Wie wär's mal mit chillen?

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~POV Lynn~

Ich war am Morgen ganze zwei Stunden zu früh aus dem Bett gekrochen, was zur Folge hatte, dass ich absolut nichts mit meiner Zeit anzufangen wusste. Außerdem breitete sich so schleichend Nervosität aus, die zunehmend anstrengender wurde.

Okay, auch wenn ich die ganze Zeit schon fast panisch durch meine Wohnung gerannt war, hatte das ganze doch einen Vorteil - Ich kam tatsächlich pünktlich zu meinem Bus und saß sogar etliche Minuten vor Abfahrt seelenruhig in diesem und wartete ungeduldig mit Kopfhörern auf den Ohren darauf, dass es los ging. Zuvor hatte ich mir - wie üblich - einige Dosen meines Lieblingsenergydrinks sowie neues Drehzeug geholt und meine Sachen waren gut in der Gepäckablage über mir und auf dem Sitz neben mir verstaut.

Bevor ich mich auf den Weg gemacht hatte, hat es eine Weile gedauert eh ich mich zwischen Skateboard und Gitarre entscheiden konnte. Jetzt lag mein Board mit meiner Tasche über mir. Ich warf einen kurzen Blick auf mein Smartphone, um meine Musik einzuschalten, bevor ich gedankenverloren aus dem Fenster schaute.

Glücklicher Weise war der Bus nicht zu überfüllt. Ich saß im hinteren Teil und die meisten der anderen Fahrgäste, saßen auf den vorderen Plätzen, sodass ich sogar ungestört meinen Gedanken freien Lauf lassen und mich weitestgehend beruhigen konnte. Musik hatte schon immer die wundersame Wirkung gehabt, mich in jeder Situation von den schlimmsten Gedanken ablenken zu können. Genau das brauchte ich jetzt, vor allem weil ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie die folgenden Tage verlaufen würden.

Klar, Flo und ich hatten uns über die Zeit angefreundet und kamen bestens miteinander aus, aber es bestand immer ein gewisser Unterschied, zwischen dem Kontakt über Internet und wenn man tatsächlich Zeit miteinander verbrachte. Ich musste versuchen, mich zu sammeln, denn ich wollte mich nicht schon vorher unnötig verrückt machen. Leider war das typisch für mich. Ich machte mir ständig und wegen allem Gedanken, was nicht gerade von Vorteil war.

Ein Lied nach dem anderen spielte und trug meine Gedanken Stück für Stück davon, sodass ich nicht einmal realisierte, wie schnell die Zeit verging. Mittlerweile war der Bus schon beinahe in Berlin angekommen. Etwas, dass ich nur verschwommen wahrnahm. Es lief gerade »Give me your eyes« von Brandon Heath, als der Refrain vom Doctor Who Intro unterbrochen wurde.

Verwirrt kramte ich mein Handy aus der Tasche hervor und mein Herz machte einen leichten Sprung, als ich den Namen des Anrufers auf dem Display las. Im selben Moment musste ich aber auch Lächeln. Himmelherrgott, wieso hatte ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass er mittlerweile ein Teil meines Lebens war? Manchmal verstand ich mich selbst nicht einmal.

Ich atmete tief durch, bevor ich schließlich abhob.

„Sie wünschen?", meldete ich mich.

„Haste alles auf die Reihe bekommen und bist 14 Uhr da oder haste wieder alles verpeilt?", drang Flos Stimme durch meine Kopfhörer.

„Nun ja...", setzte ich an und hielt mein Telefon für einen kurzen Moment weg von mir, sodass die leisen Gespräche der anderen Fahrgäste als auch die Geräusche des fahrenden Busses zu hören waren. „Ich sitz zumindest im Bus. Könnte allerdings auch gut möglich sein, dass ich in den falschen eingestiegen bin.", meinte ich lachend nach einer Weile.

„Wenn du irgendwo in Frankreich landest, hol ich dich bestimmt nicht ab." Auch er schien leicht amüsiert zu sein.

„Zu schade...", murmelte ich in gespielt enttäuschtem Ton.

Ein herzhaftes Lachen am anderen Ende der Leitung.

„Alles klar, dann sehn wir uns also in einer halben Stunde."

Ich zuckte mit den Schultern und wartete auf eine Reaktion, als mir wieder klar wurde, dass er ja gar nicht sehen konnte, was ich hier tat. Man, manchmal war ich echt komplett neben der Spur.

„Wäre gut möglich.", antwortete ich schließlich schmunzelnd.

Florian murmelte etwas, das nach einem „Du schon wieder...", klang.

Für einen Moment sagte keiner etwas - im Hintergrund war nur das brummen des Busses zu hören.

„Na jut, also dann bis gleich.", brach er die Stille.

„Jup, freu mich schon." Irgendwie verwunderte es mich selbst, dass ich das nun zu gab, aber letztendlich gab es nichts, was daran verwerflich war.

„Ich mich auch..." Hörte ich da ein Lächeln heraus oder bildete ich mir das nur ein? „Also bis dann, Kleine."

Kleine? War das sein Ernst? Also nicht, das es mich störte, aber es war mir neu, dass er mich so nannte.

„Jooo? Bis dann...Großer?" Es klang eher nach einer Frage als danach, dass ich mich von ihm für's erste verabschiedete. Zu meiner Überraschung, hörte ich ihn daraufhin leise Lachen.

„Na dann, tschau!" Damit hatte er auch schon aufgelegt und meine Musik startete nur wenige Augenblicke später wieder. Nun kam auch die Nervosität vom Morgen zurück. Das hatte mir grade noch gefehlt. Die letzten Minuten der Fahrt, rutschte ich vor Aufregung auf meinem Sitz hin und her. Ich hätte alles dafür gegeben, jetzt schon aussteigen und mich wieder beruhigen zu können.

Mittlerweile konnte ich einen Blick auf den Bahnhof erhaschen, weshalb ich auch unwillkürlich Ausschau nach Flo hielt. Noch konnte ich ihn nirgends entdecken und auch nachdem der Bus gehalten und ich meine Sachen nach draußen gebracht hatte, war weit und breit keine Spur von ihm. Ich musste zugeben, dass ich sogar etwas erleichtert darüber war, denn so hatte ich die Zeit, bei einer Zigarette etwas zur Ruhe zu kommen.

Meine Kopfhörer hatte ich allerdings bereits abgenommen, ebenso hatte ich meine Musik ausgeschaltet. Nervös zog ich an meiner Zigarette und wippte von einem Bein auf das andere, als ich ihn endlich entdeckte, wie er auf seinem Longboard in meine Richtung gefahren kam.

Ich schnipste die auf gerauchte Kippe in hohem Bogen weg. „Und jetzt soll nochmal jemand sagen, ich würde immer zu spät kommen...", rief ich ihm lachend zu.

Are you kidding me?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt