Lotta sah sich um. Ein großer Kamin stand ihr gegenüber, in dem das Feuer knisterte. Es war wohlig warm und loderte vor sich hin. Das Haus war in einem Landhaus-Stil gehalten. Trotzdem wirkte es nicht altmodisch, sondern eher gemütlich und wohnlich.
Bowie saß vor Lotta auf dem Boden und beobachtete sie skeptisch. Ab und an knurrte er leise und kam dann einen Schritt auf sie zu. Ängstlich kauerte sie sich in das weiche graue Polster des Sofas und sah den Hund an.
"Bowie, hab ich nicht was gesagt", ermahnte Paddy seinen Hund und stieg die Treppen hinab. "Du bist doch sonst nicht so. What's up, buddy?", er streichelte dem Labrador durch sein dunkles Fell und setzte sich zu Lotta auf die Couch.
"Ich glaube, kleiner wird's nicht", lachte er und hielt ihr eine schwarze Winterjacke hin. Sie zog sie drüber und sah sich von oben an. Bis auf, dass die Arme ein Stück länger waren, passte die Jacke ganz gut.
"Perfect, dann wollen wir mal." Paddy stand auf und wollte gerade losgehen, als er sich noch einmal zu ihr drehte. "Geht das mit deinem Fuß, oder soll ich dich lieber tragen?"Lotta sagte nichts, sondern starrte verbissen auf den kleinen Glastisch, der vor ihr stand. "Jesus, das kann was werden", seufzte er und hob sie auf seine Arme. "Ich habe Ohren, okay?", fauchte sie ihn an und blickte verbissen weg. "Hallelujah, sie kann sprechen!"
Eigentlich wollte er sie auf den Beifahrersitz setzen, aber dagegen protestierte sie. Sie wollte auf keinen Fall gesehen werden und schon gar nicht von Sarah. Also setzte er sie auf ihren Willen nach hinten, wo Bowie sie eindringlich bewachte.
Der Weg zum Arzt dauerte ein Stück, aber irgendwann hatten sie das Schneegestöber überwunden und waren an ihrem Ziel angekommen. Paddy half Lotta aus dem Auto hinaus und gemeinsam gingen sie hinein. Glücklicherweise war das Wartezimmer leer, sodass sie gleich hinein durften.
"Einen wunderschönen guten Tag", begrüßte sie der Arzt und bat sie, sich zu setzen. Seine widerlich glückliche Art lies Lotta das Blut in den Adern gefrieren. Wie konnte ein Mensch so fröhlich sein?
"Sie ist ausgerutscht und jetzt ist ihr Knöchel furchtbar angeschwollen und es sieht nicht wirklich gut aus", berichtete Paddy und stützte sich an der Lehne an Lottas Stuhl ab. "Dann wollen wir mal schauen. Du sagst mir, wann es wehtut, ja?"
Der Arzt tastete ihren Fuß ab und sah sie immer wieder an, um sich zu vergewissern, wann sie das Gesicht verzog. Sie stöhnte auf und verzog immer wieder schmerzverzerrt das Gesicht. "Es könnte verstaucht, aber auch angebrochen sein. Ich möchte es zur Sicherheit gern einmal röntgen", meinte er und Paddy half Lotta dabei, aufzustehen.
Mit diesem Vorgang vergewisserte er sich und nickte bedenklich, während er auf seinen Bildschirm starrte. "Was ist nun?!", Lotta sah ihn eindringlich an. Der Arzt drehte seinen Monitor herum und deutete auf das Bild. "Hier können Sie sehen, dass der Knöchel angebrochen ist. Mit viel Ruhe und keiner Belastung dürfte das von selbst wieder heilen, in der Zeit wäre ein Rollstuhl von Vorteil."
Lotta richtete sich ein Stück auf. Ein Rollstuhl? In der Schule wurde sie schon grundlos gemobbt und den Kindern jetzt noch einen Grund zu geben, war ihr zu heikel. "Das geht nicht", protestierte sie und starrte auf ihren Fuß. "Hey, das ist doch nur zu deinem Besten, ich kann dir dabei doch helfen", Paddy legte ihr aufmungernt die Hand auf die Schulter, die sie traurig zurückstieß.
"Wir gibsen den Fuß noch ein und den Rollstuhl können Sie sich dann im Krankenhaus abholen", wendete sich der Arzt zu Paddy, der verständnisvoll nickte. Wortlos lies sich Lotta in dieses elendige Ding sperren und betrachtete beim Hinausgehen den blauen Einband. "So schlimm ist das doch gar nicht. Ich hatte sowas früher auch öfter. Meine Geschwister oder Freunde haben dann immer darauf unterschrieben oder was gemalt", lächelte Paddy und setzte sie zurück auf die Rückbank des Autos.
Lotta sagte kein Wort dazu. Was sollte sie groß sagen? Sie hatte keine Freunde, schon lange nicht mehr. Ob sie wohl Geschwister hatte? Vielleicht hatte ihre leibliche Mutter noch Kinder?
Eher stimmte sie es traurig, eine Stelle weniger an ihrer Haut zu besitzen, an der sie sich nicht selbst verletzen konnte.
Paddy fuhr los und schon nach kurzer Zeit bog er auf den großen Parkplatz des alten Krankenhauses. Sofort machte sich ein ungutes Gefühl in Lotta breit und schnürte ihr die Kehle zu. Ängstlich sah sie ihn an, als er ihre Tür öffnete und ihr heraus helfen wollte.
"Kannst du bitte allein gehen?", flüsterte sie und Paddy erkannte die Angst in ihren Augen. "Klar", sagte er knapp, lächelte ihr aufmunternd zu, ohne zu fragen, weshalb er allein gehen sollte. Er schlug die Tür wieder zu und ging danach durch die großen Eingangstüren, dieses alten verfallenen Gebäudes.
DU LIEST GERADE
Out of the dark [Michael Patrick Kelly]
FanfictionIn Lottas Leben hat sich nach einem tiefen Schicksalsschlag vieles geändert. Sie ist nicht mehr der Mensch, der sie früher einmal war. Als sie jedoch einen folgenschweren Entschluss zieht, beginnt ihr ganzes Leben noch einmal ganz von vorn. Diese Ge...