Teil 1 - Das Mädchen: Freiheit und Rache

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Jetzt da sie sich mit ihrer Umgebung bekannt gemacht hatte, machte sie mit wild klopfendem Herzen einen Schritt auf die Ritter zu. Die wichen nicht zurück, griffen auch nicht an, sondern warteten, was als nächstes Geschehen würde.

Das Mädchen bemerkte nun nach und nach die grimmigen Gesichter, die auf sie gerichteten spitzen Gegenstände und die Anspannung in der Luft. Allerdings wusste sie nicht recht etwas damit anzufangen. Sie hatte keine negative oder positive Wertung von Atmosphären oder Gefühlslagen gelernt. Sie wusste nicht, was die Leute vor ihr wollten oder was sie tun sollte. Darum sagte sie einfach: „Hallo."

Das schien die Ritter jedoch aus ihrer Erstarrung zu rufen. Befehle wurden gebrüllt, die Männer schwärmten aus, umkreisten sie und hielten sie in einem Rund aus auf sie gerichteten Schwertspitzen gefangen.

Das Mädchen hatte keine Angst, sie wusste instinktiv, dass sie stärker war, aber es verwirrte sie und so fragte sie wieder: „Was ist falsch an mir?"

Anstatt zu Antworten, rannte die erste Schicht Menschen auf sie zu, in der Absicht sie töten.

Dies verstand das Mädchen nicht, doch ihr Überlebenswille packte sie und die Männer wurden von einem heftigen Windstoß fortgeschleudert. Nun rannten auch die anderen schreiend auf sie zu. Es machte sie wütend, dass ihr schon wieder niemand eine Antwort gab und die Menschen ihr offensichtlich nicht helfen wollten. Also stand sie da, umzingelt von ausgebildeten Kriegern, und machte einen nach dem anderen nieder.

Es dauerte keine Stunde, bis sie alle erledigt hatte – ob ohnmächtig, geflohen oder tot kümmerte sie nicht.

Enttäuscht sah sie auf die Körper um sich herum hinab. Diese Menschen waren nicht ansatzweise so wie sie es sich vorgestellt hatte. Doch eigentlich waren die Menschen ihr auch ziemlich egal. Viel mehr zog sie die Ferne an.

Sie hatte nun die Freiheit zu gehen, wohin sie wollte. Und sie wollte überall hin gehen. Sie war gespannt, was es in der wirklichen Welt alles gab.

Jeden Schritt auf dem kalten Erdboden genießend ging ihres ungewissen Weges.

Schon bald traf sie auf das verlassene Lager der Ritter. Da ihr inzwischen sehr kalt geworden war und ihre Füße fast zu Eis gefroren waren, ging sie hinein und wärmte sich bei einem kleinen Mahl aus der Küche auf. Sie schaute sich alles genau an und zog die neuen Eindrücke in sich auf. Bevor sie weiter ging, packte sie sich diesmal einen Rucksack mit etwas Essen – Trinken brauchte sie nicht, dazu diente ihr nach wie vor der Regen – und allerlei Dingen, die ihr Nützlich oder Interessant erschienen. Auch zog sie ein Paar zu große Fellstiefel an und nahm sich einen dicken Mantel, Schal und Mütze mit, um sich gegen die Kälte zu wappnen.

So ausgerüstete machte sie sich sogleich wieder auf den Weg. Sie hatte kein Ziel, sie kannte ja keinen Ort, sondern wollte einfach nur weiter. Mehr sehen, andere Menschen treffen, die ihr vielleicht endlich zugetan waren, erfahren was es noch alles gab.

Sie reiste durch die Berge; sah Schnee; spürte den Regen und die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut; stellte fest, dass lange Märsche und Kälte nicht angenehm waren; sah erst nur Vögel, dann andere kleine Tiere, denen sie sich vorsichtig nährte und die sich streicheln ließen; fand sich in einem Wald aus hohen Nadelbäumen wieder; machte Halt an Seen, um in dem klaren blauen Wasser zu baden; probierte zu essen, was die Tiere aßen – Beeren, Gras, Wurzeln, rohes Aas, Käfer und Insekten –; schlief in ihren Mantel eingekuschelt in Höhlen oder unter Bäumen und wärmte sich mit dem von ihr verstärkten Feuer der Streichhölzer, die sie aus dem Lager hatte. Bald kam sie in tiefer gelegene Gebiete mit Laufbäumen, größeren Tieren, Wiesen wie in ihrer Erinnerung und wärmeren Temperaturen. Sie besaß kaum ein Zeitgefühl und so kam es, dass sie wochen-, fast monatelang durch die Welt streifte und die Natur entdeckte.

Die Hexe aus dem TurmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt