I.TEIL - DER ANFANG UND DAS ENDE

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Cecilia

Es war ein Mittwochmorgen. Es war eiskalt. So wie der Dezember eben war. In ein paar Tagen war Weihnachten. Ich hatte gerade Geschichte, aber meine Gedanken schweiften in der Ferne herum und beschäftigten sich mit anderen Dingen. „Marie, was sagst du dazu?" Erst als mein Sitznachbar Leon mich leicht anstieß, bemerkte ich, dass ich gemeint war. Ich blickte Frau Millers an. „Marie, ich möchte dich bitte nach der Stunde sprechen." Dabei beließ sie es, wandte sich ab und fuhr mit ihrem Unterricht fort. Ich bemerkte, dass fast alle mich anstarrten. Ein paar Jungs tuschelten und kicherten. Ich seufzte. Bald ist es vorbei, bald ist es vorbei. Ich versuchte wieder zur Ruhe zu kommen und mir nichts anmerken zu lassen. Dann wandte ich mich wieder meinen Plänen zu und versank in meinen Gedanken.

Erst als es zum Stundenende klingelte, konzentrierte ich mich. Nichts anmerken lassen. Es ist alles okay. Wenn irgendwer Wind bekommen würde, wäre es vorbei mit meinem Plan. Peng. Aus. Dann würden sie mich wieder zu diesem Psychologen in dieses verdammt abgelegene Kaff schicken. Besser nicht, dachte ich. Ich atmete tief durch. „Marie, bitte zu mir.", rief Frau Millers. „Cecilia, bitte." Ich zwang mir ein Lächeln auf. „Hier steht Marie." Ich blickte sie müde an. „Na gut.. Cecilia. Du bist in letzter Zeit so abwesend. Und dann der Test letzte Woche... Du weißt, dass ich Vertrauenslehrerin bin und du dich jede Zeit bei mir melden kannst, okay? Es gibt Hilfe für dich." Oh Gott, was soll das denn werden? Versucht sich Frau Millers jetzt etwa als Psychologin? Ich schmunzelte bei dem Gedanken und der Vorstellung von Frau Millers in einer Anstalt. „Mar...Cecilia, ich meine es ernst, okay. Falls irgendetwas ist, bitte sag Bescheid. Wir sind immer für dich da." Blablabla. „Klar.", antwortete ich knapp. „Falls dies noch einmal vorkommt, werde ich mit deinen Eltern reden, okay? Bitte versuch das zu vermeiden. Wie gesagt, ich bin - wir sind immer für dich da." „Darf ich jetzt gehen?" „Ja." Frau Millers blickte mich frustriert an, sie hatte wohl gemerkt, dass es nichts bringen würde, weiter auf mich einzureden. Cecilia, konzentrier dich verdammt noch mal, redete ich mir ein.

Meinen Namen Cecilia hatte ich mit acht Jahren gewählt. Damals war ich nicht zufrieden mit meinem richtigen Namen, Marie, gewesen. Es gab ihn so häufig, er war so verbreitet. Deshalb hatten mir meine Eltern versprochen, dass ich mir mit acht Jahren einen neuen aussuchen dürfte. Mein Vater war ein Forscher gewesen, soweit ich mich erinnern konnte. Ich hatte tagelang gegrübelt, bis ich einen Namen gefunden hatte. Auf meinen heutigen Namen bin ich damals durch ein Buch - ein Lexikon - meines Vaters gekommen. Es war eine alte Ausgabe von einem Lateinlexikon. Nach kurzem Stöbern fand ich den perfekten Namen - Cecilia. Erst später ist mir klar geworden, was für eine Bedeutung er hatte. Es stammte von den Wörtern Himmel und blind ab. Schicksal, dass es ausgerechnet das Buch meines Vaters gewesen war, der nach einem Autounfall, wie sie alle sagten, gestorben war? Alle hatten damals gesagt, er hätte auf Grund des Regens nichts mehr gesehen. Blind. Blind. Nichts gesehen. Erst vor ein paar Jahren war mir der Zusammenhang klar geworden. Ich hatte niemals wirklich an einen Unfall geglaubt. Mein Vater hatte es so manipuliert, dass es so ausgesehen hatte. Er wollte nicht, dass wir Schuldgefühle hatten. Er wollte, dass wir wieder glücklich wurden. Ich lachte sarkastisch auf. Glücklich. Meine Mutter hatte jahrelang Depressionen, ich wurde vernachlässigt, schließlich musste ich für fast zwei Jahre in eine Anstalt. Ich behielt es für mich, dass es kein Unfall war. Meine Mutter sollte sich nicht noch mehr Vorwürfe machen. Ich war wütend auf meine Mutter. Unheimlich wütend. Ich hatte immer noch Zweifel, ob es nicht ihre Schuld war, dass mein Vater sich das Leben genommen hatte, dass alles so gekommen war, wie es ist. Aber ich habe mich mit der Zeit damit abgefunden. Ich dachte immer noch darüber noch, ob mein Vater mit seinem Suizid durch einen Autounfall einen Hinweis geben wollte. Wegen meinem Namen. Vielleicht wollte er mir sagen, dass er mich liebte. Aber das war zu weit her gegriffen. Wahrscheinlich war es für ihn einfach die beste und unauffälligste Methode gewesen. Mein Abschiedsbrief an sie würde keine Vorwürfe beinhalten. Ich würde ihr sagen, sie solle es diesmal besser machen und nicht schon wieder in Selbstmitleid versinken. Hoffentlich würde sie es diesmal schaffen. Wenigstens dieses Mal. Meine Schwester sollte es besser haben als ich.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 06, 2014 ⏰

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