Ich liebe es zu tauchen. Wenn mich jemand fragen würde, wo ich für den Rest meines Lebens bleiben wollen würde, wäre meine Antwort ganz klar Unterwasser. Denn dort beginne ich zu schweben. Fasziniert streiche ich durch meine sonst so durchschnittlichen, hellbraunen Haare, die nun zu leben scheinen, und weich um mich wogen. Hier ist der einzige Ort an dem ich nichts an ihnen auszusetzen habe. Wo ich nicht auf die Zeit achten oder mir Gedanken über mein Auftreten machen muss. Nur das leichte Rauschen des Wassers in meinen Ohren. Ein Gesicht mit einem nicht sonderlich erfreuten Ausdruck schiebt sich von der Seite in mein Blickfeld, nach kurzer Verwirrung erkenne ich es als das von meinem Bruder Nils. Ich weiß was er mir mit diesem Bilck sagen will. Genervt verdrehe ich die Augen was so viel heißen soll wie Ja, Ja, ich weiß, lass mich in Ruhe. Er tut so als müsste er die Augen zusammenkneifen um mich besser sehen zu können, doch ich weiß das er mich ganz genau erkennen kann. Irgendwo kann man es mit dem anpassen auch übertreiben, denke ich und drücke mich langsam nach oben. Er tut immer so als würde ich kein bisschen aufpassen, dabei stimmt das garnicht. Kaum das ich spüre, wie ich die Wasseroberfläche durchbreche hole ich so dramatisch wie möglich Luft. Nagut, vielleicht sollte ich doch etwas mehr Acht geben, denn wenn ich mir das kleine Mädchen neben mir genauer anschaue guckt sie doch etwas ungläubig. Möglicherweise hat sie noch nicht so oft jemanden gesehen der einmal am Rand des großen Pools entlang getaucht ist. Ich auch nicht, wo ich so darüber nachdenke. Etwas übertrieben lächle ich ihr zu, atme mindestens genauso übertrieben ein und tauche erneut hinab ins Wasser. Klatschend schlägt es über mir zusammen, lässt tausende winzige Luftblasen um mich herum wirbeln. Diesmal muss ich mich ein wenig zurückhalten. Sofort stoße ich den eingeatmeten Sauerstoff wieder aus, und warte bis er an die Oberfläche getrudelt ist. Ich kann es nicht ausstehen die Backen so aufgeblasen zu haben, sowas irritiert mich nur. Aber dafür habe ich jetzt wieder freie Sicht und habe hoffentlich Nils zufrieden gestellt. Der Junge da vorne ist etwa gleichzeitig mit mir untergetaucht, wenn ich mit ihm wieder nach oben gehe müsste mein Bruder nichts zum Beschweren haben. Guter Plan. Doch dem Jungen geht schon nach nicht mal andertalb Minuten die Luft aus und er schwimmt nach oben. Wie langweilig. Es würde doch bestimmt niemandem auffallen wenn ich noch ein wenig unten blieb, oder? Nur ein bisschen zumindest. Entspannt schließe ich die Augen und genieße das Gefühl der Schwerelosigkeit und Freiheit, und die Muster die das vom Wasser gebrochene Sonnenlicht auf meine geschlossenen Lider malt. Etwas besseres gibt es nicht, da bin ich mir ganz sicher. Wenn es nach mir ginge würde ich Stunden so verbringen, doch da machte mir mein Bruder jedes mal einen Strich durch die Rechnung. So wie jetzt auch. Irgendjemand packt mich am Arm und zieht mich unsanft aus dem Wasser, natürlich auch noch so, das meine Haare wie ein nasser Vorhang an meinem Gesicht kleben. Nils' wütende Stimme lässt die empörte Rede, zu der ich grade angesetzt hatte, im Keim ersticken. Mit meinem Bruder ist nicht gut Kirschen essen wenn er einmal aufgebracht ist, was nicht nur an der Tatsache liegt das er älter und stärker ist. "Was sollte das denn werden?!" zischt er gereizt, und stellt sich mir gegenüber. Zumindest glaube ich das, durch die Strähnen die vor meinen Augen hängen ist das ein wenig schwierig auszumachen. "Du warst grade dabei sämtliche Weltrekorde im Luftanhalten zu brechen!" Oh, echt? Ich muss dringend an meinem Zeitgefühl arbeiten. Mit einer Hand wische ich mir die Haare aus dem Gesicht, sehe ihn entschuldigend an und murmele etwas wie "Hab ich nicht gemerkt, Sorry..." Er funkelt mich an. "Ja, das ist mir wohl aufgefallen!" die Worte hören sich etwas gepresst an, als versuche er mit Mühe sich zu beherrschen. "Hör zu Thea, das ist gefährlich. Du setzt dich jetzt da an den Rand und tust erschöpft. Täusch meinetwegen einen Sauerstoffmangel vor, aber verhalt dich normal." Ich senke beschämt den Blick. "Und vielleicht solltest du dir Abschminktücher besorgen." fährt er fort. "Du siehst aus wie ein Panda." Verwirrt streiche ich mit einem Finger über meine Augen. Mist, ich muss die normale und die wasserfeste Wimperntusche verwechselt haben. Na toll. Wahrscheinlich war der seltsame Blick von dem Mädchen eben zur Hälfte den schwarzen Schlieren unter meinen Augen geschuldet gewesen. Typisch ich. "Ist ja gut, bin schon weg." Hoffentlich hat es sich entnervt genug angehört um ihm zu zeigen das er sich um seinen Kram kümmern soll, anstatt immer auf mir herumzuhacken. Ich seufze leise. Mir ist klar das er sich nur Sorgen macht. Aber manchmal würde ich mir wünschen das er etwas mehr zu uns stehen würde. Peinlich berührt ziehe ich mich die Leiter hoch aus dem Pool, ignoriere Nils' blödes Grinsen und sehe noch einmal sehnsüchtig auf die Wasseroberfläche. Dann schleiche ich so unauffällig wie möglich in Richtung Zimmer.
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DNA - Kind des Meeres
FantasíaDie fast 16 jährige Thea und ihr Bruder Nils sind anders als andere Menschen. Doch im Gegensatz zu seiner Schwester sieht Nils die seltsamen Fähigkeiten, die sie besitzen, nicht wie ein Teil von sich selbst, sondern als unberechenbare Gefahr. Thea w...