☆Lüge☆

18 4 6
                                    

Sie sitzt zwischen den anderen Schülern und starrt aus leeren Augen zur Tafel. Der Lehrer schreibt Wörter an das kreidebeschmierte Brett, doch die Worte in ihren Kopf, lassen die Außenwelt verblassen.

Zur Tarnung trägt sie ein ein zartes Lächeln. Sie hasst es zu lügen, doch egal was sie tut, es ist weit von der Wahrheit entfernt. Mir geht es gut, ist die Lüge des Tages. So oft ist dieser Satz über ihre Lippen gegangen. Zu oft, um es als eine gelogene Lüge zu bezeichnen.

Unter ihr der harte Holzstuhl. Immer noch den Blick nach vorne gerichtet, um die Tarnung nicht auffliegen zu lassen, sitzt sie regungslos da. Eine halbe Stunde schweigt sie nun schon und hört ihren Gedanken zu. So lange, bis sie versucht zu verstehen, was der Lehrer sagt, damit sie eine Auszeit von den Worten in ihren Kopf hat.

Ich weiß es nicht, spricht sie es aus, als der Lehrer eine Frage stellt. Wenigstens ist es diesmal die Wahrheit, welche sie der Klasse sagt. Die Geduld des Lehrers steht am Abgrund. Ihre ist schon längst nicht mehr da.

Mit einem Blick des Mitleids und der Wut dreht er sich um und lässt sie elendig auf ihren Stuhl warten, bis die Stunde nach Tagen ein Ende nimmt.

Aufgegeben hat er sie, da sie sowieso nicht viel spricht. Ohne eine gute Mitarbeit kann man nichts erreichen. Wenn sie Glück hat,  schafft sie ihren Hauptschulabschluss. Dann ist es der Schule egal, was sie macht.

Es ist ihr eigenes Leben, was sie führt. Der Lehrer taub wie er ist, hört er sie nicht schreien. Der Lehrer blind wie er ist, sieht er nicht ihren bittenden Blick.

So sitzt sie sechs Stunden am Tag auf den harten Stuhl. Der Zettel leer, der Kopf randvoll. Niemand tut etwas, niemand spricht. Und wenn sie dann nach Hause kommt, wartet ein leeres Haus auf sie.

Und wenn es klingelt, sieht sie ihren Nachbarn vor sich stehen. Die Musik dröhnt durch das ganze Haus. Es ist zu laut, beschwert sich der Mann mit dem grimmigen Gesicht. Sie nickt nur matt. Es ist zu leise, denkt sie sich, zu leise um meine Gedanken zu übertönen.

Und dann sitzt sie da zwischen den restlichen Schülern und hofft, dass jemand sie versteht. Nur vergeht alles mit der Zeit, bis nichts mehr übrig bleibt. Und die Hoffnung sich verabschiedet und einen stehen lässt, allein. Ja, bis die Hoffnung einen verlässt...

Gedankenvolle Stille ~ GedankenchaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt