Hannah - 1. 2/2Teil

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Eine halbe Stunde später rannte sie durch den Flur und rief ihren Eltern durch dir geöffnete Wohnzimmertür schnell ein "Tschüss!", zu.

"Du bist spät dran!", rief ihr Vater. "Bestimmt hat Florian die Warterei schon satt. Bist du da bist, ist er längst über alle Berge."

"Vielen Dank für dein grenzenloses Vertrauen, Dad!". schrie Hannah grinsend zurück. "Ich glaube, ein bisschen mehr Geduld bringt er schon auf."

Sie sprang mit einem Satz die Eingangsstufen hinunter, wobei sie sich am Geländer festhielt. Dann rannte sie zur U-Bahn-Station Camden Town. Der ganze Aufwand, den sie betrieben hatte, um für Florian gut auszusehen - und jetzt würde sie verschwitzt, außer Atem und zu spät kommen.

Auf der steilsten Höh'der Tagesreise steht die Sonne jetzt... drei lange Stunden sind's - und dennoch bleibt sie aus...

Hannah juchzte vor Begeisterung, als das Schnellboot übers Wasser raste und der Wind ihr die Haare ins Gesicht peitschte.

"Na, wie findest du deine Geburtstagsüberraschung bis jetzt?", rief Florian, der am Steuer stand. Die MÜhe, den Motor und das Platschen und Spritzen des Kiels auf dem Wasser zu übertönen. "Gefällt's dir?"

"Ob's mir gefällt? Es ist genial!" Sie juckzte erneut auf, als der Bug sich kurz senkte und gleich darauf wieder hob. Es durschnitt die sich kräuselnde Wasseroberfläche wie ein heißes Messer. Gischt prickelte auf ihrem Gesicht. "Das ist das tollste Geschenk, das ich je bekommen hab!"

Lächelnd nahm er eine Hand vom Steuer und strich ihr übers Haar. Sie zitterte ein wenig bei seiner Berührung, küsste seine Hand und drückte sie an ihre Wange. Sie war so glücklich, dass sie das Gefühl hatte, gleich zu platzen. Mit klopfendem Herzen sah sie Florian an. Sein dunkelblondes Haar flatterte wie wild hinter ihm. Er hatte seine großen kastanienbraunen Augen gegen den Fahrtwind zusammengekniffen und zeigte sein hinreißendes Lächeln.

Florian lenkte das Boot unter einem der Bögen der Westminster Bridge hindurch. Einen Herzschlag lang fuhren sie im Schatten, dann schossen sie wieder ins helle Sonnenlicht hinaus. Zur Rechten konnte Hannah die gotische Turmspitze der Houses of Parliament sehen und dahinter Bürogebäude und weitere Türme, die sich schimmernd gegen den wolkenlosen knallblauen Himmel abhoben.

"Und das ist erst der Anfang", fuhr er fort. "Wir fahren nämlich bis Richmond. Dort können wir was essen und ein bisschen am Fluss rumliegen. Dann bringe ich dich ihn die Stadt zurück und wir können in ein paar Clubs gehen." Er lächelte sie an. "Hast du Lust?"

"Und ob!"

Florian hatte sich mit keinem Wort beschwert, als sie eine halbe Stunde zu spät an der U-Bahn-Station Monument aufgetaucht war. Er hatte ihr einen Kuss gegeben, war dann Hand in Hand mit ihr hinunter zum Fluss und über einen schwangenden Steg zu dem kleinen schnittigen Schnellboot gegangen, das er für diesen Tag gemietet hatte.

Wenige Minuten später waren sie schon die Themse entlanggebraust, dass sich hinter ihnen das Kielwasser wie ein Paar Schwanenflügel hob.

"Wo hast du Boot fahren gelernt?", rief Hannah ihm zu. Florian grinste sie an. "Beeindruckt?"

"Schon!"

Florian lachte. "Ach, ich hab noch so einige verborgene Talenete - wusstest du das denn nicht?" Ruckartig riss er das Steuerrad herum und das Boot machte einen kleinen Hüpfer.

"Nicht!", stieß Hannah hervor und packte die Metallreling. "Au!", rief sie aus und zuckte zurück.

"Was ist den?", rief Florian.

Hannah rieb sich die Finger. "Ich hab einen Stromschlag von der Reling bekommen."

"Tja, das kommt eben von deiner elektrisierenden Persönlichkeit", sagte er und bremste das Boot ab, weil sie an einem Wassertaxi vorbeikamen.

Sie sah ihn stirnrunzelnd an. "Mach dich nicht lustig über mich - das tut echt weh!" Jetzt, da sie nicht mehr so schnell fuhren konnte sie fast wieder in normaler Lautstärke reden. "Das geht schon ein paar Wochen so. Jedes Mal, wenn ich Metall berühre, kriege ich einen Stromschlag. Dad meinte, das sei die statische Aufladung."

Florian zuckte die Achseln. "Dann fass doch einfach kein Metall an."

"Leichter gesagt als getan", stellte Hannah klar. "Wie soll ich ohne Besteck essen? Echt nervig. Wenn das so weitergeht, muss ich noch die ganze Zeit Handschuhe tragen." Sie schüttelte den Kopf. "Dass muss natürlich ausgerechnet mir passieren!"

"Passieren dir den öfters seltsame Dinge?", fragte Florian und warf ihr einen amüsierten Seitenblick zu.

"Nicht seltsam - nur peinlich", sagte Hannah. "Laut Mum bin ich ein Pechvogel. Und Dad meint, dass ich wahrscheinlich unter einem Unglücksstern geboren wurde."

"Ach, das glaub ich nicht", sagte Florian.

Vor ihnen kam rasch die Lambeth Bridge näher.

"Also, im Moment bin ich jedenfalls ganz und gar nicht unglücklich." sagte Hannah. Sie grinste.

"Gut." Er sah wieder zu ihr hinüber, aber mit einem Mal war er ganz ernst. "Hannah? Es gibt da etwas Wichtiges, was ich dir sagen muss."

Ein nervöses Kribbeln durchfuhr sie und ihr Magen schlug Purzelbäume. Sie sah Florian halb ängstlich und halb gespannt an - was jetzt wohl kommen würde?

Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft...

Doch bevor Florian etwas sagen konnte, legte sich ein kalter Schatten über sie, als hätte eine dunkle Hand sich vor die Sonne geschoben. Hannah blickte auf: Der Himmel war wolkenlos.

Florian drehte ruckartig den Kopf und riss die Augen auf. Etwas schien ihn zutiefst erschreckt zu haben.

Hannah blickte über den Fluss, um herauszufinden, was es war. Ein Bruchteil einer Sekunde meinte sie, etwas Langes, Dunkles direkt an der Wasseroberfläche zu sehen.

"Nein!", knurrte Florian mit zusammengebissenen Zähnen. "Er kann uns unmöglich gefunden haben. Nicht ausgerechnet jetzt!"

Hannah starrte ihn verwirrt an. Wovon sprach er?

Florian riss das Steuerrad herum.

Das Boot macht eine scharfe Kehrtwende und legte sich so schräg ins Wasser, dass Hannah taumelte und gegen Florian fiel. Kaltes Wasser spritzte ihr ins Gesicht und sie rang nach Luft.

"Florian! Stopp!", schrie sie.

"Nein", rief er mit wilder, brüchiger Stimme. "Er weiß, dass wir hier sind. Er wird dich mir wegnehmen!"

"Was redest du denn da? Florian - bitte!"

Aud dem Augenwinkel sah sie etwas Großes, Dunkles vor sich aufragen. Als sie den Kopf dreht, füllte bereits einer der Steinpfeiler der Lambeth Bridge ihr Blickfeld komplett aus.

Dann knallte es auch schon und Hannah sauste durch die Luft. Ein ohrenbetäubender Lärm folgte und der Himmel drehte sich wirbelnd wie in einem Kaleidoskop. Und dann war da nur noch die eisige tödliche Umarmung des tiefen Wassers. Rote Flammen züngelten am Rand ihres Gesichtsfelds und um sie herum wurde es Schwarz.

Elfennacht - Die siebte TochterWhere stories live. Discover now