Meine Mutter sagte mir einmal, dass ich dieses Gefühl der unbegreiflichen Angst erst wirklich nachvollziehen werde, wenn ich eigene Kinder habe. Damit sollte sie Unrecht behalten.
Dort, wo einst Hoffnung gedieh, pulsiert nun eine lähmende Angst und die Wogen des unaufhaltsamen Schmerzes versetzen mich in eine Starre.
Es sind Prims erstickte Schreie, die mich wieder zurück in die grausame Realität holen.
Effie Trinket gelangt in mein Blickfeld. Sie wedelt hektisch mit ihrer Hand in der Luft. "Komm schon, Kleiner. Nicht so schüchtern."
Die Menge aus erschütternden Jugendlichen weicht zurück und räumt so einen Durchgang zum Podest frei. Nur ein kleiner dürrer Junge mit dunkelbraunem Haar bleibt in der Mitte zurück und nähert sich auf wackeligen Beinen der Bühne.
Ein leiser Schrei entflieht meiner Kehle, als ich mir der Person bewusst werde. Rory.
Mein kleiner, unschuldiger Bruder Rory, dessen Namen nur auf einem Los unter Tausenden geschrieben stand. Rory, den ich versucht hatte zu beschützen, indem ich ihm verboten hatte, seinem Namen im Tausch gegen Tesserasteine noch öfter in die Kugel werfen zu lassen. Es war undenkbar, dass er ausgelost wird.
Mein innerer Impuls schreit Nein! Das ist falsch!, doch die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Von der Panik erfasst suche ich Hilfe in meinem Umfeld. Dann sehe ich Katniss, erstarrt und mit bestürzten Gesichtsausdruck, auf dem Podest stehen. Meine Gedanken spiegeln sich in ihrem Gesicht wider und diese Erkenntnis löst endlich eine Reaktion in meinen Körper aus.
"Rory!" schreie ich lauthals und eile auf ihn zu. "Rory! Halt!"
Rory verharrt wenige Schritte vor dem Podest und als er sich zu mir wendet, schaut er mich aus flehenden Augen an. Tue es nicht... für dich, wollen sie mir mitteilen. Doch es sind Worte, die an meinem inneren Entschluss abprallen.
Ich ziehe ihn in meine Arme, halte ihn, als könnte ich so all das Böse von ihm abschirmen. Die Spiele. Die Hungersnot. Die Überlebensangst.
"Es tut mir leid." wispere ich so, dass es nur für seine Ohren bestimmt ist. Rory versucht mich mit aller Kraft, die er aufbringen kann, in seinen schmächtigen Armen zu halten, doch ich richte mich ohne weiteres auf . Ein kurzer Blick zu Katniss bestätigt mir, dass sie bereits ahnt, was jetzt folgt. Und dass sie damit nicht einverstanden ist.
Ich versuche Kraft in meine Stimme zu legen, doch es ist schlussendlich nur eine schwache Aussage, die erbarmungslos über die Stille hallt.
"Ich melde mich ebenfalls freiwillig als Tribut."
Rory greift nach meiner Hand. "Nein!" Tränen strömen unaufhaltsam über seine Wangen, doch anstatt seinen Ansturm von Trauer zu stillen, lasse ich seine Hand los.
"Unglaublich! Distrikt 12 hat einen weiteren Freiwilligen!" quietscht Effie Trinket aufgeregt. Sie freut sich, dass ihr bedürftiger Distrikt dank seiner zwei Freiwilligen erstmals im Mittelpunkt der Spiele steht. Doch die Freude ist nur auf ihrer Seite, ganz nach den leeren Gesichtsausdrücken der Menschen zu urteilen. Die drückende Schweigsamkeit ist eine Mitteilung ihres Mitgefühls.
Ich versuche so aufrecht wie möglich das Podest zu erklimmen, doch meine Beine sind schwer wie Blei und auch das Ein- und Ausatmen ist mühsam.
Im Hintergrund nehme ich Rorys qualvolle Schreie wahr und ich muss meinen Instinkt unterdrücken zurückzukehren. Das würde es für uns beide nicht leichter machen und diese Genugtuung werde ich dem Kapitol nicht bewilligen.
Irgendwie schaffe ich es auf der Bühne anzukommen. Ich spüre Katniss Augen auf mir ruhen, aber ich meide den Blickkontakt zu ihr. Stattdessen wandern meine Augen in die Ferne. Die ehrwürdigen Berge, die den wolkenlosen Sommerhimmel erklimmen, die Wälder die sich im satten Grün hinter Distrikt 12 säumen... ein verlockender Fluchtort. Doch jetzt ist es zu spät.
"Wie ist dein Name, junger Mann?" fragt Effie Trinket ungeduldig. In der Sehnsucht nach Freiheit vertieft, muss mir ihre Frage entgangen sein. Aber was spielt das schon für eine Rolle.
"Gale Hawthrone" ,antworte ich trocken.
"Einen riesen Applaus für unseren weiteren Freiwilligen Gale Hawthrone."
Ich bin nicht überrascht, als jeder Bewohner die drei mittleren Finger zu seinen Lippen führt und sie gen Himmel streckt. Eine Geste, die Seltenheitswert trägt und meist nur noch auf Beerdigungen gesehen wird. Sie bedeutet Abschied - Abschied von einem geliebten Menschen.
Dann erblicke ich Rory zusammenkauernd auf den Boden. Meine Mutter Hazelle kniet neben ihn und unter ihren Tränen erkenne ich den inneren Schmerz, der ihr Gesicht zeichnet.
Nur mühselig kann ich den Andrang meiner eigenen Trauer hinunterwürgen.
Der Bürgermeister beginnt seine jährliche Lesung aus dem Hochverratsvertrag, aber meine Gedanken sind dem Geschehen fern.
Was werden wir jetzt tun? Nur einer kann die Hungerspiele überleben. Doch sind diese Fragen nicht bedeutungslos, wo ich die Antwort bereits kenne?
Ich bemühe mich um ein ausdrucksloses Gesicht, denn dieses Jahr wird Distrikt 12 bestimmt nicht nur ein belangloser Beitrag im Programm sein. Nein, dieses Mal werden wir im Mittelpunkt der Gesprächsthemen um die Spiele stehen.
Als der Bürgermeister seine Pflicht nachgekommen ist, gibt er Katniss und mir ein Zeichen, dass wir uns die Hände reichen sollen. Ich riskiere einen Blick in ihre Augen und meine Vermutung bestätigt sich, als ich sehe, wie die Wut wild wie Feuer in ihnen lodert. Für die Zuschauermenge würde sie unbewegt und fast desinteressiert wirken. Aber ich kenne sie. Besser als jeder andere. Vermutlich sogar besser, als mich selbst.
Wir halten immer noch unsere Hände, als Panems Hymne schallend ertönt. Ihr Händedruck ist kalt und viel zu lang. Das muss auch sie bemerkt haben, denn sie zieht ihre Hand zögernd zurück.
Als der letzte Klang der Hymne verklingt, werden wir von einer Gruppe Friedenswächter in die Mitte genommen und durch das Eingangstor des Gerichtsgebäudes geführt.
Die Türen schließen sich hinter uns, als Katniss wutentbrannt zu mir herumfährt. Ihre Augen trotzen vor Zorn und ich sehe ihr den inneren Ansturm von Protest an, den Kampf nicht die Fassung zu verlieren, doch dann läuft sie auf mich zu und schließt die Arme fest um meinen Körper. Ich spüre, wie Tränen durch mein Hemd dringen. "Was hast du getan?" fragt sie vorwurfsvoll.
"Nichts anderes als du, Kätzchen."
Ein leises Wimmern entschlüpft ihrer Kehle.
Dann wird sie mir grob aus den Armen gezogen und ich erspähe die Friedenswächter, die ihre behandschuhten Hände in ihre Haut graben.
"Lasst das!" brülle ich. Doch stattdessen packen sie mich ebenfalls und zerren mich von ihr fort.
"Gale! Gale!" schreit Katniss Stimme, aber die Bewegungen ihrer Lippen passen nicht zu den dringenden Schreien. Es scheint mir, als dringe ihre Stimme aus einer anderen Welt ...
"Gale! Gale!" Eine Hand rüttelt grob an meiner Schulter und katapultiert mich zurück in die Gegenwart. Das Bild meines Albtraumes verflüchtigt sich und ich erkenne Katniss, die sich mit aufgerissenen Augen über mich beugt. Es war ein Traum. Jedes Mal wenn ich einschlafe, durchlebe ich meine Erinnerung an die Ernte. Aber die Gegenwart ist schlimmer als jeder Albtraum.
"Was ist los?" frage ich heiser und noch ein wenig betrübt vom Schlaf.
"Wir müssen los. Tresh ist tot und Cato macht Jagd auf uns."
Ein großes Dankeschön für's durchlesen, dass lässt sich nicht in Worte fassen,wie sehr ich mich darüber freue :) Und über ein Feedback würde ich mich noch ein ganz kleines bisschen mehr freuen :)
Für weitere Hunger Games-FanFictions schaut mal bei mir zu einem Besuch vorbei :)
Ansonsten wartet Teil 2 nur darauf von euch gelesen zu werden ...
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Die Tribute von Panem ~Galeniss-FF~
Fanfiction"Wie ist dein Name, junger Mann?" fragt Effie Trinket ungeduldig. In der Sehnsucht nach Freiheit vertieft, muss mir ihre Frage entgangen sein. Aber was spielt das schon für eine Rolle. "Gale Hawthrone" ,antworte ich trocken. "Einen riesen Applaus fü...