SMS

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Im Winter 2008 sollte Melanie mit ihrem Lehramtsstudium beginnen und ihre Eltern überredeten sie zu einer letzten gemeinsamen Urlaubsreise: Sechs Wochen in einem Wohnmobil an der amerikanischen Ostküste entlang. Ihre Schwester, Carina, bekam die vier Wochen nicht frei, deswegen waren letztendlich nur ihre Eltern und sie in dem motorisierten Zuhause unterwegs. Kurz nachdem sie den gemieteten Untersatz bezogen hatten, war klar, dass die Ehe ihrer Eltern immer noch am seidenen Faden hing. Sie stritten sich schon seit einer Weile, weswegen Melanie seit Monaten immer wieder bei Freunden unterkam oder bei ihrer Schwester, die inzwischen ausgezogen war. Hier, auf diesem engen Raum konnte sie nicht davor fliehen. Ihre Eltern hatten versprochen sich zusammenzureißen und hatten die USA als Urlaubsziel gewählt, um einen längst vergangenen aber schönen Urlaub wieder aufleben zu lassen. Allerdings funktionierte es nicht. Ihre Mutter fing den ersten Streit schon beim Anblick des Wohnmobils an, weil es ihren Ansprüchen nicht genügte und den Bildern aus dem Internet nicht entsprach. Ein typisches Problem ihrer Mutter. Melanie ließ sie einfach zetern und ihr Vater hatte das jahrelang auch an sich abprallen lassen, aber anscheinend hatte er davon genug gehabt. Seit ein paar Monaten bot er ihrer Mutter Paroli und fing Streit an, was das ganze Klima durcheinanderbrachte und aus „Mama schimpft, aber es ist allen egal" wurde „Sie streiten schon wieder".

Nachdem Melanie zwei Tage lang erfolglos versucht hatte einzugreifen, zu vermitteln, und das Thema zu wechseln, hielt sie sich ab Tag drei so gut wie möglich im Hintergrund und sprach nicht mehr viel. Es war anstrengend sich auf die Streits einzulassen, deswegen beschloss sie, den Urlaub zu genießen und ihre Eltern eher als Mitfahrgelegenheit zu betrachten. Es waren Tage, in denen sie froh darum war, dass ihr Vater einen speziellen Handyvertrag abgeschlossen hatte, bei dem sie SMS nach Deutschland nicht viel mehr kosteten, als in ihrem eigentlichen Vertrag. Trotzdem sollte ihre Telefonrechnung nach diesem Urlaub viel zu hoch sein. Unter anderem, weil sie ihrer Schwester Carina in Deutschland ständig schrieb, weil ihre Eltern es kaum schafften, sich mit ihrer Tochter zu beschäftigen und sie unter der fehlenden Kommunikation litt. Allerdings hatten die beiden Schwestern das Problem der Zeitverschiebung und Carina war nach zwei weiteren Tagen so müde und genervt von Melanies ständigen Nachrichten, dass sie der Jüngeren ein altes Spiel vorschlug, dass sie vor ein paar Jahren selbst gespielt hatte und dabei ihren Exfreund kennengelernt hatte. Man gab wahllos Zahlen in das Empfänger-Feld ein und schickte eine kurze Nachricht ab. Sie nannte es das „Spiel des Schicksals". Carina schlug es Melanie vor, damit sie etwas Ruhe bekam und sich ihrem eigenen Leben widmen konnte. Sie liebte ihre Schwester, aber sie hatte gehofft eine Weile nicht sehr viel von ihr zu hören, nachdem ich in letzter Zeit fast bei ihr eingezogen war. Sie brauchte etwas Zeit für sich selbst.

Also nahm Melanie ihr Handy in die Hand und informierte sich teuer im Internet, wie amerikanische Handynummern aussahen. Es brachte nichts, das Spiel mit einer deutschen Nummer zu spielen, wenn dann trotzdem die Zeitverschiebung zwischen den Schreibenden stand. Sie schrieb auf einen Block, wie sich die amerikanischen Handynummern zusammensetzten und den dazugehörigen Ländercode. Dann tippte sie Zahlen ins Handy ein, bis es aussah wie eine Handynummer und schrieb eine sehr kurze Nachricht:

How do you do?
M.

Sie wartete den ganzen Tag, den sie mit ihren Eltern in New York verbrachte, aber es kam nichts zurück. Also nahm das Mädchen abends wieder ihr Handy in die Hand und tippte eine neue Nummer ein, an die sie die gleiche Nachricht schickte. Melanie geriet an eine seltsame Nummer. Anstatt zu antworten, bekam sie einen Anruf von einer Frau, die völlig hysterisch in ihr Ohr kreischte, wer sie war, ob sie mit ihrem Mann schlafen würde und ob er gerade bei ihr wäre. Anstatt zu antworten, legte sie hektisch auf und sperrte die Nummer, nachdem die noch zweimal angerufen hatte. Etwas ängstlich rief sie ihre Schwester an und erzählte ihr von ihrem Fehlschlag und dass sie sich nicht traute, es noch einmal zu versuchen. Aber die Ältere nannte sie nur einen Angsthasen. Also fasste Melanie sich am fünften Tag ihrer vierwöchigen Reise ein Herz und tippte eine neue Nummer ein. Sie waren seit zwei Stunden auf der Straße und zwischen ihren Eltern herrschte eisiges Schweigen, als ihr Handy piepte und auf dem Display eine Nachricht einer unbekannten Nummer erschien:

Nur Ein SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt