Kapitel 1

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Das Leben ist etwas merkwürdiges. Wir gehen immer davon aus, dass wir noch alle Zeit der Welt haben, wir tun erst dann etwas, wenn die Zeit richtig zu sein scheint, aber wer sagt uns wann der perfekte Zeitpunkt ist? Wer sagt uns, dass wir ihn noch vor uns haben oder ob er schon längst zu unserer Vergangenheit gehört? Seien wir doch mal ehrlich zu uns selbst, so etwas wie den "perfekten Moment" gibt es nicht. Wir sehen jeden Tag wieviel grauen in der Welt passiert und sagen uns zur Beruhigung "Mir könnte so etwas nicht passieren". Vermutlich hast du recht. Den Flugzeug Absturz, den du gerade eben noch im Fernsehen gesehen hast, so etwas passiert nur anderen, nicht dir, aber was wenn doch?

298 Menschen starben bei dem Absturz.

234 davon starben bei der Kollision mit der Wasseroberfläche und umherfliegenden Teilen.

33 schafften es nicht aus dem untergehenden Wrack.

31 waren mit Verletzungen auf dem offenen Meer auf sich allein gestellt, sie kämpften noch einige Stunden ums überleben, bis sie vor Erschöpfung aufgaben.

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Ich spüre, wie ich langsam wach werde, es fühlt sich so an wie an einem normalen Sonntag Morgen. An welchem man eine Zeit lang zwischen schlafend und wach verharrt, man sich nicht von dem eigenen Traum losreissen kann, es auch eigentlich gar nicht erst richtig versucht, weil man nicht aufwachen möchte. Aber irgendwann ist es an der Zeit, ist es zu spät. Man ist gezwungen aus diesem Koma ähnlichen Halbschlaf aufzuwachen, dazu ist jedoch eine große Menge an Kraft nötig. Wenn es dann jedoch geschafft ist, sieht man auf den Wecker Meistens und stellt fest, dass es gar nicht mehr so früh, sondern schon später Nachmittag ist. Nichtsdestotrotz möchte man in diesem Moment meistens wieder vor Erschöpfung in die Traumwelt entauchen und sich von der kalten und harten Realität abschotten.

Ich versuche also nun meine ganze Kraft zu katalysieren um endlich aufzuwachen. Ich fühle mich schwer und versuche endlich aufzustehen, aber mein Körper scheint es mir nicht zu erlauben. Lediglich mein kleiner Finger gehorcht mir und gräbt sich in etwas ungewohntes, etwas nasses, dass sich nicht wie meine gewohnte flauschige Bettdecke anfühlt. Das nächste was ich Wahrnehme ist das trockene Gefühl, welches ich morgens immer in meinem Mund habe, aber diesmal ist es anders. Es schmeckt nach Salz? Meine Lippen sind trockener als sonst, ich brauche dringend Wasser.

Ein grelles Licht scheint durch meine geschlossenen Augenlieder und fängt an meinen Kopf und einzelne Glieder zu erwärmen. Gleichzeitig ist der Boden unter mir aber unangenehm kühl und nass. Ruckartig durchzuckt mich ein Energieschub als kaltes Wasser meine Füße streift.

Ich reiße meine Augen auf und sehe Sand? Ich kann es nicht fassen, nur Sand weit und Breit. Wo bin ich hier? Verwirrt setze ich mich auf und streiche den Sand von meiner Wange, der sich dort festgesetzt hatte. Theresa? Wo ist Theresa? Bin ich hier alleine? Ein heißer Schauer läuft mir den Rücken herunter. Scheiße, wo bin ich?

Was ist passiert? Ich gehe alle Ereignisse durch die passiert sind, aber ich kann mich nur noch daran erinnert, dass wir geflogen sind und ich plötzlich hier im Sand aufgewacht sind. Wie bin ich verdammt nochmal hier her gekommen? Unwissend drehe ich mich im Kreis und versuche irgendwelche Erklärungen oder logische Zusammenhänge zu finden, aber nichts. Weit und breit nur Wasser, Sand und etwas das so aussieht wie ein Dschungel? Scheiße. Frustriert vergrabe ich meine Hände in meinen Haaren und stoße einen hilflosen Schrei aus.

Die Sonne, sie ist so unglaublich heiß und blendet meine Sicht. Ich habe das Gefühl jeden Moment vor Verzweiflung und Hitze umzukippen. Ziellos stolpere ich am Dschungel entlang um mich im Schatten der Palmen etwas abzukühlen.

Mein Mund fühlt sich so trocken an, ich brauche dringend Wasser, aber woher? Es wäre doch zu ironisch zu verdursten, wenn man von Wasser umgeben ist.

Hoffnungslos lasse ich mich an einer Palme hinab gleiten und schaue auf die weiten des Meeres. Ist das meine Zukunft? Hier auf mich allein gestellt zu sein und zu sterben? Gibt es hier überhaupt einen Ausweg als auf irgendein Schiff zu warten, dass vielleicht nie kommen wird. Wenn sie mich vergessen? Wenn sie denken ich bin tot? Seufzend lehne ich meinen Kopf an den Baumstamm und höre auf die Wellen, die in regelmäßigen Abständen am Strand aufkommen.

Wäre ich nicht so unglaublich durstig, würde ich wahrscheinlich einschlafen und unter anderen Bedingungen wäre es für mich sogar möglich das alles hier zu genießen. Nur zu gern würde ich aufwachen und feststellen, das dieser Tag nur ein Traum war, stattdessen hebe ich meinen Kopf richtung Himmel und starre ich in die grünen Palmenzweige umgeben von strahlend blauem Himmel.

Ruckartig wird mein Trance artiger Zustand durch Hilferufe unterbrochen. Schnell finde ich auf meine Beine und taumle in Richtung Meer. Ohne großartig nachzudenken fange ich an loszurennen, ehe das Wasser tief genug zum schwimmen ist. Die plötzliche Energie scheint mich zu überkommen und gibt mir Kraft so schnell wie möglich in Richtung der Hilfe rufe zu schwimmen. Es dauert eine Weile bis ich es zu dem Mann schaffe, er versucht sich mühevoll über Wasser zu halten, aber es scheint als ob er jeden Moment aufgeben würde.

Ich habe es endlich nahe genug an ihn heran geschafft als er einsackt und für einen Moment bewusstlos wird. Er darf doch jetzt nicht sterben, er ist die einzige Person die hier jemals noch außer mir sein wird. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und tauche unter, um ihn mit mir wieder an die Wasseroberfläche zu ziehen. "Fuck" flüstere ich zu mir selbst und packe seinen Arm. Die Wellen peitschen mir gegen das Gesicht, was es mir nicht erleichtert ihn über Wasser zu halten. Erschöpft drehe ich seinen Bewusstlosen Körper auf den Rücken, packe seinen Arm hinter seinem Rücken und überstrecke mit meiner anderen Hand seinen Kopf damit kein Wasser in seinen Mund kommt. Unerwartet peitscht die nächste Welle gegen mich und drückt mich für einen Moment unter Wasser. Gerade so schaffe ich es noch den Mann nicht mit mir herunter zu ziehen. Kraftlos werfe ich einen Blick zurück an den Strand, irgendwie ist er weiter weg als gedacht?

Ich packe den Mann erneut und Atme tief durch bevor ich ihn im Fesselschleppgriff mit mir mit ziehe. Das Salzwasser brennt in meinen Augen und trocknet meinen eh schon trockenen Mund nur noch mehr aus, als ich eine Regung an meiner Hand bemerke. Erst spüre ich sie nicht und halte sie für die Welle oder kleinere Fische, bis der Fremde hustet und sich schreiend umdreht.

Er starrt mich mit seinen eisblauen Augen an und reißt seinen Arm von mir los. Das Wasser tropft von seinen von Wasser durchtränkten Haaren in sein Gesicht. Augenblicklich werde ich wieder von einer Welle unter Wasser gedrückt. Der Fremde wird wie ich von der gewaltigen Wucht erfasst. Diesmal scheint meine Kraft wirklich aufzugeben. Es ist still, schwerelose Stille. Über mir sehe ich wie sich das stürmische Wasser bewegt, aber es ist Still.

Meine Haare gleiten an den äußeren Rand meiner Sicht. Mein Körper sinkt langsam tiefer.

Das kann nicht das Ende sein? Die letzten Luftblasen entweichen aus meinem Mund ehe ich von einer Hand nach oben gezogen werde. Sofort schnappe ich nach Luft und beginne zu Husten. Leider hält kann ich mich nicht lange an der Luft halten, ehe die Hand, die mich eben noch aus dem Wasser gezogen hat wieder nach unten drückt.

Ich versuche zu schreien und ihn von mir weg zu drücken aber er klammert sich nur noch mehr an mir fest. Er muss in einem Schockzustand sein, anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären. Wiedermals wird mir die Luft unvorbereitet abgeschnürt. Wie wild versuche ich meinen Arm aus aus seinem festen Griff zu lösen, bevor sein Körper meinen mit nach unten zieht.

Endlich komme ich es wieder nach oben und schaffe es Luft in meine Lungen zu bekommen. Die Laute aus meinem Mund hören sich wie ein schreckliches keuchen an, ehe sich meine Atmung wieder stabilisiert.

Die Insel scheint immer noch in ziemlich weiter ferne zu sein. Alleine werde ich es vermutlich gerade noch so schaffen aber mit dem Mann? Sofort reiße ich meine Augen auf. Wo ist er hin? Ich tauche noch einige male unter und versuche ihn zu finden aber vergebens.

Augenblicklich schießt mir mein schlechtes Gewissen in den Kopf. Wäre ich das alles nur anders angegangen...
Mit aller Mühe versuche ich mein Gewissen zu blockieren und nicht an mich heran zu lassen.



stranded lifeguardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt