20. Februar 1916
An: Leonie Gruber, Schneidergasse 3, Passau
Von: Simon Gruber
Liebste Leonie,
ich vermisse dich. Wie du durch die Wiesen und Felder unseres Dorfes läufst und mir um den Hals fällst, der Geruch deines Haares und der Geschmack deiner Küsse im Sonnenuntergang. Und ich vermisse nicht nur dich, auch die Wiesen und Felder, die Blumen von Sachsen, einfach alles.
Hier ist rein gar nichts schön. Vorgestern hat uns unser Feldwebel den Befehl zum Aufbruch gegeben. Keiner weiß wohin es geht, doch es kursieren Gerüchte.
Angeblich schickt man uns zu einer Offensive an die Sommè. Doch keiner weiß etwas genaues. Überall kann der Tod lauern und dabei sind wir noch nicht einmal in feindlichem Gebiet. Allein in dieser Woche sind zwei meiner Kameraden an Fieber gestorben. Sie haben sich wohl am Essen angesteckt.
Aber was sollen wir schon tun? Unsere Ausrüstung, unsere Versorgung, unsere Moral. Einfach alles ist miserabel.
Wir haben nur zu funktionieren. Unser kurzes Dasein auf dieser trostlosen Welt als Kanonenfutter für die MGs zu fristen.
Heute Morgen hat uns unser Kommandant wieder zusammen gestaucht. Wir sollen schneller laufen, doch es geht kaum mehr. Wir sind alle abgemagert bis auf die Knochen und bekommen am Tag gerade mal eine Dose Suppe und ein Stück Brot. Sogar die Männer in den Gefängnissen sind besser versorgt.
Dabei laufen wir täglich viele Stunden. Einige haben aufgegeben. Die Zahl der Selbstmorde und der Deserteure steigt stetig. Es vergeht kaum ein Morgen, ohne dass einer unserer Kameraden fehlt oder an einem Baum hängt.
Ich hätte es auch schon längst getan, aber der Gedanke an unsere Liebe und dass du Zuhause auf mich wartest, hält mich am Leben und lässt mich ein ums andere Mal die Strapazen des Militärdienstes ertragen.
Manchmal liege ich nachts stundenlang wach und denke nach. Ich frage mich was Menschen dazu bringt so etwas schreckliches zu tun, wie Krieg zu führen.
Noch dazu sind sie ja alle miteinander verwandt. Der deutsche Kaiser, der Zar, der englische König. Warum führen sie so einen schrecklichen Krieg gegeneinander.
Einen Krieg ohne Sieger. Denn das ist Krieg. Es gibt keine Gewinner, nur Verlierer. Millionen Tote, zerstörte Städte und Feindschaft, das wird dieser Krieg hinterlassen.
Aber das will keiner zugeben, vor allem nicht die, die uns anführen. Sie sind doch immer nur auf persönlichen Erfolg und Reichtum aus. Und wenn sie dafür zehntausende Männer in den Tod schicken müssen.
Ich kann nur hoffen, diesen Krieg irgendwie zu überleben. Ich bete jeden Tag zu Gott, dass er uns aus diesem furchtbaren Krieg erretten möge.
Ich muss jetzt den Brief beenden. Wir haben den Befehl zum Aufbruch bekommen. Ich versuche dir so bald wie möglich zu schreiben.
Bleibe gesund und mache dir nicht zu viele Sorgen
Auf Bald
dein Simon.
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300 Tage Hölle - Die Schlacht um Verdun
Historical FictionDie erfolgreiche Einreichung für die erste Runde von ,,Die Tribute von Wattpad" Eine Parabel über die Sinnlosigkeit von Kriegen.