"Das Phänomen der Literatur. Sie berührt und stützt in vielen Bereichen. Können Sie mir sagen, welche das zum Beispiel sind?" Mrs Handerson saß auf dem Pult vor der Klasse, die Beine überschlagen und schaute lächelnd in die Runde, abwartend, auf die Finger, die in die Höhe schossen. Ich schloss die Augen und überlegte, bis mir ein Begriff in den Kopf schoss. Ich hob meinen Arm und schaute abwartend zu der Frau mittleren Alters. Mrs Handerson ließ ihren Blick von einer Ecke in die andere gleiten, überflog die gespreizten Zeigefinger, bis ihre braunen Augen an mir heften blieben und mich fokussierten. Sie nickte mich an. "Ja, Louisa." Ich senkte meinen Arm und öffnete den Mund: "Ich denke, dass es die Kreativität unheimlich fördert, da zum Beispiel Bücher, aufgrund ihrer umrandenden Beschreibungen, ein Bild in unseren Köpfen erzeugen, jedoch entsteht dieses nur durch unsere Kreativität und Vorstellungskraft." Ihre Augen glänzten und ihre braunen Haare schwangen herum, als sie begeistert nickte und von der Tischplatte glitt. "Sehr richtig, Mrs Thompson." Sie drehte sich herum und ging zur Tafel, griff nach einem Stück Kreide und fing an, in Großbuchstaben den Begriff Literatur auf den grünen Untergrund zu schreiben. Sie zog einen Kreis darum und notierte daneben das von mir genannte Wort. Dann schwang sie wieder herum und wartete auf weitere Beiträge. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen, die mit einem roten Lippenstift nachgezogen worden waren, ließ sie den Blick durch die Masse gleiten. Sie gab schließlich dem Jungen im roten Pullover auf der anderen Seite des Raumes das Wort. "Marcus, bitte." Statt Marcus Worten zu folgen, sah ich jedoch zu dem Jungen, der seinen Platz neben ihm hatte. Er hatte sich in seinem Stuhl seitlich zurückgelehnt und seine Augen wanderten ebenfalls durch die Sitzreihen voller Schüler, bis er mich entdeckte. Als sich unsere Blicke trafen, zog ich meine Mundwinkel zu einem leichten Grinsen nach oben. Er hatte ebenfalls ein wissendes Grinsen auf den Lippen und zwinkerte mich zu. Als Antwort verdrehte ich nur gespielt genervt die Augen, woraufhin er leise kicherte. Wir konnten unsere stille Konversation jedoch nicht weiter fortsetzten, denn ich erkannte im Augenwinkel, dass Mrs Handerson sich vor seinem Pult aufgebaut hatte und ihn mit hochgezogener Braue anschaute. Ihm fiel das jedoch nicht auf, bis einige Schüler los prusteten und die Lehrerin sich räusperte. Demonstrativ langsam wandte er seinen Körper wieder in Richtung der Tafel und sah entschuldigend zu der Braunhaarigen auf. "Ich hoffe für Sie, Noah, dass Sie diesen Themenbereich beherrschen, Ihrer Note willen, denn wie Sie alle wissen", sie hob den Kopf und bezog mit einem frechen Grinsen den gesamten Kurs mit in die Konversation ein, "schreiben wir nächste Woche eine wichtige Klausur, auf die ich Sie noch einmal nett hinweisen möchte." Einige Seufzer und das ein oder andere Stöhnen war zu vernehmen, während Mrs Handerson lachend wieder ihre Position vor der Tafel einnahm und einen weiteren Begriff in das Tafelbild hinzufügte. Ein letztes Mal drehte Noah sich noch einmal zu mir herum und legte sich theatralisch die Hand auf die Stirn. Ich lachte leise und grinsend zog er den Kopf wieder nach vorn. Um unser spezielles Verhältnis zu erklären, muss ich wohl erwähnen, dass Noah und ich seit Kindesalter bereits die besten Freunde waren. Fangen wir am besten bei der Jugendphase meiner Mom an: Noahs Mutter, Marie und meine Mutter, Valeria, hatten sich, laut Aussage der beiden, auf der Damentoilette eines Restaurants kennengelernt. Meine Mom hatte leise in sich hineingeflucht, über ihr miserables Date und Marie stieg mit ihrer Geschichte über ihre peinlich grauenhafte Familie mit ein. Anscheinend hatten die beiden eine ganze Weile in diesem Badezimmer aufgehalten, bis sie schließlich die Handynummern tauschten und getrennt den Abend fortsetzten. Die Wochen, Monate und Jahre darauf fingen sie an, die besten Freundinnen zu werden. Irgendwann heiratete meine Mutter den Mann, der später mein Vater werden sollte und ganz nebenbei der Typ war, der dieses schreckliche Abendessen für meine Mom auf seine Kosten genommen hatte. Marie ließ sich ebenfalls kurz darauf trauen, was nun für beide das Zusammenziehen und das Gründen einer Familie bedeutete. Während meine Eltern in Michigan sesshaft wurden, zogen Miles und Marie nach Chicago und brauten sich dort eine Existenz auf; gründeten ein Maklerbüro und wurden selbständig. Meine Mom dagegen konnte davon nur träumen, wenn sie in ihrer klein Kabine in dem stickigen Massenbüro hockte und freundlich die Anrufe der genervten Kunden entgegennahm und ihnen bei ihren schwerwiegenden Problemen mit ihren Laptops weiterhalf, die sich meist nach einem Neustart des Geräts behoben. Irgendwann wurde sie dann schwanger. Mit klein Lucia in ihrem Bauch beschloss sie statt alles aufzugeben noch einmal komplett neu anzufangen. Um nicht noch neue Fragen über meine Lebensgeschichte aufzuwerfen, mein ursprünglicher Name war Lucia gewesen, doch Dad gefiel er nicht, weswegen sie sich auf einen ähnlichen einigten, der zu meinem heutigen Vornamen führte. Jedenfalls fing meine Mom zwei Jahre nach meiner Geburt an, vielerlei Jobs anzunehmen und zu testen. Einmal war sie sogar fest davon entschlossen, ein eigen Unternehmen zu gründen, wie Dad und sie mir einst lachend am Küchentisch beim Abendessen erzählt hatten. Irgendwann jedoch, verbrachten wir nicht mehr solche Abenden gemeinsam, sie lachten nicht mehr gemeinsam, aber das Geschrei und das Fließen der vielen Tränen nahmen immer mehr zu. Als ich dann mein vierzehntes Lebensjahr erreicht hatte, beschlossen die Beiden einen Schlussstrich zu ziehen. Mit beiderseitigen Einverständnis zog meine Mutter zusammen mit mir aus und wanderte nach Chicago ein, wo die Carters ins Spiel kommen, denn vorerst zogen wir bei ihnen ins Haus ein. Ich richtete mich in einem der Gästezimmer ein und Noah lugte durch die Tür, traute sich aber einige Tage lang nicht, mich auch nur anzusprechen. Irgendwann machte ich den ersten Schritt mit einem Hi . Als ich ihm somit bewies, dass ich kein Monstrum war, das bekämpft werden musste, fingen wir an, sehr gut mit einander auszukommen, ich durfte gelegentlich sogar mit seinen geliebten Transformers spielen, die er sogar selbst, aufgrund ihrer Kostbarkeit, kaum anrührte. Ja, er war ein ziemlicher Nerd gewesen, damals. Jedoch hatte er über die Jahre, in denen meine Mom und ich nun ebenfalls einen festen Sitz in unserer heutigen Wohnung gefunden hatten, hatte Noah sich sehr verändert, was er wohl auch großteilig der Highschool zu verdanken hatte. "Wenn wir schon dabei sind, Noah, können Sie mir einen weiteren Aspekt der Vorteile der Literatur nennen?" Noah neigte den Kopf leicht zur Seite und überlegte. Dann setzte er an zu reden. "Also, ich muss sagen, ich stimme Louisa zu, und dazu kommt dann auch, denke ich, noch die Vorstellungskraft." Grinsend klatschte Mrs Hanson in ihre Hände. "Ja, sehr gut! Sie scheinen ja doch zugehört zu haben, Carter." Sie zwinkerte ihm zu und sofort brachte sie auch diesen Begriff an die Tafel. Dann legte sie die Kreide auf ihrem Pult ab und schlenderte in die Mitte des Raumes. "Ich muss wirklich sagen, dass mir der Unterricht mit Ihnen unheimlich gut gefällt und Sie eine unheimlich nette Truppe sind." Ich vernahm entzücktes Seufzen. "Ich freue mich außerdem sehr dieses Jahr mit Ihnen zu starten und beschreiten zu können. Und da ich einein sehr guten Tag heute habe, erlasse ich Ihnen die Hausaufgaben und wünsche Ihnen einen schönen freien Nachmittag!" Mit diesen Worten klopfte sie sich zufrieden die Hände auf ihrer blauen Jeans ab, wobei die weißen Flocken der Kreide, die dadurch von ihren Handflächen abgescheuert wurden, in der Luft tanzten. Kaum hatte sie das letzte Wort hervorgebracht, erhoben sich geradezu alle Schüler gleichzeitig und warfen sich ihre Taschen und Rucksäcke, die sie bereits kurz vor Unterrichtsschluss gepackt hatten, um dem Klassenraum möglichste schnell zu entfliehen, über die Schultern. Schließlich wandte sich auch Mrs Handerson wieder dem Pult zu und fing an, ihre Ordner in ihrer Umhängetasche zu verstauen. Selbiges tat nun auch ich. Ich erhob mich und stopfte alles in meinen Rucksack, jedoch nicht wie alle anderen - ich hatte eine feste Ordnung, was auf manche wohl, wenn ich so darüber nachdachte, recht merkwürdig erscheinen mochte. Als ich fertig war, warf ich ihn mir über die Schulter und verabschiedete mich von meiner Lehrerin, bevor ich den Klassenraum verließ. Ich bog nach rechts ab und reihte mich in die Masse von Schülern ein, die auf das westliches Treppenhaus zusteuerte. Mit einem leichten Grinsen und leise summend schlenderte ich also den Flur entlang. Warum ich so fröhlich an einem Montagmorgen, nebenbei erwähnt der erste nach den Ferien, in der Schule auf dem Gang herumtänzelte? Ehrlich, ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Ich war einfach nur glücklich, dass alles so perfekt in meinem Leben lief. Alles war so, wie es sein sollte und das brachte mich dazu breit zu lächeln. Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnen können, dass es auf das komplette Gegenteil hinauslief. Zumindest tat ich es nicht und so zogen sich meine Mundwinkel noch weiter nach oben. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und neben mir fand ich Noah, der mich so wie vorhin leicht anlächelte. "Hey Blondie." Das war einer der Spitznamen, die er mir über die Jahre erteilt hatte; und er war von allen noch der annehmbarste, obwohl ich ihn nicht leiden konnte, meine, wer benennt jemanden nach seiner Haarfarbe? Ich hielt meinen Schritt, drehte aber meinen Kopf in seine Richtung und strahlte ihn an. "Hi Brownie." Er lachte, sodass seine blauen Augen glänzten und seine leichten Grübchen herausstachen. Noah war schon immer unheimlich nett und gutmütig gewesen. Er konnte keiner Fliege etwas zu leide tun, selbst, wenn sie uns damals beim Spielen mit den Holzsteinen manchmal den letzten Nerv geraubt hatte. Dieser Junge war eine gute Seele und damit Gold wert; ich konnte nicht einmal ansatzweise beschreiben, wie stolz ich darauf war, mich seine beste Freundin nennen zu können. "Seit wann nennst du mich denn so?", kicherte er, während wir gemeinsam die Stufen der alten Treppenhauses herunter gingen. Ich zuckte die Achseln und grinste noch breiter. "Was du kannst, kann ich schon lange.", entgegnete ich schmunzelnd. Wir kamen am unteren Treppenansatz an und bogen nach links, in die riesige Eingangshalle der Lincoln Park High, an dessen Wände Reihen von Spinden dessen Kahlheit schmückte. Wir drängten uns durch die dichte Menge an Freshmen und Seniors, bis wir an unseren Spinden ankamen, die knapp nebeneinander hingen. Ich drehte an dem kleinen Rädchen herum und gab die mir zugeteilte Zahlenkombination ein, während Noah sich mit der Schulter an seinen lehnte und mich angrinste. Es ertönte ein leichtes Klicken und ich zog das verbeulte blaue Metall auf und schielte dann zu dem Jungen neben mir. "Was freust du dich denn so?" Mit immer noch hochgezogenen Mundwinkeln machte er sich nun an seinem eigenen Schließfach zu schaffen. "Ich freue mich auf heute Abend. Auf das Spiel und diese Afterparty, die der Neue für alle schmeißt." Ich zog meinen Kopf in seine Richtung. "Meinst du Tyler?" Ohne mich anzusehen, zuckte er mit den Schultern. "Keine Ahnung, wie der heißt, auf jeden Fall ist das Basketballteam und der Rest eingeladen zu seiner Party." Das war eines der Dinge, mit denen man sich auf der Highschool schnell beliebt machen konnte, Partys mit viel Alkohol, Drogen und was es sonst noch so gab, was Teenager in diesem Alter eigentlich noch nicht konsumieren sollten und es der Rechtswidrigkeit wegen dennoch mit Vergnügen mit taten. Es war der Reiz, etwas verbotenes zu tun, der sie irgendwann bis in die tiefste Drogensucht brachte. Ein solcher Fall schien mir auch Tyler zu sein und das ließ mich ihn noch um einiges mehr zu verabscheuen. Noah lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zu ihm."Bist du denn schon aufgeregt, wegen heute Abend?" Ich hatte mich wieder den Büchern in meinem Spind zugewandt, als ich ihm antwortete: "Weil ich mit fransigen Büscheln in der Luft herum wedeln darf? Klar, es gibt nichts spannenderes." Er lachte und drehte sich wieder in meine Richtung, während er mich nachdenklich anschaute. "Du musst mich heute Abend echt dringend anfeuern, ich schätze, das werde ich brauchen. Gegen die Manhatten Dragons haben wir eigentlich nicht den Hauch einer Chance." Seine Mundwinkel sanken enttäuscht nach unten. Noah liebte Basketball; seine Idole hatte er bereits im jungen Kindesalter vergöttert und nach geahmt. Bis heute hingen Bilder LeBron James in seinem Zimmer. "Komm schon Brownie", ich machte einen Schritt auf ihn zu und legte meine Hände auf seine Schultern, "wenn Blondie fest an dich glaubt, kannst du alles schaffen." Lächelnd sah er zu mir herunter. "Danke, ich bin froh, dass du da sein wirst." Ich zwinkerte ihm zu. Ich zog meine Hände zurück und musterte ihn. "Heute Abend werden dir wohl alle Mädchen zu Füßen liegen." Er knallte die Tür seines Spindes zu und lachte. "Sicherlich." Seine Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus. Ich ließ meinen Rucksack von meinem Rücken gleiten und stellte ihn auf dem Boden ab. "Du wirst schon sehen." Er schüttelte den Kopf und sah auf sein Handy. Dann schaute er wieder zu mir. "Ich muss jetzt zum Training, wir sehen uns dann heute Abend." Ich nickte. "Ja, bis später dann." Mit einem Salut drehte er sich um und verschwand in der Menge. Ich lächelte leicht und drehte mich wieder herum, um meine Bücher aus meinem Spind in meinem Rucksack zu verstauen. Als ich mich wieder aufrichtete, warf ich einen Blick auf die Innenseite der Spindtür. Meine Mundwinkel zuckten nach oben, als ich die Bilder erblickte, die mit Klebeband auf dem türkisen Blau befestigt waren. Eines, auf dem Noah und ich stolz den ersten Platz in die Höhe hielten, den er für sein Team
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Even Perfection isn't Perfect
De TodoIhr Leben ist von der Perfektion geprägt, sie ist das brave Mädchen von Nebenan. Alles unter Kontrolle zu haben, ist ihr wichtigstes Gebot. Und sie ist verrückt nach dem alten Märchen, des Zauberers von Oz. Die achtzehn Jährige Louisa Thompson lebt...