögerte kurz, ergriff dann meine Hand. "Kunpimook Bhuwakul."

Und so lernte ich ihn kennen, den Jungen von dem Hinterhof, den ich eigentlich gar nicht betreten durfte.

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I don't even know what I did here



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