Kapitel 2

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Zögernd begebe ich mich auf den Rückweg, alleine. Hätte ich doch nur mehr Kraft in mir gehabt, dann hätte ich ihn besser packen können und er wäre jetzt hier. Oh Gott, ich habe ihn umgebracht. Ich bin daran Schuld, dass er jetzt irgendwo im Meer vor sich hin treibt. Enttäuscht von mir selbst lasse ich einen gedämpften Schrei ins Wasser los. Verdammt nochmal, ich bin ein Rettungsschwimmer, mir sind noch nie Leute aus der Hand geglitten und ertrunken. Es ist doch meine Aufgabe sie zu Retten statt sie noch näher in den Tod zu drängen. Hätte ich doch nur schneller gehandelt und ihn während er noch bewusstlos war zur Insel gebracht...

Er hätte mit mir zur Insel kommen sollen und nicht auf der Strecke dorthin sterben sollen. Ich kenne nicht mal seinen Namen, hätte ich doch nur nach seinem Namen gefragt und ihn versucht zu beruhigen. Die Chancen für ihn zu überleben stehen ziemlich schlecht, für den Zustand in dem er sich befand. Er ist nicht nur ein toter Mann, sondern auch ein Toter ohne Namen. Augenblicklich schießen mir bei dem Gedanken an den Fremden seine hypnotisierenden Augen in den Kopf. Diese Eisblauen Augen hatten einen fesselnden weißen Unterton in sich, den ich noch nie bei jemand anderen auffiel. Ich sah sie zwar nur für einen kurzen Moment, dennoch haben sie sich in mein Gedächtnis gebrannt.

Mit jedem Armzug scheint mein Arm schwerer zu werden, mit jedem Beinschlag wird das auf und ab meiner Beine langsamer. Mit jedem Wassertropfen der sich in meinen Mund schleicht, kommt der Gedanke an den fremden zurück, ständig kommen seine Glas klaren Augen die voller Panik funkelten und das Wasser, welches von seinen Haarspitzen in sein Gesicht tropft in meinen Geist.

Egal wie sehr ich es versuche, es scheint nahezu unmöglich zu sein, sein Gesicht aus meinem Kopf zu verbannen. Mühevoll schüttle ich den Kopf, Ich hätte ihn retten können, aber ich habe es nicht getan, das werde ich mir nie verzeihen können.

Am Strand angekommen ziehe ich mich verbissen den Sand hoch, unfähig um auch nur aufzustehen beuge ich mich meinem Körper und bleibe Kampflos liegen.

Diese Insel scheint auswegslos zu sein, sogar vorhin aus dem Wasser konnte ich nur einen kleinen Teil von ihr sehen. So wie es aussieht werde ich hier sterben, ohne Wasser, Gesellschaft und ohne Ahnung wieso ich überhaupt hier bin. Außerdem plagen mich die Gedanken an den blauäugigen Mann. Das Gefühl in retten zu können, aber ihn verloren zu haben weil ich zu erst an mich dachte frisst mich regelrecht auf. Er schien etwas älter als ich zu sein, so um die 26 Jahre. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Ob er eine Familie hatte? Vielleicht sogar Kinder?

Mit einem lauten stöhnen presse ich mein Gesicht so fest wie es geht in den Sand und balle meine Hände zu Fäusten , "Wie ist es für einen Menschen möglich so verdammt unfähig zu sein?" schreie ich den Sand an. "Ich bin ein fucking Rettungsschwimmer. Meine Aufgabe ist es Leute vor dem ertrinken zu Retten, aber die einzige Sache die ich offensichtlich nicht kann ist genau das" brülle ich weiter.

Nach einer Weile reisse ich mich wieder zusammen und setze mich hin. Die Sonne beginnt langsam am Horizont unterzugehen und färbt den blauen Himmel in ein dunkles Orange. Ich betrachte den Himmel eine Zeit lang mit einem staunen. Noch nie habe ich so etwas perfektes gesehen, wie den Sonnenuntergang von dieser Insel aus. Für einen Moment werde ich in den makellosen Bann der Farben gezogen, die sich auf dem Wasser widerspiegeln.

Abrubt wird dieses Bild von einem leblosen Körper, der an der Wasseroberfläche treibt unterbrochen. Mein Herz stoppt bei diesem Anblick auf zu schlagen und ich verfalle in eine Starre, ehe es im Anschluss dreimal so schnell schlägt wie normal.

Binnen dem Bruchteil einer Sekunde bin ich auf den Beinen und renne auf den Mann zu. Ein berauschendes Glücksgefühl macht sich in mir breit und jagt mir einen warmen Schauer den Rücken hinunter. Wenn er es bis hier, fast an den Strand geschafft hat kann er nicht Tod sein, sonst wäre er von der Strömung mit Getrieben worden.

Vorsichtig ziehe ich ihn aus dem Wasser und lege ihn auf den Sand, irgendwie sieht er anders aus als ich ihn in Erinnerung hatte, irgendwie Jünger mit dunkleren Haaren? Zögernd höre ich auf ihn anzustarren und schweife zu seinem bewusstlosen Körper ab. Was muss ich jetzt machen? Normalerweise rette ich nur Leute aus dem Schwimmbad und da kommt es meistens nie dazu, dass wirklich jemand bewusstlos ist, und wenn doch dann sind erfahrenere Rettungsschwimmer oder Sanitäter da, die den Part übernehmen.

Unsicher mache das erste was mir einfällt, ich lege ich ihn in die Stabile Seitenlage und atme tief durch. Der Tag ist definitiv anders verlaufen als ich es jemals ahnen hätte können. Wer hätte Gedacht, dass ich auf einer Insel aufwache, schuld an einem ertrunkenem bin, der anscheinend doch nicht Tod ist, statt in meinem Bett aufzuwachen und den ganzen Tag Netflix zu schauen.

Seufzend beobachte ich noch die letzten leuchtenden Strahlen der Sonne, bevor sie schließlich ganz verschwindet. Mit aller Anstrengung versuche ich mich zu erinnern, warum ich überhaupt hier bin. Egal wie oft ich die Ereignisse in meinem Kopf durchgehe, sie enden immer am Flughafen und gehen mit dem Moment weiter, als ich am Strand aufgewacht bin.

Frustriert und Wütend stütze ich meinen Kopf in meinen Händen ab. Wieso kann ich mich an nichts erinnern? Wie bin ich hier her gekommen und was hat es mit dem Fremden auf sich?

Ich werde durch die ungleichmäßige Atmung neben mir aus den Gedanken gerissen. Ich lehne mein Gesicht an seinen Mund und schaue gleichzeitig auf seinen Brustkorb. Die ungleichmäßige Atmung wird immer schwächer bis sie schließlich ganz aufhört. Augenblicklich fangen meine Hände an zu schwitzen und mein Kopf scheint wie leer gefegt zu sein.

Ohne nachzudenken drehe ich seinen leblosen Körper auf den Rücken und beginne mit der Reanimation. Er darf nicht nochmal sterben, ist das einzige was mir dabei im Kopf brennt, nicht nochmal. Mir schießt das Blut in den Kopf während ich mit aller Kraft versuche tief genug, aber gleichzeitig nicht zu tief zu drücken. Nach dreißig maligen drücken, zögere ich etwas, aber fange schließlich doch an seine Nase zu zuhalten und durch den Mund, Luft in seine Lungen zu pressen.

Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn und rollen meine schläfen hinunter. Seine Atmung ist immer noch nicht zurückgekehrt, geschweige denn sind irgendwelche Lebenszeichen zu erkennen. Meine Knöchel werden langsam weiß und das Gefühl verschwindet aus meinen Fingerspitzen. "Wach...auf...du...darfst...jetzt...nicht...sterben" presse ich zwischen den verschiedenen drückern aus meinem Mund.

Eine Träne kullert mir die Wange herunter, als ich realisiere, dass er nicht mehr aufwachen wird. Trotz alledem beatme und drücke ich weiter. So einfach lasse ich ihn nicht sterben. Ich habe ihn schon im Wasser verloren, das wird nicht nochmal geschehen. Verbissen behalte ich meinen Rhythmus bei und versuche den Schmerz und die Erschöpfung zu ignorieren. Nach unendlichen wiederholen wird es immer unmöglicher für meine Arme weiterzumachen. Das Adrenalin, welches zu Beginn noch in mir war und mich angespornt hat, ist verflogen.

Die Tränen in meinen Augen lassen meine klare Sicht verschwimmen, bevor ich kraftlos neben ihm zusammenbreche.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 31, 2018 ⏰

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stranded lifeguardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt