Am Ende des Tages

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Englischsprachige Originalversion (Day's End) Copyright © 2016 Yves Patak. Deutschsprachige Version Copyright © 2017 Yves Patak. Alle Rechte beim Autor. 


Stirnrunzelnd liest Cannagan den Vertrag ein letztes Mal. Auf dem Ebenholzschreibtisch scheint das Dokument zu leuchten.

Schließlich nickt er und lehnt sich zurück. Er lächelt.

Ich gewinne. Wie immer.

Mit den Händen hinter dem Nacken blickt er durch das Panoramafenster auf Midtown Manhattan. Das weitläufige Penthouse im zweiundsechzigsten Stock eines der exklusivsten Gebäude der City ist sein sicherer Hafen, sein Stolz, seine Kommandozentrale. In der göttlichen Stille hinter Fenstern, die jedem Hurrikan standhalten, entwarf er den Plan, der den Untergang seines letzten Rivalen einläutet.

Nachdenklich berührt er den Vertrag, vergewissert sich, dass er wirklich da ist. Unglaublich, denkt er. Nur eine Unterschrift entfernt von der absoluten petrochemischen Macht.

Und hat er sich diesen Triumph nicht verdient! Seit sein Vater an Lungenkrebs starb und ihm eine kleine Erdölfirma hinterließ, hatte sich Cannagan Tag und Nacht abgerackert, Pläne geschmiedet und intrigiert, und den Betrieb seines Vaters schließlich zu einem der global führenden Konzerne gemacht. NaphtaCo war heimlich und still gewachsen, und keiner der großen Ölmoguln hatte Cannagan ernst genommen. Nicht bis zum Jahre 2018, dem Jahr der ‚Schwarzen Welle'. Genau ein Jahr nach Trumps Einzug ins Weiße Haus war Manhattan von einem beispiellosen Tsunami verwüstet worden war. Danach änderte sich alles. NaphtaCo schluckte Shell im Jahr 2019. Ein Jahr später fiel British Petroleum Cannagans unersättlichen Appetit zum Opfer, genauso wie die meisten bedeutenden petrochemischen Unternehmen. Dean R. Cannagan, der unterschätzte Underdog, führte der Welt den spektakulären Feldzug eines modernen Julius Cesar vor.

Nur ein Unternehmen hatte es geschafft, NaphtaCo die Stirn zu bieten – zumindest bis vor einer Woche.

Noch einmal breitet sich das ungewohnte Lächeln über sein Gesicht. Cannagan hatte nie Zeit mit eitler Vorfreude vertrödelt. Die wenigen Niederlagen in seinem Leben haben ihn gelehrt, das Schwert nicht zurückzuziehen, bis das Herz des Gegners zu schlagen aufhört. Doch jetzt, als er den Vertrag auf seinem Schreibtisch betrachtet, kann er den unmittelbar bevorstehenden Sieg förmlich schmecken. Der Vertrag ist da -wirklich da!– und wartet nur auf Cannagans Unterschrift.

Er blättert auf die letzte Seite. Da ist sie: Alfred Reineckes elegante Signatur. Reinecke, CEO von Omega Oil, hat endlich die Waffen gestreckt.

Cannagan schaut auf die schwarze Tinte, zögert den Augenblick hinaus, in dem er den Pakt mit seiner eigenen Unterschrift besiegelt. Seine Augen wandern zu der leeren Zeile über seinem Namen, und es juckt ihn in den Fingern, sein Meisterstück zu beenden.

Noch nicht. Er spürt, daß die Süße dieses Augenblicks nie wiederkommen wird. Warten wir noch eine Minute.

Und wozu sich beeilen? In wenigen Augenblicken wird Omega Oil Geschichte sein - der letzte hartnäckige Gegner, der letztlich doch vom allmächtigen NaphtaCo-Imperium verschluckt wird. Nur der Nachmittagshimmel wird Zeuge sein von seinem ultimativem Triumph. Und niemand wird jemals ahnen, dass Reineckes Untergang einem hässlichen Zwischenfall mit einer schwarzen Hure und einem weißen Pulver zuzuschreiben war - einer Hure, die jetzt tot ist.

Armer Alfie.Cannagan betrachtet die Waterman-Füllfeder in seiner Hand. So ein Senkrechtstarter. So ein Finanzgenie. Und doch nicht schlau genug, die Lunte zu riechen, als ich ihm die Fusion anbot ...

Am Ende des TagesWhere stories live. Discover now