As time melts away

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Take me home where I belong

I've got no other place to go

Aurora- Runaway

~*~

Eine Weile folgte er ihrem Weg, ein stiller Beobachter, während er die Kobolde um sich herum zu ignorieren versuchte. Was schwer fiel, nicht nur aufgrund ihrer Lautstärke. Sie warfen mit Dingen, einer führte ein winziges Schwein - wo auch immer er es her haben mochte - durch den Raum; sie lachten und kicherten.

Ein heilloses Durcheinander, ein Chaos sondergleichen. Als etwas Undefinierbares nur wenige Zentimeter entfernt an seinem Gesicht vorbei flog, blickte er sich ruckartig nach dem Übeltäter um, woraufhin ein paar Kobolde hastig die Köpfe einzogen. "Schluss jetzt mit dem Unsinn!", fuhr er die kleinen Wesen an, die zusammen zuckten und binnen Sekunden ihr wirres Treiben unterbrachen.

"Schaut her, was unsere kleine Rosa sich ausgedacht hat", fügte er ruhiger hinzu und forderte einige von ihnen mit einem Kopfnicken dazu auf, näher zu treten. Trappelnde Schritte näherten sich dem Thron von hinten, während die Kobolde über seine Schultern spähten. Neugierige Blicke fingen sich in dem klaren Kristall und wurden vage von ihm widergespiegelt. Jareth hielt die Kugel so, dass sie etwas erkennen konnten. Das Mädchen befand sich nun nicht mehr an der steinernen Wand des Schlosses, nicht länger geschützt vor dem Regen.

Inzwischen balancierte sie mit vorsichtigen Schritten auf einer schmalen Mauer entlang, wie um den Überblick über die Koboldstadt und das Labyrinth nicht zu verlieren. Der Regen durchnässte ihr Kleid und sie streckte die Arme hin und wieder aus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Wie ein Kind auf einem Bordstein.

Ein kleines, runzeliges Wesen, welches nur verschwommen zu erkennen war, da der Fokus der Kugel auf Rosa lag, ließ sie zusammen zucken. Es schien sie anzusprechen, verwirrt angesichts des Mädchens, das dort über die Mauer spazierte. Es folgte ein kurzer Wortwechsel, woraufhin der Kobold kopfschüttelnd seines Weges zog und sich eine alte, löchrige Jacke über den Kopf hielt, zum Schutz gegen den Regen. 

Rosa hingegen wurde mit jeder Minute mehr durchnässt. Ihr schwarzes Haar wand sich wie Seetang um ihren Körper und der Saum ihres Kleides wehte um ihre Beine. Doch gab sie nicht auf, sie drehte nicht um, schien entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Selbst, wenn die silbrigen Regenfäden am Horizont nicht den Anschein machten, als wollten sie allzu bald abreißen.

„Sie kann nicht ewig auf der Mauer entlanglaufen", murmelte ein puppenhaft kleiner Kobold hinter Jareth. In seiner Stimme lag eine Mischung aus Besorgnis und Schadenfreude, als wüsste er selbst nicht recht, welches Gefühl überwog. „Seltsames Mädchen", sagte ein anderer und zog misstrauisch eine buschige Augenbraue in die Höhe.

„Ich denke, ich werde sie wieder zurückholen", unterbrach Jareth die Gedankengänge seiner Untertanen. „Bevor sie sich endgültig verläuft. Oder tatsächlich ihrem Freund begegnet..." Bei den letzten Worten nahm seine Stimme einen amüsierten Ton an und er blickte zu den Umstehenden, von denen ein paar wie auf ein stummes Kommando hin leise zu lachen begannen. Er hatte nie vorgehabt, sie weit genug kommen zu lassen. Ihre Aufgabe in diesem Spiel war es, bei ihm zu bleiben, bis die dreizehn Stunden endgültig vorüber gingen. Sodass er sich geschmeidig von seinem Thron erhob, die Kugel verschwinden ließ und einen Kobold mit dem Fuß aus dem Weg schob.

„Vielleicht sollten ein paar von euch zukünftig auf sie aufpassen", ließ er die anderen vernehmen, ehe sein Bild vor ihren Augen verblich, wie Nebel; als sei er nichts als eine lebhafte Vorstellung gewesen.

Rosa tappte währenddessen noch immer auf der Mauer entlang, die zunehmend rutschiger wurde durch die Nässe. Ihr Kleid lag unangenehm eng und kalt an ihrem Oberkörper, nun, da der Regen den Stoff durchdrungen hatte. Mit klammen Fingern strich sie sich das Haar aus dem Gesicht, während die Wolken die Sicht mehr und mehr verdunkelten. Aus den Pfützen wurden schattige Seen, die Tropfen rannen an der Mauer hinunter und sie fror. Was für eine dumme Idee es doch gewesen war! Doch gleichzeitig wusste sie, dass es sie verrückt gemacht hätte, allein in dem ihr zugedachten Zimmer zu bleiben. Sie wäre verzweifelt. Ihre Angst und ihre Gedanken hätten sie schlichtweg erdrückt.

Sie wünschte sich so sehr nach Hause zurück, dass es schmerzte. Ihr Herz zog sich hinter ihren Rippen unangenehm zusammen, ehe es über seinen eigenen Rhythmus zu stolpern schien, als der Regen mit einem Windstoß aussetzte.

Sie hob den Blick und wäre um ein Haar zurück gestolpert.

Ein schimmernder, sacht nach dem ersten Flieder im Jahr duftender Hauch wehte um den König herum und senkte sich auf die nasse Erde, kaum dass er wie aus dem Nichts vor ihr auftauchte. Neben ihnen prasselte das Wasser weiter hinab, als existierte mit einem Mal ein unsichtbarer Schirm über ihnen.

„Ich frage mich, was das hier wird, wenn es fertig ist", sprach er sie an, fragend und in seinen Wort schwang eine eigenwillige Form von Missfallen mit. Ein sanfter Tadel, der ihr beinahe das Gefühl gegeben hätte, wirklich etwas falsch gemacht zu haben.

Allerdings wirklich nur beinahe. Sie wusste es besser. Sie blickte nach unten, an der Mauer herab, die Arme vor dem schmalen Körper verschränkt. „Ich habe es im Schloss nicht mehr ertragen", ließ sie ihn wissen. Ein nur vage zu erahnender Hauch von Trotz lag in ihrer Stimme. Sie gab sich alle Mühe, ihm nicht zuzeigen, wie sehr sie fror und sich nach den schützenden Wänden eines Hauses sehnte. 

„Und da beschließt du einfach so mitten im Sturm spazieren zu gehen? Auf einer Mauer?" Er glaubte ihr kein Wort. Zumindest nicht den Teil, der ihm weismachen wollte, nichts anderes hätte hinter ihrem kleinen Ausflug gesteckt.

Nun sah sie ihn doch an. Die Augen dunkler noch als die Pfützen um sie herum, die wirkten als bestünden sie aus vergossenem Nachtlicht. „Niemand hat gesagt, dass ich es nicht darf", gab sie zurück.

„Du hast nach dem Jungen gesucht, nicht wahr?", der König der Kobolde trat einen Schritt näher an sie heran. „Du hast im Labyrinth nichts verloren, kleine Rosa. Es ist seine Aufgabe, dich zu finden. Seine ganz allein."

Aus ihren Haaren fielen einzelne Tropfen auf den kalten Stein und zersprangen dort wie Glas. Auf eine Reaktion des Mädchens wartete er jedoch vergeblich.

„Ich schlage vor, du kommst mit mir zurück ins Schloss und ziehst dir etwas Trockenes an."

Er neigte den Kopf kaum merklich zur Seite, sah sie an und als sie sich erneut weigerte, mit ihm zusprechen, streckte er den Arm aus, um sie mit sich zu nehmen, doch wich sie zurück. „Du kannst den ganzen Weg allein zurück laufen, wenn es dir lieber ist", sagte er, kühl und gleichzeitig im Stillen überrascht über ihre plötzliche Sturheit. Sie schien es ihm tatsächlich übel zunehmen, dass er sie hatte hier herbringen lassen. Nur, dass die Vorwürfe, die ihn trafen, nicht aus Worten bestanden. Ihr Schweigen war der einzige Widerstand, der ihr in diesem Augenblick noch blieb.

Einen Augenblick rang sie sichtlich mit sich, bis sie ihre Schultern ein wenig entspannte, sich ihm nur wenige Zentimeter zuwandte. Eine stumme Erlaubnis. Rosa sah ihn nicht an, als er den Arm um ihre kalten, nass geregneten Schultern legte. Auch dann nicht, als die Welt zu verschwimmen begann und die Farben ineinander verliefen wie bei einem sonderbaren Aquarell. Sie ordneten sich neu an, fanden andere Plätze und die Luft roch im nächsten Augenblick weniger kühl und feucht. Rosa blinzelte in den Raum hinein; diesmal hielt sich der Schwindel in Grenzen.

Sie befand sich an exakt derselben Stelle, an welcher sie das Reich der Kobolde betreten hatte. Wie lange mochte es her sein? Eine Stunde? Zwei? In jedem Fall zu lang, die Zeit rann ihr wie Sand zwischen den Fingern davon. Und ihr Plan, ihre erste und vielleicht einzige Hoffnung, diesem Irrsinn zu entrinnen, war kläglich gescheitert. Die kleinen Gestalten um sie herum durchbohrten sie förmlich mit ihren neugierigen Blicken, tuschelten und huschten durch den großen Raum. 

„Ich will keiner von ihnen werden...", hauchte sie, die Arme noch immer schützend um sich geschlungen, während Jareth seinen eigenen Arm zu sich zurück nahm. Ihre Stimme war kaum mehr, als ein brüchiges Flüstern, beinahe nicht zu hören zwischen dem Rascheln der Kobolde. 



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