One Shot #4

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<<Cause Baby you look happier you do. My friends told me one day I feel it too. And until then I'll smile to hide the truth. But I know I was happier with you>>

Die Sonne strahlt durch die geöffneten Fensterscheiben meines Autos als ich auf die Autobahn abbiege. Draußen sind es bestimmt mindestens 25 Grad und bin froh über jeden Windzug der in dieses Auto gelangt. Das Radio läuft leise im Hintergrund und verbreitet Ed Sheerans wohltuende Stimme. Ich versuche mich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Zumindest so gut es geht. Meine Gedanken schweifen dauernd ab, versuchen das Vergangene zu verarbeiten. Es ist jetzt 2 Wochen her, dass meine beste Freundin und Arbeitskollegin gestorben ist. Celine war immer wie eine große Schwester für mich und gehörte selbst für meine Eltern zur Familie. Seit ihrem Tod bin ich in so tiefer Trauer versunken, dass ich das Haus eine Woche weder verlassen noch jemanden die Tür geöffnet habe. Vermutlichwäre das ganze noch eine ziemliche Weile so weiter gegangen. Doch dann kam der Brief und der änderte alles. Und obwohl er soviel verändert hatte lag er nun auf dem Beifahrersitz und wirkte ganz normal. Ein einfacher blauer Umschlag mit "Talia", meinem Namen, in geschwungenen Buchstaben als Aufschrift.

Ich erinnere mich noch genau daran wie ich ihn bekommen habe. Es war Celines Bruder, der mir diesen Umschlag auf der Beerdigung übergab. Er sagte nichts sondern hielt ihn mir einfach nur hin. Wir waren beide zu sehr mit Trauern beschäftigt und brachten kein Wort über die Lippen. Genauso stumm wie er ihn mir reichte habe ich ihn angenommen. Seit dem lag er auf meiner Kommode im Flur bis ich innerlich so weit war ihn zu öffnen. Allerdings stand in diesem Brief nur ein einziges Wort auf einer kleinen Karte. "Nordsee" stand dort geschrieben.

Noch immer verwirrt mich dieser Brief. Ich wusste, dass Celine immer mal dort hin wollte, aber was genau sie mir damit mitteilen wollte war nicht ganz klar. Und nun sitze ich hier im Auto auf dem Weg zu Celines Bruder, um ihm von meinem vermutlich sehr waghalsigem Plan zu berichten in der Hoffnung er würde mitmachen. Die ganze Fahrt über will die Nervosität nicht von mir weichen. Mit den Fingern trommel ich auf dem Lenkrad rum bis ich schließlich in die Einfahrt von Nathan einbiege. Ich atme zweimal tief durch bevor ich das Auto verlasse, abschließe und an seiner Haustür klingel. Nervös knete ich meine Hände als die Tür aufgerissen wird und ein verwirrt aussehender Nathan im Türrahmen steht. "Talia? Was machst du denn hier?", fragt er mich und fährt sich durch seine kurzen blonden Haare. Er trägt eine Jogginghose und ein Tshirt, was ihm mindestens 1 Nummer zu groß ist. Ich würde sogar fast behaupten, dass er abgenommen hat. "Ich brauche deine Hilfe", gebe ich zurück und schlüpfe unter seinem Arm durch die Tür in seinen Flur.

Er seufzt aber begleitet mich schließlich in das große Wohnzimmer. An der rechten Wand auf dem Regal steht Celines Urne. Bei ihrem Anblick muss ich schlucken. Durch den Tod von Celines und Nathans Eltern war es eigentlich vorherzusehen, dass er ihre Urne bekommt und doch hatte ich es nicht bedacht. "Also wie kann ich dir helfen?". Mit diesen Worten setzt er sich auf den weißen Sessel. Ich bleibe lieber stehen. "Erinnerst du dich an den Brief? Den blauen? Ich hab ihn geöffnet und ich glaube Celine möchte, dass ich ihren letzten Wunsch für sie erfülle. Sie wollte schon immer mal an die Nordsee und das sollen wir für sie übernehmen. Aber ich kann das nicht alleine machen und wollte wissen, ob du mich begleitest", sage ich und habe schon Angst, dass Nathan mir nicht ganz folgen konnte. Er schweigt und schaut mich nur an. Es kommt mir wie Stunden vor bis er mir schließlich antwortet. "Okay ich packe meine Sachen, gib mir 15 Minuten. Mich hält hier sowieso nichts mehr. Also spricht auch nichts dagegen mit dir zu fahren", sagt er schulterzuckend und verschwindet über die Treppe nach oben.

Während ich ihn oben packen höre blicke ich mich im Wohnzimmer um. Hier hat sich nichts verändert im Vergleich zu früher. Die vielen Erinnerungen an Celine und meine Erlebnisse mit ihr hier schmerzen noch zu sehr. Ich verdränge sie schnell wieder. Dieser Trip wird mir helfen alles zu verarbeiten und los zu lassen. Das hoffe ich zumindest. So in Gedanken versunken merke ich nicht mal das Nathan zurück ist und nun hinter mir steht. "Bist du so weit Talia?", flüstert er und trotzdem zucke ich bei seinen Worten zusammen. Ich nicke lediglich und gehe vor nach draußen zu meinem Wagen und möchte einsteigen doch Nathan hält mich zurück. "Vergiss es ich lass dich noch nicht fahren. Ich fahre!", seine Stimme klingt als würde er keinen Widerspruch dulden. Schulterzuckend gebe ich mich geschlagen und werfe ihm den Schlüssel zu, welchen er mit der ausgestreckten Hand fängt. Ich steige auf der Beifahrerseite ein und kurz darauf steigt auch Nathan ein und startet den Wagen. Auf in ein Abenteuer, flüstert meine innere Stimme.

Die ersten 100km schweigen wir nur. Es ist ungewohnt still im Auto. Nathan hat bereits am Anfang das Radio ausgestellt und konzentriert sich auf den Straßenverkehr. Mein Blick ist aus dem Fenster gerichtet. Ich beobachte stumm die Landschaften draußen und denke an Celine. Ihr hätte das hier gefallen, da bin ich mir sicher. Sie hat die Natur generell geliebt. "Celine hätte das hier geliebt", spricht Nathan kurz darauf meine Gedanken aus, fast schon so als hätte er sie gelesen. "Ja das hätte sie wirklich. Sie fehlt mir so Nathan", murmel ich und ich sehe wie er das Gesicht verzieht. "Mir auch Talia, mir auch. Erinnerst du dich noch an unseren Ausflug in den Wald? An diesen kleinen See? Manchmal würde ich gerne dahin zurück kehren. Da war noch alles gut", sagt er mit zart zitternder Stimme. Ich schließe meine Augen und lehne meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe. Die Bilder von dem Tag im Wald fluten meinen Kopf. Ich kann ihr Lachen hören, das Plätschern des Wassers und es fühlt sich alles so real an.

Das nächste was ich spüre ist eine Hand an meiner Schulter. "Talia, mach die Augen auf wir sind da", höre ich Nathan flüstern. Langsam öffne ich meine Augen einen Spalt und verlass das Auto. Nicht weit von hier kann ich das Meer sehen und einen kleinen Bootssteg an dem zwei Boote halten. Es ist so wunderschön hier, denke ich. Ich kann verstehen warum Celine immer hier hin wollte. "Und jetzt?", frage ich mehr mich selbst als Nathan. "Vertraust du mir?", antwortet er mehr mit einer Gegenfrage. Ich lächle ihn an. "Tue ich das nicht immer?". Bereits jetzt merke ich schon wie gut mir dieser Trip tut. Er ergreift meine Hand und zieht mich in Richtung des Bootsstegs. Über seine Schulter hat er seinen Rucksack geworfen und ich wundere mich was er darin hat, da seine andere Tasche bei mir im Auto ist. Er geht auf einen älteren Mann zu und die beiden scheinen irgendetwas zu bereden. Kurz darauf ruft Nathan mich zu sich und nickt in Richtung des Bootes. "Wie sieht es aus? Lust auf eine Bootstour?", fragt er mich und steigt schon selber auf das Boot. Dann hält er mir seine Hand hin, welche ich zögerlich ergreife und ihm dort hin folge.

Ich stehe an der Reling des Bootes und habe meine Augen geschlossen. Wenn ich sie öffne kann ich über den ganzen Horizont blicken. Ich fühle die Anspannung der letzten Wochen von mir weichen. Hinter mir höre ich dumpfe Schritte auf dem Holzboden des Schiffes. Es ist Nathan, der sich kurz darauf neben mich stellt. Er blickt geradeaus und es ist als wären wir jeweils alleine hier. Dann öffnet er seinen Rucksack und holt Celines Urne raus. Das Schiff steht im Moment. "Ich dachte wenn wir sie hier verstreuen, dann wäre es das was sie gewollt hätte", flüstert er. "Es ist okay du kannst das tun", antworte ich und er öffnet sie. Aber er zögert noch. "Gemeinsam?", fragt er mich. "Ja, gemeinsam".

Ich weiß nicht ob es die Situation ist und das Vergangene, aber als wir ihre Asche im Meer verstreut haben breche ich in Tränen aus. Ich weine nicht aus Trauer oder Verzweiflung. Nein, ich weine weil die ganze Anspannung mit einem Mal von mir ablässt. Ich weine, weil ich jetzt endlich los lassen kann. Ich weine, weil das hier mein Abschied ist. Nathan zieht mich an seine Schulter und ich schlinge meine Arme um ihn. Im Hintergrund geht die Sonne langsam unter. Meine Tränen hören mit der Zeit auf zu laufen, aber wir stehen noch hier bis die Sonne untergegangen ist."Zeit sich zu verabschieden Celine oder?", denke ich und ein Windhauch zieht in dem Moment an uns vorbei. Fast schon so als hätte sie mir geantwortet, stelle ich fest und blicke lächelnd dem Horizont entgegen.

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