In dem kleinen Bad zog Melanie sich aus und trocknete sich mit dem Handtuch ab, in das sie gewickelt worden war. Als das Mädchen das Shirt hochhob, um es anzuziehen, kamen Boxershorts zum Vorschein. Zum Glück konnte sie in trockene Unterwäsche wechseln, sie hatte schon Angst vor einer Blasenentzündung gehabt. Der Junge mochte unhöflich sein, aber er war scheinbar auch fürsorglich. Melanie schlüpfte in die trockenen Sachen und hängte ihre nassen Klamotten in der Dusche auf. Hoffentlich waren sie bis zum Morgen wieder trocken.
Sie nahm ihr Handy aus der Hosentasche. Es fühlte sich feucht an. Das Mädchen nahm den Akku heraus und föhnte es ausgiebig. Trotzdem traute sie der Sache nicht und nahm es, zerlegt wie es war, und legte es auf den Tisch. Vielleicht traute sie sich morgen, es wieder anzuschalten.
„Ist es nass geworden?", fragte Jo. Er ging in die Küche und holte eine Dose Reis. Er legte die Einzelteile ihres Handys in die Dose und verschloss sie wieder. „Der Reis entzieht die Feuchtigkeit. Dann kannst du es morgen wieder zusammensetzen", erklärte er mit einem Grinsen.
Melanie bedankte sich und kletterte in die Koje zu Jacob. Es war geräumiger, als die Koje bei ihren Eltern, aber die Decke hing niedriger. Sie zog den Vorhang zu und es wurde dunkel in dem schmalen Raum.
„Sag mal Melanie, hast du keinen Spitznamen?", flüsterte Jacob in der Dunkelheit neben mir.
„Doch, warum fragst du?", fragte das Mädchen verdutzt.
„Dein Name ist so lang", nuschelte er.
„Ich sag ihn dir nicht", entgegnete sie grinsend.
„Was? Das ist unfair!", beklagte er sich.
„Er ist mir peinlich", erklärte Melanie.
„Hm. Dann nenn ich dich Mel", entschied er.
„Das ist ok."
„Dann gute Nacht, Mel." Sie spürte, wie er sich auf die Seite drehte.
„Gute Nacht, Jacob", erwiderte sie und schlief kurz darauf ein.
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Am nächsten Morgen wurde Melanie von einem Pieks in die Hüfte geweckt. Es war so abrupt, dass sie hochschreckte und sich den Kopf an der niedrigen Decke anschlug. Mit einem Stöhnen sank sie wieder zurück und drehte sich auf die Seite. Ihr Schädel pochte.
„Kannst du mich nicht sanfter wecken, Jacob?", nuschelte das Mädchen.
„Das war nicht Jake", antwortete eine Stimme, die sie nicht kannte.
Melanie riss überrascht die Augen auf. Direkt neben ihr war das Paar dunkelblauer Augen, das sie am Abend zuvor in der Tür gesehen hatte. Sie zuckte vor Schreck zurück.
„Pass auf, dass du meinen Bruder nicht erdrückst", meinte er leise. „Ich bin Raban und du solltest aufstehen."
„Was? Warum?", fragte sie verwirrt.
„Jake ist Langschläfer und stellt sich nie einen Wecker. Es ist halb neun. Ich dachte, du willst vielleicht nach deinen Eltern sehen."
„Woher...?"
„Die Wand ist nicht so dick, dass man nicht daran lauschen könnte", er grinste. „Es ist immer noch halb neun."
Melanie wurde mit einem Ruck wach. Halb neun. Ihre Eltern fuhren um diese Zeit los. Sie rutschte aus der Koje und lief so leise wie möglich ins Bad. Sie musste sich umziehen und Rabans Shirt wieder zurückgeben. Aber ihre Klamotten waren noch nass. Zumindest ihre Hose war einigermaßen getrocknet.
Als sie aus dem Bad stolperte, lehnte Raban an der Tür, in der Hand ihr zusammengebautes Handy. Sie wollte etwas sagen, aber er packte sie am Arm und zog sie zur Tür hinaus.
„Du hast ja immer noch meine Sachen an", stellte er vor der Tür fest. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen hoch.
„Meine Sachen sind noch nass." Melanie hielt ihm ihre nassen Sachen hin, er nickte nur. „Ich geh zu meinen Eltern, zieh mich um und bring dir deine Sachen wieder. Versprochen."
„Ok." Raban zuckte nur mit den Schultern.
„Sagst du Jacob und deinen Eltern liebe Grüße? Es tut mir leid, dass ich mich nicht verabschieden konnte", meinte Melanie.
Er nickte nur, „Sieh endlich zu, dass du abhaust."
„Wo sind wir überhaupt?", fragte sie und sah sich um.
„Das Büro ist in diese Richtung. Reicht dir das?", fragte er.
Melanie nickte, „Danke. Bis gleich." Sie grinste in ihn an, tippte zweimal mit der rechten Fußspitze auf den Boden und rannte los.
Raban stand nur da und sah ihr kopfschüttelnd nach. Als er wieder zurück im Camper war, sah er, dass Jacob wach war.
„Wo ist Mel hin?", flüsterte er aufgeregt.
„Ich hab sie nach Hause geschickt. Touristen fahren früh. Und du hättest ja doch nur verschlafen", antwortete Raban leise und ging zurück in sein Zimmer.
Jacob drehte sich um und schlief wieder ein.
Raban ließ sich auf sein Bett fallen und griff nach seinem Handy. Er hatte da immer noch diese seltsame SMS-Bekanntschaft, die sich seit letzter Nacht nicht mehr gemeldet hatte. Nachdenklich überflog er die letzten Nachrichten und fixierte dann die Tür. Konnte es sein, dass... Nein, das war ein unmöglicher Zufall.
Melanie lief, bog um zwei Ecken und kam vor dem Wohnwagen ihrer Eltern zum Stehen.
„Wo warst du, junge Dame?", kam die lautstarke, unfreundliche Begrüßung ihrer Mutter. „Bist du rausgeschlichen? Was hast du da überhaupt an?"
Melanie platzte der Kragen:„Ihr habt mich doch ausgesperrt!", schrie das Mädchen zurück. Sie war ausgesperrt worden und wäre ohne Jo jetzt krank, und ihre Mutter hatte nichts Besseres zu tun, als sie anzuschreien. Ihre Mutter zuckte aufgrund der überraschenden Gegenwehr perplex zurück, was ihre Tochter ausnutzte: „Ich bin am See eingeschlafen und niemand hat mich gesucht! Ihr seid schlafen gegangen und habt abgesperrt! Ich wurde von netten Leuten aufgenommen, weil ich sonst völlig durchnässt einen Kältetod gestorben wäre! Aber es hat mich keiner gesucht! Ich war euch scheißegal!" Wütend stapfte Melanie ins Wohnmobil und zog sich um. Als sie wieder nach draußen kam, schoben sich ihre Eltern lautstark gegenseitig die Schuld zu, wer die gemeinsame Tochter vernachlässigt und sie vergessen hatte. Melanie rief in den Streit hinein, dass sie kurz wegmüsse und in ein paar Minuten wieder da sei, dann lief sie wieder zurück zu Jos Camper.
„Mel!", Jacob begrüßte sie freudig, wie ein Hund, dessen Besitzer nach Hause kam.
„Ist Raban da?", fragte sie. „Ich bringe sein Zeug zurück."
Jacob klopfte an ein Fenster, das sich kurz darauf öffnete. Sein großer Bruder steckte den Kopf heraus. Sein Blick fiel auf das Mädchen.
„In deinen eigenen Sachen siehst du eindeutig besser aus, als in meinen", meinte Raban nur.
„Danke, dass ich mir deine Sachen ausleihen durfte", sie reichte ihm sein Shirt und die Boxershorts. „Meine Eltern warten, ich muss los. Danke, dass ihr mich gerettet habt. Hoffentlich sehen wir uns irgendwann wieder."
Jacob umarmte sie, dann wandte sie sich um und ging gemächlich zurück zu ihren Eltern. Eigentlich wollte sie gar nicht zurück zu den Streithähnen. Was würde sie darum geben, bei den beiden Junge bleiben zu dürfen. Was sie nicht mitbekam, war Rabans Blick, der ihr folgte, bis sie außer Sicht war.
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Nur Ein Sommer
RomanceMelanie fliegt für eine 6-wöchige Rundreise mit ihren Eltern an die Ostküste der USA. Doch vor lauter Streit vergessen ihre Eltern sie auf einem Campingplatz. Melanie kommt bei einer netten Familie unter. Alles scheint idyllischer und entspannter un...